The Beginning of the World – Dragons, Phoenix and Other Chimera

The Beginning of the World – Dragons, Phoenix and Other Chimera

 

Autor    :        Jean-Paul Desroches (Hrsg)

Verlag:           Fondation Baur, Lienart éditions

Erschienen:    Genf und Paris 2020

Seiten:            296

Buchart:         Hardcover

Preis:              978-2-35906-323-3

ISBN:             CHF 50,00

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Ein Schuhkarton mit einem bunt gemischten Durcheinander unterschiedlichster kleiner Jadeobjekte war 1974 der Beginn einer Sammlung archaischer chinesischer Jade, die heute zu den reichsten und wichtigsten Sammlungen dieser Art im Westen gehört. Der junge Anwalt Sam Myers war in den 60ern nach Paris gelangt, um dort den europäischen Standort seiner US-amerikanischen Kanzlei aufzubauen. Sam und seine Ehefrau Myrna, beide Enkel osteuropäischer Einwanderer und in erster Generation Amerikaner verfielen dem Zauber von Paris und hatten das Glück anlässlich eines Urlaubs in Ascona den Antiquitätenhändler Wladimir Rosenbaum als Mentor zu gewinnen, der sie mit Geschick, Charme und Souveränität in die Welt der Antiken einführte und dem jungen Paar bewusst machte, dass auch mit bescheidenen Mitteln ein Zugang zu authentischen Antiquitäten möglich ist.

Die dann in einem halben Jahrhundert mit Geschmack, Kennerschaft und sicherem Auge zusammengetragene Sammlung vorwiegend ostasiatischen Kunsthandwerks (Porzellan, Jade, Textilien, Skulptur) war 2018 Gegenstand einer viel beachteten Ausstellung im Kimbell Art Museum in Fort Worth/Texas und des dazu erschienenen Kataloges „Two Americans in Paris – A Quest for Asian Art“, welcher neben hunderten von Highlights der Sammlung vor allem die sehr persönliche und mit vielen privaten Erinnerungen und Geschichten garnierte Entstehung dieser Sammlung zum Thema hatte.

Archaische chinesische Jade, geheimnisvolle Objekte aus dem fünften Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung bis zu den ersten kaiserlichen Dynastien der Qin (221-207 v.Chr.). und Han (206 v.-220 n.Chr.), waren schon 2018 ein Schwerpunkt der Präsentation, werden aber durch die nun ausschließlich der Jade aus der Sammlung von Myrna und Sam Myers gewidmete Ausstellung und dem zu ihr erschienenen zweisprachigen (französisch, englisch) Katalog der Fondation Baur in Genf (Musée des Arts d´Extréme-Orient) noch einmal übertroffen. Die in optimaler fotografischer Perfektion meist seitengroß abgebildeten Objekte in Verbindung mit begleitenden Essays, vor allem des römischen Jade-Spezialisten Filippo Salviati und von Jean-Paul Desroches, ehemaliger Chefkonservator des Pariser Musée Guimet, machen bewusst, dass Jade vor Keramik, Bronze, Seide oder Lack das Material war, das der chinesischen materiellen Kultur von ihren Anfängen über Jahrtausende hinweg ihren prägenden Ausdruck verlieh. Da ist einmal die außerordentliche Ästhetik dieses mineralogisch komplexen, transluzenten Materials, das durch Einschlüsse und Beimischungen in zahllosen Varianten von Reinweiß fast über das gesamte Farbspektrum bis dunkelbraun und tiefschwarz vorkommen kann. Und vielleicht war es ja gerade das, was Jade von den frühesten Anfängen der chinesischen Kultur zu einer unangefochtenen Sonderstellung verholfen hat, die Möglichkeit, aus einem unscheinbaren, opaken Steinbrocken ein strahlendes, leuchtendes Objekt zu machen, Was kann es faszinierenderes geben, als aus einem in der Tiefe der Erde verborgenen Mineral ein neues, inneres Strahlen zu wecken, den Kontrast zwischen Dunkelheit und Licht aufzulösen und dem leblosen Material eine neue Bedeutung zu geben. Nicht von ungefähr ist Jade daher in China das Symbol des mythischen qi, der Urmaterie oder kosmischen Energie, aus der durch Aufspaltung in Yang und Yin die alles bestimmenden Gegensätze entstehen, Hell und Dunkel, Himmel und Erde, das Männliche und das Weibliche. In dem Bestreben, die Harmonie zwischen diesen entgegengesetzten Polen herbeizuführen hatten Objekte aus bearbeiteter Jade stets mythische Bedeutung und rituelle Funktion.

Die keineswegs immer gesicherte und oft spekulative aber stets spannende Erklärung der Funktion und Bedeutung dieser fast ausschließlich aus Grabfunden stammenden Objekte ist der Leitfaden, der die 5000 Jahre archaischer chinesischer Jadekultur begleitet. Die frühesten dieser Artefakte aus Jade stammen von der Hongshan-Kultur aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrtausends v.Chr., gefolgt von der Lingjiatan-Kultur (3600-3200 v.Chr.) und sie lassen nicht nur eine zunehmende Perfektion in der Bearbeitung des harten Materials erkennen, sondern auch eine formale, künstlerische Entwicklung zu neuen Formen und einfachem Dekor. Prägend für die darauf folgende Liangzhu-Kultur (3200- 2200) bis zur frühen Bronzezeit (1900 v.Chr.) sind vor allem die in einer fast unendlichen Vielzahl von Farbvarianten und Größen gefundenen Bi-Scheiben und die röhrenförmigen Kongs, zu interpretieren vermutlich als Symbole für den Himmel und die Erde. Mit der Erfindung der Bronze erscheint dann neben Jade ein neues Material als Symbol für Macht und Bedeutung, zugleich aber schaffen technologische Innovationen und stilistische Entwicklungen in den Dynastien der Shang (1600-1046) und vor allem der östlichen Zhou (770-256) mit der Schöpfung luxuriöser und sorgfältig gestalteter Gegenstände einen Höhepunkt künstlerischer Kreativität. Drache und Phönix, oft paarweise und mit reichem Dekor aber immer noch zweidimensional gestaltet, gehören zu den häufigsten Motiven. Die dritte Dimension mit vollplastisch gearbeiteten Figuren, Tieren und Gegenständen kommt in den ersten kaiserlichen Dynastien der Qin (221-206) und der Han (206 v. – 220 n.Chr.) hinzu. Die Steinschneider werden zu Bildhauern, und die Chimären, Himmelspferde und geflügelten Tiger gehören zum Schönsten, was je aus Jade geschaffen wurde. Mit den aus Tausenden kleinen Jadeplättchen zusammengefügten Totenrüstungen für die kaiserliche Familie und höchste Würdenträger erreicht die Begräbniskultur der Han ebenso wie die Bedeutung von Jade für den Übergang ins Reich der Toten einen Höhepunkt, bevor mit der Ankunft des Buddhismus in China und der Idee der Reinkarnation die Vorstellung des Lebens nach dem Tode und mit ihr die Kunstform ritueller Jade als Mittler zwischen Himmel und Erde ein Ende findet.

„The Beginning of the World“ ist eine Hommage an die Schöpfer dieser einmaligen Sammlung, eine Einführung in die komplexe Welt chinesischer Kosmologie und ein Kaleidoskop von Formen und Farben, wie sie kein anderer Edelstein zu offenbaren vermag.

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