Hiroshige

Hiroshige

 

Autor/en:        Matthi Forrer

Verlag:           Prestel

Erschienen:    München London New York 2017

Seiten:            288

Buchart:         Hardcover auf japanische Art in Box

Preis:              GBP 99,00

ISBN:             978-3-7913-8265-4

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Die ersten japanischen Bücher mit Holzschnittillustrationen und Einzelblätter japanischer Farbholzschnitte erreichten Europa über den vor Nagasaki gelegenen niederländischen Handelsposten Deshima (nachweislich) bereits seit dem späten 17. und im 18. Jahrhundert. Auch der deutsche Arzt und Japanforscher Philipp Franz von Siebold brachte um 1830 eine umfangreiche Sammlung dieser Farbholzschnitte mit nach Europa, wo sie in seinem Haus in Leiden öffentlich ausgestellt wurden. Dennoch blieb diese spezifisch japanische Kunstform der Ukiyo-e so gut wie unbeachtet. Zu fremdartig und ungewohnt waren die Portraits von Schauspielern, Konkubinen und Geishas und auch die Ansichten japanischer Fauna und Flora oder die Kompositionen der Landschaftsdarstellungen entsprachen nicht den europäischen Sehgewohnheiten jener Zeit. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren es vor allem Künstler, die die ästhetische Qualität dieser graphischen Kunst entdeckten und sich von ihr beeinflussen ließen. Monet, Manet, Cezanne, Gauguin oder Whistler seien hier genannt, vor allem aber Vincent von Gogh, dessen „blühender Pflaumenbaum“ im Van Gogh Museum in Amsterdam die fast getreue Kopie eines Farbholzschnittes „Pflaumengarten in Kameido“ des japanischen Meisters Hiroshige ist.

Der niederländische Professor Matthi Forrer (*1948), ehemaliger Kurator für japanische Kunst am Nationalmuseum für Ethnologie in Leiden und seit seiner Pensionierung als unabhängiger Kurator tätig, ist einer der weltweit führenden Spezialisten für die während der Edo-Periode in Japan populäre Druckgraphik „Ukiyo-e“. Neben zahlreichen weiteren Publikationen zum Thema lassen insbesondere seine drei bei Prestel erschienenen Biographien der drei bedeutendsten japanischen Ukiyo-e-Meister des 19. Jahrhunderts, Katsushika Hokusai (erschienen 2010), Utagawa Hiroshige (2017) und Utagawa Kunuyoshi (2020, hier vor kurzem besprochen) keine Wünsche offen. Im einheitlich übergroßen Format (Buchrückenhöhe: 37 cm) und auf japanische Art aus einseitig bedruckten Bögen gebunden, werden die Lebensläufe und die künstlerische Entwicklung der drei großen japanischen Meister des Farbholzschnitts detailreich und im Kontext ihrer Zeit vorgestellt. Vor allem ist die Qualität der seiten- oder auch doppelseitengroß wiedergegebenen Drucke so vorzüglich, dass sie wohl nur noch von den Originalen übertroffen werden kann. Da diese Orginale jedoch in der Regel nur hinter Glas bewundert werden können, gibt es für das Studium des japanischen Farbholzschnittes aus der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts zu Forrers drei Foliobänden keine Alternative.

Utagawa Hiroshige (1797-1858) stammte aus einer rangniedrigen Samurai-Familie. Sein Vater, er selbst und auch sein Sohn waren Feuerwehrleute in der Feuerwehrbrigade des Shogun. Hiroshiges zeichnerisches Talent wurde früh erkannt, er wurde schon als Fünfzehnjähriger ein Schüler von Toyokuni (1769-1825), blieb aber mit seinen zunächst nicht sehr zahlreichen Arbeiten ganz dem konventionellen Genre verhaftet. Erst um 1830 begann er sich auf Landschaften und städtische Szenen und auf Darstellungen aus Flora und Fauna zu konzentrieren und schuf 1832 mit der Serie der „53 Stationen des Tokaido-Weges“ sein vielleicht bekanntestes Werk, das sein herausragendes, kompositorisches Talent offenbarte. Weitere Ansichtenwerke, die “Acht Ansichten des Biwa-Sees“, „Berühmte Plätze in Kyoto“, Berühmte Plätze in Osaka“, „36 Ansichten des Berges Fuji“ und zahlreiche andere folgten ebenso wie Vogel- und Blumendrucke. Sein letztes Werk waren die 118 Blätter der „Einhundert berühmten Ansichten von Edo“ für die er im Gegensatz zu den meisten seiner Landschaftsdarstellungen ein ungewöhnliche Bildausschnitte begüntigendes vertikales Format wählte. Hiroshige orientierte sich bei seinen Ansichten und Landschaften häufig an den zu seiner Zeit beliebten und mit Zeichnungen oder einfachen Holzschnitten in schwarz/weiß versehenen Reiseführern, gab ihnen aber durch überraschende kompositorische Details, durch die illustrative Schilderung von Situationen und Erlebnissen oder durch wechselnde, oft dramatische Wetterbedingungen eine unverwechselbare künstlerische Individualität und Kraft. Vor allem ließ Hiroshige wie kein anderer der Ukiyo-e-Meister, auch nicht Hokusai, die Farben sprechen. Hiroshige arbeitete mit raffinierten Farbabstufungen und Schattierungen und verstand es, mit diesen für den Drucker aufwändigen Arbeitsschritten bei identischem Motiv ganz unterschiedliche Eindrücke, Tageszeiten und Stimmungen darzustellen. Es ist ein besonderes Verdienst der Forrerschen Publikation, dass immer wieder die verschiedenen Farbvariationen derselben Drucke einander gegenübergestellt werden.

Es versteht sich, dass neben der Biographie von Hiroshige und der opulenten Illustration des Buches mit fast dreihundert seiner Werke (von insgesamt ca. fünftausend) die Entwicklung der Ukiyo-e-Drucke in der Edo-Periode von den Porträts populärer Schauspieler des Kabuki-Theaters oder schöner Frauen in prächtigen Gewändern bis zur Natur- und Landschaftsdarstellung im 19. Jahrhundert ebenso dargestellt wird wie der Niedergang dieser Kunstform nach der gewaltsamen Öffnung Japans für den Welthandel. Die von der Meiji-Restauration forcierte Übernahme westlicher Gebräuche und Produkte, nicht zuletzt natürlich der Fotografie, bedeutete das Ende einer Kunstform, die trotz ihrer Ausrichtung als preiswertes Gebrauchsgut für ein großes städtisches Publikum stets ein hohes künstlerisches Niveau beibehielt. Die strenge Arbeitsteilung, bei der der Künstler die Entwürfe schuf, der Holzschneider die Druckplatten herstellte, der Drucker den komplizierten und bei Hiroshige besonders aufwändigen Farbdruck besorgte und der Verleger meist der Initiator, Auftraggeber und schließlich der Vertreiber des fertigen Werkes war, mag hierfür eine wesentliche Rolle gespielt haben. Aus diesen Voraussetzungen und der kompositorischen Genialität des letzten  großen Ukyio-e-Meisters Hiroshige wird verständlich, dass es gerade seine Arbeiten waren, die den Aufbruch westlicher Kunst an der Wende zum 20.Jahrhundert wesentlich beeinflussten.

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