Encyclopedia of Embroidery from Central Asia, the Iranian Plateau and the Indian Subcontinent

Encyclopedia of Embroidery from Central Asia, the Iranian Plateau and the Indian Subcontinent

Autor/en:         Gillian Vogelsang-Eastwood, Willem Vogelsang

Verlag:            Bloomsbury Visual Arts

Erschienen:     London New York 2021

Seiten:             488

Buchart:          Hardcover

Preis:               GBP 180,00

ISBN:             978-1-3500-1724-5

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Archäologische Funde belegen, dass die Nadel vor mehr als 20.000 Jahren erfunden wurde. Mag sie anfangs nur nützlich gewesen sein, um Tierfelle aneinanderzufügen, so wird es nicht sehr lange gedauert haben, die so geschaffenen Kleidungsstücke durch einfache Dekore zu verzieren. Keramische Gefäße und die auf ihnen geritzten oder gemalten einfachen, geometrischen Muster  könnten hier Vorbild gewesen sein. Das Sticken ist damit vielleicht die älteste textile Technik, viel älter als das Weben oder gar Knüpfen. Es kann daher kaum verwundern, dass sich in den für die Konservierung organischen Materials prädestinierten Trockenregionen unserer Welt, in der Wüste Taklamakan, in Nordafrika – hier sei als Stichwort „Fostat“ genannt – oder in südamerikanischen Küstenregionen Nadelarbeiten oder Fragmente davon erhalten haben, deren Entstehungszeitpunkt weit vor dem Beginn unserer Zeitrechnung anzusetzen ist.

Für die historische Zeit besteht kein Zweifel, dass das Handwerk der Stickerei in allen Kulturen und auf allen gesellschaftlichen Stufen, vom Hausfleiss bis zum höfischen Bedarf, eine bedeutende Rolle in der textilen Produktion spielte. Dieser Vielfalt entsprechend sind die Techniken, Stile und Anwendungen dieses uralten Handwerks unübersichtlich und kaum zu systematisieren und entsprechend stiefmütterlich ist das Thema in der Literatur behandelt. Das zu ändern hat sich Gillian Vogelsang-Eastwood, die Leiterin des Textile Research Centre in Leiden (NL) zur Aufgabe gemacht und mit der 2016 erschienenen Encyclopedia of Embroidery from the Arab World einen furiosen Anfang gemacht, der prompt mit der Dartmouth Medal der American Library Association für ein Standardwerk mit herausragender Qualität und Bedeutung ausgezeichnet wurde. (Die Besprechung dieses Buches finden Sie im Archiv).

Der soeben erschienene zweite Band der auf sieben Bände angelegten Reihe, die Enzyklopädie der Stickerei aus Zentralasien, dem iranischen Plateau und dem indischen Subkontinent ist wiederum ein um einen vollständigen Überblick bemühtes Nachschlage- und Informationswerk, das versucht, mit fundierten Texten und reichem Bildmaterial Antworten zu geben auf Fragen, und Hilfestellungen zu leisten für die oft schwierige Zuschreibung und Einordnung von Stickereien nach Alter und Herkunft. Jedes der insgesamt 42 Kapitel ist für sein Thema, die geographische Region oder eine besondere Textilgattung selbsterklärend und in sich abgeschlossen. Darüber hinaus aber sind die Kapitel durch ein System von Querverweisen miteinander verbunden und so ergibt es sich von ganz allein, dass der Leser, je nach seinem individuellen Schwerpunkt oder Interesse von einem Thema zum anderen gelangen, Zusammenhänge entdecken, Überraschungen erleben und sein Wissen bereichern kann.

Nach einer Einführung in das Thema, die den zunächst uneinheitlich erscheinenden geographischen Bereich von Zentralasien bis Sri Lanka durch die historischen, kommerziellen, kulturellen und religiösen Verbindungen erklärt, den Leser auf eine kaum fassbare Vielfalt unterschiedlicher lokaler Spielarten der Stickerei einstimmt und auch den Einfluss Europas durch den „Hippie-Trail“ der sechziger Jahre des 20 Jahrhunderts und die Aneignung exotischer Stickmotive durch die Haute Couture von Balenciaga bis Yves St. Laurent kommentiert, befassen sich die ersten Kapitel mit den Grundlagen der Stickerei, dem Material, dem Werkzeug und den Techniken. Es folgen Kapitel zu den seltenen frühen Stickereien aus archäologischen und historischen Quellen von prähistorischer Zeit bis ins 17. Jahrhundert. Fragmente aus den Zeiten der Skythen und Parther sind hier ebenso zu finden wie prächtige Textilien aus den Reichen der Safawiden und der Mogulkaiser. Aus der dann folgenden Reise von Kasachstan bis nach Sri Lanka und den Malediven können hier nur einige Highlights hervorgehoben werden, etwa die tus kiis, die gestickten Wandbehänge der Kasachen, natürlich die Susani, deren Gebrauch, Alter und Stile kurz beschrieben werden, die gestickten chirpy, die mantelartigen Umhänge der Turkmenenfrauen bis zu den seltenen Gesichtsschleiern der Tadschikenbräute. Für den Iran können als Beispiel quajarische Textilien aus Rasht oder zoroastrische Stickereien genannt werden, bevor, nach Mützen, Schuhen und Kleidung aus Afghanistan sich die unendliche Vielfalt lokaler indischer Stammestraditionen auftut. Fast jede der vielen indischen Provinzen wartet hier mit ihrer eigenen Tradition auf, und die Stichworte Pulkhari, Rumal, Banjara oder Zardozi können hier nur für Dutzende weiterer interessanter und oft wenig bekannter Stickereispezialitäten stehen.

Trotz der etwa 500 Abbildungen können die gezeigten Beispiele aus der etwa 30.000 Stück umfassenden Sammlung des Leidener Instituts aber auch aus den großen Museen der Welt, dem British Museum, dem V&A, dem Cooper Hewitt Museum in New York, oder dem Textile Museum in Washington DC, um nur einige zu nennen, nur einen ersten Eindruck und Überblick verschaffen. Der Anhang mit einer äußerst umfangreichen, sich über mehr als 10 Seiten erstreckenden Bibliographie und einer Aufzählung der Museen und Institute weltweit, deren Sammlungen zum Thema weitere Studienmöglichkeiten bieten, ist genau, das, was man in einem Nachschlagewerk, wie es die Encyclopedia of Embroidery ist, erwartet, genauso wie die etwa zwei Dutzend Seiten einnehmende, 123 Positionen umfassende „Stickliste“, die alle Sticktechniken in Wort und Bild erfasst.

Die geplanten weiteren fünf Bände der Encyclopedia of Embroidery werden, Skandinavien und Westeuropa, Zentraleuropa und Russland, Afrika südlich der Sahara, Amerika und schließlich Ostasien  behandeln – man darf gespannt sein.

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