5000 Jahre Kunst und Kultur im Iran – Zwei Ausstellungskataloge: London und Berlin

Epic Iran – 5000 Years of Culture                                       Iran – Kunst und Kultur aus 5 Jahrtausenden

John Curtis, Ina Sarikhani-Sandmann, Tim Stanley               Uta Franke, Ina Sarikhani-Sandmann, Stefan Weber (Hrsg.)

V&A Publishing                                                                     Hirmer Verlag

London 2021                                                                          München 2021

336 Seiten                                                                               396 Seiten

GBP 40,00                                                                                € 49,90

ISBN 978-1-85177-929-1                                                        ISBN 978-3-7774-3804-7

Kommentar: Michael Buddeberg

Es ist kein Zufall, dass fast zeitgleich in zwei bedeutenden europäischen Museen iranische Kunst und Kultur im Mittelpunkt stehen. Während die Schau mit dem Titel „Epic Iran“ im Victoria & Albert Museum in London schon im September dieses Jahres zu Ende ging, steht die Eröffnung der Ausstellung im Museum für islamische Kunst, dem Pergamon-Museum in Berlin, für den 6. Dezember 2021 an. Die zeitliche Koinzidenz ist deshalb kein Zufall, weil beide Ausstellungen von den hochrangigen Exponaten der privaten Sarikhani Collection geprägt werden und ohne deren Initiative und Engagement wohl kaum zustande gekommen wären.

Die erstaunliche Geschichte der Sammlung Sarikhani sei daher vorausgeschickt. Mit wenig mehr als zwei Koffern hat die iranische Familie Sarikhani vor einigen Jahrzehnten ihr Londoner Exil erreicht. Ihr Senior, Ali Sarikhani, war als Wirtschaftsprüfer, Investor und vielseitiger Unternehmer im britischen Dienstleistungssektor außerordentlich erfolgreich und begann vor etwa zwei Jahrzehnten, unterstützt von seiner Tochter Ina Sarikhani-Sandmann, mit dem Aufbau einer repräsentativen Sammlung iranischer Kunst. Es war von Anfang an das Ziel dieser Sammlung, herausragende Zeugnisse iranischer Kunst und Kultur, ihre Bedeutung für die Weltkultur, ihre Kunstfertigkeit und vor allem ihre zeitlose Schönheit der wissenschaftlichen Erforschung und darüber hinaus einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Erfüllung dieses Anspruchs belegen zweifelsfrei die beiden Ausstellungen und natürlich die zu ihnen erschienenen, opulenten Kataloge.

„Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe“, besagt eine Redensart, und die beiden Kataloge präsentiereen das identische Thema – 5000 Jahre iranische Kunst und Kultur – in höchst unterschiedlicher Art und Weise. Im Folgenden wird versucht, die voneinander abweichenden Ideen, Konzepte und Inhalte der Kataloge darzustellen, um damit die Entscheidung für den einen oder anderen Band zu erleichtern. Die einleitenden Gruß- und Vorworte beider Kataloge sind sich dabei noch einig, dass die geographische Lage des Iran im Schnittpunkt von Machtinteressen, Völkerwanderungen und Handelswegen diese Region zur Heimat einiger der wichtigsten Zivilisationen dieser alten Welt gemacht hat. Die Weltreiche der Achämeniden, der Sasaniden und schließlich der Safawiden, die jeweils für hunderte von Jahren den Gang der Weltgeschichte prägten, bestimmen ebenso wie die kleineren oder lokalen Dynastien der Elamiten, Parther oder Timuriden, um nur einige zu nennen, die Chronologie der Darstellung und die Abfolge der Exponate.

Hier, bei den Exponaten, aber beginnen die Unterschiede. Die Berliner Ausstellung wird ganz eindeutig von den Objekten der Sammlung Sarikhani dominiert, die etwa zwei Drittel der rund 360 aus- und vorgestellten Gegenstände ausmachen. Das verbleibende Drittel stammt ausschließlich aus dem Bestand der Staatlichen Museen zu Berlin, dem Museum für Vor- und Frühgeschichte, der Antikensammlung, dem Vorderasiatischen Museum, dem Münzkabinett und natürlich dem Museum für Islamische Kunst. Ganz anders der Londoner Katalog: Hier ist die Sammlung Sarikhani nur mit etwa einem Viertel der insgesamt vorgestellten ca. 240 Objekte vertreten, während der Löwenanteil aus den bedeutendsten Museen und Sammlungen dieser Welt zusammengetragen wurde, dem Britisch Museum, dem Louvre, der Eremitage, dem Ashmolean Museum in Oxford, der Royal Collection der britischen Krone, dem Metropolitan Museum in New York, dem Victoria & Albert und noch einigen anderen mehr. Dass die Objekte der Sarikhani Sammlung neben der Qualität der oftmals weltberühmten Stücke aus den genannten Museen durchaus bestehen,  belegt das herausragende Niveau dieser Privatsammlung. Als Beispiel seien hier die silbervergoldeten Teller mit Jagdszenen aus der Eremitage genannt, die von einem Teller der Sarikhani Collection mit einer tanzenden Göttin, umgeben von Putten und Fischen an Lebendigkeit und Charme trotz der abgeriebenen Vergoldung noch übertroffen werden. Ähnliche Gegenüberstellungen von Objekten aus Glas oder Keramik, von Koranhandschriften oder Miniaturen belegen ebenfalls das hohe Niveau der Sarikhani Sammlung.

Ein weiterer, wesentlicher Unterschied betrifft die jeweiligen Autoren. Während für den Londoner Katalog John Curtis, Direktor der Iran Heritage Foundation und ehemaliger Keeper des British Museum und Tim Stanley als Senior-Kurator des V&A als wissenschaftliche Autoren zeichnen, haben an den Texten des Berliner Kataloges nicht weniger als 28 Autoren mitgewirkt. Diese tragen in meist kurzen und sehr objektbezogenen Kommentaren ihr sehr spezielles Fachwissen bei. Beispielhaft für viele seien hier Oliver Watson mit Beiträgen zur islamischen Keramik erwähnt, Claus-Peter Haase, der zu den Themen Kalligraphie und Miniatur schreibt, Anna Beselin mit einem Teppich aus Kerman oder Eleanor Sims zur Illustration persischer Literatur. Alle diese Beiträge enden mit einem Anhang, der auf einschlägige, weiterführende Literatur verweist und damit ein zentrales Literaturverzeichnis – das im Londoner Band gänzlich fehlt – entbehrlich macht.

Da die ca 1000 Objekte der Sammlung Sarikhani zeitlich nur bis zum Ende der Dynastie der Safawiden und damit bis ins 18. Jahrhundert reichen, ist das auch die Zäsur für den Berliner Katalog, der mit einem Essay von Stefan Weber über die safawidische Metropole Isfahan schließt. Der Londoner Band hingegen streift dann noch die Zeit der Qadscharen, bevor Ira Sarikhani-Sandmann in einem ausführlichen und mit ca. 30 Abbildungen von Malerei, Grafik, Fotografien, Skulptur und neuen Medien illustrierten Beitrag die moderne und zeitgenössische Kunst des Iran vorstellt. Ob die reichliche Bebilderung des Berliner Kataloges mit iranischen Landschaften, mit Architektur und mit Ausgrabungsstätten, die im Londoner nicht enthalten sind, für das vorzeitige Ende der 5000 Jahre entschädigt, ist Ansichtssache. Da es dem Rezensenten schwer fällt, sich für einen Katalog zu entscheiden, werden beide gleichermaßen empfohlen.

 

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