History of the Caucasus – At the Crossroads of Empires – Volume One

History of the Caucasus – At the Crossroads of Empires – Volume One

Autor/en:         Christoph Baumer

Verlag:            I. B. Tauris – Bloomsbury Publishing

Erschienen:     London New York 2021

Seiten:             386

Buchart:          Leinen mit Schutzumschlag

Preis:               ca. GBP 40,00

ISBN:             978-1-78831-007-9

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Man sollte meinen, dass angesichts von Google Earth und der quadratmetergenauen Erfassung des Globus durch Satelliten und GPS die noch von kolonialer Entdeckerleidenschaft geprägten ehrwürdigen Geographie-Vereinigungen mit ihrer Funktion auch ihr historisches Prestige und ihre Daseinsberechtigung verloren haben. Doch die urbritischen Institutionen der Royal Geographic Society und der Royal Asiatic Society ebenso wie ihr amerikanisches Gegenstück, der in New York residierende exklusive Explorers Club, sind nach wie vor im Geschäft, auch wenn sich der Tätigkeitsbereich ihrer Mitglieder von der geographischen Erforschung der Erdoberfläche beispielsweise auf die Erforschung des Weltraums oder der Tiefsee verlagert hat. Auch der Schweizer Entdecker und Historiker Christoph Baumer, ein prominentes und äußerst aktives Mitglied der genannten und noch weiterer Vereingungen, hat diesen Wandel vollzogen. Waren seine in den Jahren von 1994 bis 2009 durchgeführten insgesamt 5 Expeditionen in die Wüste Taklamakan, der menschenfeindlichen „Wüste ohne Wiederkehr“ im Westen Chinas, noch der Ausfüllung von einigen der letzten weißen Flecken auf unserem Globus gewidmet, so hat er inzwischen durch seine opulente vierbändige Geschichte Zentralasiens Maßstäbe für eine moderne durch Feldforschung und Quellenstudium getragene und mit reichem Bildmaterial versehene Geschichtsschreibung gesetzt.

Mit dem nun vorliegenden Volume One der auf zwei Bände angelegten Geschichte des Kaukasus wird Christoph Baumer seinem selbst geschaffenen Anspruch mehr als gerecht. Gemessen an der unendlichen Weite Zentralasiens ist die Region zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer zwar nur ein kleiner Bereich des eurasischen Kontinents, doch es sind genau diese Lage und die geographische Beschaffenheit mit hohen Gebirgszügen, unwegsamen Pässen und engen Tälern, die den Kaukasus zu einem komplexen Eroberungs-, Durchzugs- und Rückzugsgebiet haben werden lassen mit einer ununterbrochenen Abfolge politischer und militärischer Turbulenzen und einer daraus resultierenden äußerst unübersichtlichen Geschichte. Symptomatisch ist, dass irgendwo im Kaukasus auch die Grenze zwischen Europa und Asien liegt und dass sich die Wissenschaft bis heute über den exakten Verlauf dieser Grenze nicht einigen kann. Dies mag neben der Komplexität ein weiterer Grund dafür sein, dass die Geschichte des Kaukasus von Wissenschaft und Literatur bisher vernachlässigt wurde.

Baumer beginnt sein Werk in vorgeschichtlicher Zeit mit der geologischen Entstehung des Kaukasus, dem Auftreten des homo georgicus vor ca. 1,8 Millionen Jahren, vereinzelten Spuren des homo sapiens im Paläolithikum und kommt mit frühsteinzeitlichen Kulturen des Neolithikum  in der eigentlichen Geschichte an. Ca. 5000 Jahre alte Petroglyphen mit der Darstellung eines Pfluges setzen hier so etwas wie eine Zäsur. Etwa um 800 v. Chr. ist Urartu im südlichen Kaukasus die erste Staatenbildung, deren Festungsruinen von der Auseinandersetzung mit Nachbarn erzählen. Assyrer und Meder, Skythen und Sarmaten hinterließen in den nachfolgenden Zeitläuften archäologische Spuren ebenso wie griechische Handelsniederlassungen. Um die Zeitenwende war dann Armenien mit der im Schatten des Ararat erbauten Hauptstadt Artaxata und den sich nördlich anschließenden Kleinstaaten Iberia, Albania und Kolchis, ein lange Zeit bestimmender Machtfaktor. Jahrhunderte später wurde das christlich gewordene Armenien im Westen von Byzanz und im Süden vom Reich der persischen Sassaniden bedrängt, bis sich mit dem Erstarken der Seldschuken und deren Eroberungserfolgen um 1050 das Machtgefüge der Region vollkommen verändert. Damit endet der erste Band.

Was hier nur ein reichlich unscharfer Parforceritt durch Jahrtausende sein kann, ist tatsächlich eine spannende, überraschend detailreiche und sowohl lesbar und überzeugend geschriebene Geschichte des Kaukasus, die sich aus historischen armenischen und georgischen Quellen ebenso bedient wie aus der griechischen und römischen Geschichtsschreibung und aus überlieferten Mythen und Legenden. Und immer dann, wenn es schwierig wird, die Zusammenhänge zu begreifen, sorgen Karten für Klarheit, geographische Zuordnung und Grenzverläufe. Ganz besonders hervorzuheben ist die großartige Illustrierung des Buches. Hunderte von Bildern, Aufnahmen eindrucksvoller kaukasischer Landschaften, archäologische Funde aus lokalen Museen, Goldschmuck im skythischen Tierstil aus der Eremitage von St. Petersburg, Ruinen aus archaischer Zeit, Tempel, Klöster und Kirchen, Moscheen und Festungsbauten vor allem aus Armenien und Georgien, lassen zusammen mit sakralen Innenräumen, Wandmalerei und Architekturdetails ein lebendiges Bild einer reichen materiellen Kultur entstehen, das den Gang der Geschichte kongenial begleitet und anschaulich macht. Ein Anhang, der die ethnische und sprachliche Vielfalt der Region durch tabellarische Ordnung verdeutlicht und die Chronologie der wichtigsten kaukasischen Dynastien mit weit über zweihundert Herrschern setzen interessante Schlusspunkte.

Text und Bild machenneugierig auf Band zwei und weitere tausend Jahre kaukasischer Geschichte bis zur Gegenwart. Hier darf man neben dem Gang der jüngeren Geschichte, dem Einfluss des Osmanischen Reichs auf die Region und der Rolle Russlands seit dem 19. Jahrhundert vor allem auf Christoph Baumers Bericht und Kommentar zu den Folgen des Zerfalls der Sowjetunion für die nordkaukasischen ehemaligen Sowjetrepubliken und zu den kaum lösbar erscheinenden Konflikten um Bergkarabach, um Süd-Ossetien und Nachitschewan gespannt sein.

 

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