Der Silberpalast des Garuda – Die Entdeckung von Tibets letztem Geheimnis

Autor/en: Bruno Baumann
Verlag: Malik Verlag (Piper Verlag)
Erschienen: München 2006
Seiten: 326
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 24.90
ISBN: 3-89029-306-9
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2006

Besprechung:
„Atlantis, Troja, Shang Shung“ und „die spektakuläre Wiederentdeckung eines verlorenen Reiches“ oder „die moderne Forschung ist um eine Sensation reicher“, so tönt es marktschreierisch von den Buchdeckeln dieser neuen Publikation eines bekannten Abenteurers und endet mit der gewagten Behauptung: „Bruno Baumann ist der Schliemann des 21. Jahrhunderts“. Dem Verlag mag man solche vollmundigen Aussagen vielleicht nachsehen, hat er doch die Auflage und den wirtschaftlichen Erfolg seines Buches im Auge, doch was hat Bruno Baumann wirklich entdeckt? Nach der kurzweiligen, hochinteressanten und spannenden Lektüre dieses wie immer von Bruno Baumann gut geschriebenen und gut recherchierten Buches reduziert sich seine Entdeckung auf die Erstbefahrung des Sultej-Canyons, eine gefährliche, aufregende und bewunderungswürdige Leistung eines Berufsabenteurers, die man von der sportlichen, landschaftlichen und abenteuertechnischen Seite fiebernd miterlebt. Die Fahrt über Katarakte und Stromschnellen und über türkis-klares Wasser in der Schattendämmerung des von bis zu 400m hohen Felswänden gesäumten Sultlej, wissend, dass ein Rückweg unmöglich ist und nicht wissend, ob nicht unüberwindliche Blockaden, Wasserfälle oder Wildwasser plötzlich jedes weitere Fortkommen verhindern, das ist Bruno Baumann vom Besten und reiht sich nahtlos an die Schilderungen der mutigen Alleingänge Baumanns durch die Wüsten Gobi und Taklamakan. Auch der Besuch des Dangra Yum Tso, eines großen Sees nördlich des Transhimalaya, ein Rückzugsgebiet des uralten Bon-Glaubens an der Grenze zum wilden Changthang, natürlich nicht mit dem Landcruiser, sondern, quasi standesgemäß, mit einer Yak-Karawane oder der lange Fußweg auf der Salzstraße von Simikot in Nepal über den alten tibetischen Handelsort Purang zum Heiligen Berg Kailash, ist glänzend, kenntnisreich und informativ von einem der besten Kenner Tibets geschrieben, ist beste Reiseliteratur. Das ganze wird, dem Thema entsprechend, reich garniert mit Exkursen über die tibetische Frühgeschichte, über die historischen tibetischen Könige der Yarlung-Dynastie, die wechselhafte Ausbreitung des Buddhismus in Tibet, über das geheimnisvolle Königreich Shang Shung im Westen Tibets und die dort praktizierte Religion des Bon. Auch das ist vom Autor gut recherchiert und um vieles unterhaltsamer und spannender zu lesen als so mancher Bericht von Historikern oder Religionswissenschaftlern. Und es ist auch hochinteressant, den Fragen nachzugehen, was das für eine Religion gewesen ist, die vor dem Buddhismus in Tibet existiert hat, was der in Tibet praktizierte Buddhismus von dieser früheren Religion übernommen hat und warum, welche Religions- und Machtkämpfe es gegeben hat und weshalb von dem ehemaligen Bon-Reich Shang Shung nur so wenige Spuren übrig geblieben sind. Wie war das mit Songtsen Gampo und seinen buddhistischen Ehefrauen aus China und Nepal, zu welchem Glauben hat sich dieser machtvolle Herrscher tatsächlich bekannt, welche Rolle hat der indische Mystiker Padmasambhava gespielt und kann man die kaum bekannte Kultur der Bon wirklich als eine Hochkultur bezeichnen, mit Religion, Schrift und Sprache und Kenntnissen über Medizin und Astrologie? Gewiß ist die monastisch tibetische Geschichtsschreibung hier unvollständig, hat Wahrheiten, Einflüsse und Schriften unterdrückt und zerstört, wie das Eroberer stets getan haben, doch kann man daraus wirklich den Schluss ziehen, dass die Wurzeln der tibetischen Kultur und Religion in Shang Shung und nicht in Indien liegen? Hier ist Bruno Baumann vorzuwerfen, dass der Leser oft im Unklaren gelassen wird, wo Berichterstattung endet und Vermutungen oder Spekulationen beginnen. Auch wird durchaus nicht klar, dass die spektakulären Reste des Silberpalastes im Garuda-Tal, einst vermutlich einer der Stammsitze der Könige von Shang Shung, dessen Suche und Entdeckung der Titel gebende Höhepunkt des Buches ist, seit Jahren bekannt, beschrieben und fotografiert ist. Die Quellen sind allerdings im Literaturverzeichnis genannt und so trifft der Vorwurf letztlich mehr den vollmundig werbenden Verlag als den Autor, der ein ungemein spannendes und lesenswertes Buch über eine der entlegendsten und nur unter großen Schwierigkeiten und Strapazen zu erreichende Region geschrieben hat. Und so stimmt letzten Endes vielleicht sogar der Vergleich mit Heinrich Schliemann, von dem man heute weiß, dass er die Grenzen zwischen historischer Wahrheit und Spekulation manchmal recht locker gehandhabt hat.

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