Textiles of Indonesia – The Thomas Murray Collection

Textiles of Indonesia – The Thomas Murray Collection

Autor/en:         Thomas Murray et.al.

Verlag:            Prestel Verlag

Erschienen:     München London New York 2021

Seiten:             556

Buchart:          Leinen mit Schutzumschlag

Preis:               GBP 75,00

ISBN:             978-3-7913-8765-9

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Auf einer Fläche, in die der ganze indische Subkontinent fast zweimal hineinpasst, bilden mehr als siebzehntausend Inseln einen gewaltigen Archipel und mit Indonesien den größten Inselstaat auf unserem Erdball. Über dreihundertsechzig verschiedene Ethnien, die mehr als zweihundertfünfzig unterschiedliche Sprachen sprechen, verteilen sich auf die ca. sechstausend dauerhaft bewohnten Inseln und haben schon immer den klaren Blick auf die Geschichte, Kultur und Entwicklung dieser Weltgegend erschwert. Dass der Äquator dieses Inselreich durchschneidet und die Bergregionen der großen Inseln von kaum zugänglichen Dschungeln bedeckt sind, macht das alles nicht leichter. Gleichwohl brachten frühe Reisende, Gewürzhändler, Missionare und Kolonialbeamte, später auch Abenteurer, Touristen und Künstler von dort Informationen und Beispiele einer reichen und lebendigen textilen Kultur mit nach Hause. Öffentliche und private Sammlungen und ein wachsender Korpus einschlägiger Literatur verschafften indonesischen Textilien einen wichtigen Platz im textilen Welterbe.

Der kalifornische Forscher, Sammler und Händler Thomas Murray hat sein Gespür für das ästhetisch Besondere und Schöne zuletzt mit den Publikationen der Textilien der japanischen Ainu und von höfischen Stoffen aus Okinawa (Textiles of Japan – Prestel Verlag 2018) sowie von ausgefallenen Skulpturen aus dem Himalaya und Südostasien (Rarities – HALI Publications 2019) unter Beweis gestellt. Dass dies nur die Spitze des Eisbergs war, offenbart nun das Buch mit ausgewählten Exemplaren seiner Sammlung indonesischer Textilien, die mit der schieren Anzahl von zweitausend Objekten, vor allem aber hinsichtlich der Qualität, der Schönheit und dem oft hohen Alter der Webarbeiten weltweit konkurrenzlos sein dürfte. Vierzig Jahre engagiertes Sammeln, eine nie versiegende Neugier und Reiselust mit daraus resultierender Feldforschung, das Studium öffentlicher und privater Sammlungen in Ost und West, die Unterstützung durch ein weltumspannendes Netz von Kollegen, Freunden und Forschern und – last not least – der massive Einsatz wissenschaftlicher Methoden haben, zusammen mit einem Team von vierzehn Autoren ein Buch geschaffen das seinen Rang als das maßgebende Standardwerk zu einer der vielfältigsten und aufregendsten textilen Traditionen dieser Welt auf Anhieb gewonnen hat und lange Zeit behalten wird.

Bis vor einigen Jahrzehnten hat es die Fachwelt bedauert, dass das tropische Klima Indonesiens archäologische Textilfunde wie man sie aus Zentralasien oder Nordafrika kennt, ausschließt und damit einen Blick in die textile Vergangenheit dieser Region verwehrt. Erst die Entdeckung des radioaktiven Zerfalls eines bestimmten Kohlenstoffisotops und hieraus die Entwicklung der sogenannten C-14-Methode zur Altersbestimmung von organischem Material hat über eine „Archäologie im Familienschatz“ diesen Blick möglich gemacht. Die in den genuinen indonesischen Gesellschaften außerordentlich wichtige Rolle von Textilien in Ritual und Kult hat zu deren hoher Wertschätzung und damit zu besonders sorgfältiger Aufbewahrung über Generationen hinweg und zu der erstaunlichen Erkenntnis geführt, dass auch im tropischen Klima Textilien viele Jahrhunderte fast unbeschadet überstehen können. Thomas Murray kann, was die Anwendung dieser auch heute noch umstrittenen Methode auf indonesische Textilien anlangt – hierzu gehören auch die dort gefundenen, sehr frühen indischen patolas ebenso wie bedruckte Baumwollstoffe – hier als ein Pionier bezeichnet werden, der ein Fenster in eine bisher nicht zugängliche textile Vergangenheit geöffnet hat. Details und die genauen Ergebnisse der bei der ETH in Zürich und der Universitätvon Arizona durchgeführten Tests sind in einem Anhang abgedruckt. Etwa ein Drittel der fast 400 in dem Buch präsentierten Textilien wurden C-14-datiert und das Alter vieler Stücke reicht bis ins 17., 16. oder gar 15. Jahrhundert zurück. Diese, wenn auch systembedingt oft nur vagen Datierungen lassen Feststellungen und Thesen über die technische und ästhetische Entwicklung textiler Gestaltung zu, die noch vor Jahren unmöglich schienen. Sie bestätigen darüber hinaus dem Sammler Thomas Murray das intuitive Gespür für Alter und Qualität, das diese einzigartige Sammlung prägt.

Thomas Murray ist nur einer von insgesamt vierzehn Autoren dieses Buches. Als Sammler, als Autor des sehr persönlich gehaltenen Vorworts und spiritus rector des gesamten Buchprojekts sei er für diese Rezension wider alle Zitierregeln als einziger namentlich genannt. Den gewaltigen Archipel und seinen riesigen und nicht immer übersichtlichen textilen Schatz hat Murray in neun geographische Regionen auf- und, wo erforderlich, noch weiter unterteilt und die jeweis einleitenden Texte erfahrenen und hochrangigen Forschern, Kuratoren, und Professoren aus Amerika, Asien, Europa und Australien – hier sind Frauen sehr deutlich in der Überzahl – überlassen. Die großen Inseln des Archipels, Sumatra, Borneo und Sulawesi dominieren die Präsentation, doch kleinere Inseln wie Bali, Sumba, Timor und Flores oder die  im Osten, fast schon in der Weite des Pazifik gelegenen Eilande, deren Namen man kaum je gehört hat, halten immer wieder textile Überraschungen bereit. Aber natürlich sind es in allererster Linie die Textilien selbst, die hier sprechen und begeistern, ihre technische Perfektion und unendliche Vielfalt ästhetischer Gestaltung und das reiche Repertoire unterschiedlichster Ikatgewebe, glänzender Seidenstoffe, schimmernder Gold- und Silberbrokate, zarter Stickereien, narrativer Batikarbeiten und phantasievoller Perlstickereien. Fotos, Farben und Druckqualität entsprechen höchstem Standard, viele Detailvergrößerungen und Ausklapptafeln ermöglichen weitere Einblicke, Übersichten und Vergleiche und die  Bildlegenden enthalten neben den notwendigen Angaben auch Hinweise auf frühere Publikationen und Provenienzen, die für das Verständnis von Entstehung und Struktur der Sammlung Thomas Murray wichtig sind.

Das bewährte Team von HALI Publications – Danny Shaffer als senior editor, Misha Anikst als Chef-Designerin und Don Tuttle als team-leader der Fotografen – hat wiederum ein Buch geschaffen, wie man es besser nicht machen kann, das allerdings mit einem Gewicht von 4,25 kg die Brauchbarkeit als Handbuch, über die ein solches Standardwerk eigentlich verfügen sollte, längst hinter sich gelassen hat.

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