Indian Tiles – Architectural Ceramics from Sultanate and Mughal India and Pakistan

Indian Tiles – Architectural Ceramics from Sultanate and Mughal India and Pakistan

 

Autor/en:         Arthur Millner

Verlag:            Prestel

Erschienen:     München London New York 2021

Seiten:             304

Buchart:          Leinen mit Schutzumschlag

Preis:               GBP 69,99

ISBN:             978-3-7913-8766-6

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Das von Mogul-Kaiser Shah Jahan (1592-1666) in den Jahren 1632 bis 1648 errichtete Grabmal für seine geliebte Frau Mumtaz Mahal, das Taj Mahal, ist dank seiner einmaligen Kombination von Harmonie, Pracht und Handwerkskunst nicht nur ein berührendes Zeugnis unvergänglicher Liebe und ein schon 1983 zum Weltkulturerbe gekürtes Architekturdenkmal sondern auch die Ikone indischer Baukunst schlechthin. Der in weit entfernten Steinbrüchen gewonnene, blendend weiße Marmor für die Außenhaut und deren pietra-dura-Dekoration im elegant-floralen Stil der Mogul-Zeit mit Lapislazuli, Achat und Karneol verschaffen dem Taj Mahal eine unbestrittene Alleinstellung in der indischen Architektur.

Fliesen, glasierte Keramik, sucht man beim Taj Mahal vergebens, obwohl im 17. Jahrhundert solcher Dekor in der islamischen Architektur, etwa in Persien, Zentralasien, Anatolien oder in  Nordafrika eine Blütezeit erlebte. Ist also diese Dekorationstechnik in Indien unbekannt geblieben? Keineswegs, wie nun erstmals in einem opulenten Buch über indische Fliesen von Arthur Millner zu bewundern ist. Für den Autor ist die Dekorationstechnik mit glasierten Fliesen gegenüber den skulpturalen Arbeiten in Terrakotta, Stein oder Metall oder gegenüber den Werken der Miniaturmalerei und der Textilkunst, für die Indien berühmt ist, eine der zwar reichsten aber am meisten unterschätzten indischen Kunsthandwerkstraditionen. Der Grund für diese Vernachlässigung ist klar: Der Fliesenschmuck von Bauwerken ist, zumal unter den klimatischen Verhältnissen Indiens vergänglich. Fliesen sind zerbrechlich, leicht abnehmbar, nicht erdbebensicher, vom Handel und von Touristen begehrt und daher beliebtes Objekt für Schmuggel und Kunstraub, oft auch durch unsachgemäße Reparatur oder laienhafte Restaurierung ihrer ursprünglichen Funktion und Wirkung entkleidet.

Millners Buch ist neben der Beschreibung von Material und Techniken vor allem eine eindrucksvolle Bestandsaufnahme der Plätze und Bauten, wo Fliesen heute noch in situ zu sehen sind. Es sind, vom Rezensenten geschätzt, einige mehr als einhundert. Das klingt nach einer großen Zahl, doch gemessen an der Fläche des Subkontinentes, also einer Region, die einen Teil Afghanistans und Pakistan im Westen des Subkontinents bis Bangladesh in dessen Osten einschließt, wird verständlich, dass die Recherche des Autors fast so mühsam war wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Und mehr als einmal ist es ihm geschehen, dass er nach verheißungsvollen Hinweisen aus Bibliotheken oder alten Reiseberichten an Ort und Stelle feststellen musste, dass von der erwarteten einstigen Fliesenpracht nichts mehr vorhanden war.

Der Gang der Darstellung folgt einer chronologischen Ordnung und beginnt in vorislamischer Zeit. Beispiele für Fliesenschmuck sind hier rar; in dieser frühen Zeit, etwa während der Kushan-Periode dominierten in der Kunst und Architektur Indiens unglasierte skulpturale Arbeiten in Terrakotta. Es folgt die Zeit der Ankunft des Islam in Indien, welcher dort allerdings nur langsam von West nach Ost vorankam, denn es galt, den etablierten Buddhismus zu verdrängen. An dieser Stelle ist anzumerken, dass Fliesen natürlich keine Erfindung des Islam sind, dass aber deren Entwicklung zum kunstvollen Architekturdekor und dessen Verbreitung weit über die arabische Welt hinaus nicht ohne die islamische Expansion zu denken sind. Als ein markantes Beispiel für diese Frühzeit sei hier das Ghurid Minaret von Jam in Afghanistan aus dem Jahre 1194 erwähnt, das wegen seiner Lage in einem einsamen, entlegenen Felsental dem Westen erst 1957 bekannt wurde. Ein Schriftband aus blau glasierten Fliesen setzt hier einen lebendigen Akzent in den skulpturalen Ziegeldekor. In der Zeit der Sultanate werden Fliesendekore als horizontale Schmuckbänder, Rahmen oder Füllungen mehr und mehr gebräuchlich, bevor in der frühen Mogulzeit, etwa mit dem Mausoleum des zweiten Mogulherrschers Humayun in Delhi islamischer Fliesendekor in Indien endgültig angekommen ist. Die Regierungszeiten der großen Mogul-Kaiser Akbar (1556-1605), Jahangir (1605-1627), Shah Jahan (1658-1707) und Aurangzep (1658-1707) markieren dann die Blütezeit indisch-islamischer Fliesenkunst, die sich den kalligraphischen und den von Arabesken bestimmten Dekor dieser Kunst zu eigen macht, sich aber durch die Verwendung naturalistisch floraler Elemente und durch die fantasievolle Verwendung von leuchtenden Farben von anderen islamischen Fliesentraditionen durchaus unterscheidet. Beispiele aus den Zentren des Mogul-Reiches, etwa aus Fatehpur Sikri, Delhi oder Lahore und viele andere mehr belegen die technische und künstlerische Qualität und vor allem die Eigenständigkeit der indischen Fliesentradition. Parallel zu diesen Zentren im Norden Indiens finden sich, wenn auch dünn gesäht und oft durch das Klima und die Zeitläufte zu Fragmenten reduziert bemerkenswerte Fliesendekore beispielsweise in Deccan, Bengalen, in Multan, in manchen Hindustaaten und, mit europäischem Einfluss, auch im portugiesischen Goa.

Das alles ist glänzend beschrieben, reich, perfekt und mit vielen, oft doppelseitengroß wiedergegebenen Details illustriert, mit Glossar, Bibliographie und Index versehen und um ein als „Katalog“ bezeichnetes Kapitel ergänzt, das mit 150 Bildern von Beispielen von den originalen Schauplätzen aber auch aus wichtigen Museumssammlungen, vor allem aus dem Victoria & Albert Museum in London, die Entwicklung und Bandbreite indischer Fliesentradition von ihren Anfängen bis ins 19. Jahrhundert nochmals anschaulich vor Augen führt. Millners „Indian Tiles“ ist mit seinem Erscheinen das Standardwerk zum Thema und wird es wohl auch für lange Zeit bleiben.

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