Dressed for Immortality – An Inscribed Silk for the Han Nobility

Dressed for Immortality – An Inscribed Silk for the Han Nobility

Autor/en:         Michèle Grieder

Verlag:            Abegg-Stiftung,

Erschienen:     Riggisberg 2022

Seiten:             124

Buchart:          Klappenbroschur

Preis:               CHF 25,00

ISBN:             978-3-905014-76-1

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

War es der Wunsch nach der Tilgung der letzten weißen Flecken auf der Weltkarte, die Suche nach den Spuren ausgestorbener Kulturen oder einfach eine Spätform des Kolonialismus, der um die Wende vom 19. zum 20 Jahrhundert die Wüsten des östlichen Turkestan ins Zentrum europäischer Forscher rückte. Es war der ungarische Archäologe Sir Aurel Stein, der 1906 die Ruinen der verlassenen und vergessenen Oasenstadt Loulan am einstigen Ufer des vor Jahrhunderten versandeten Sees Lop Nor erreichte und frohlockte „… keine Deutschen und keine Franzosen – das tausend-Meilen-Rennen von Khotan ist gewonnen“. Nicht wirklich, muss man sagen, denn der Schwede Sven Hedin hatte Loulan schon sechs Jahre zuvor entdeckt. Doch Aurel Stein stand in Diensten des British Museum, kam 1914 erneut nach Loulan und brachte neben vielen anderen Artefakten das Fragment einer chinesischen Seide mit eingewebten Schriftzeichen nach Europa, das als erstes seiner Art wegen seiner aufwändigen Technik und der leuchtenden Farben wissenschaftliches Aufsehen erregte.

Chinesische Archäologen haben dann in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und bis heute in den Wüsten Xinjiangs, etwa in der in der Taklamakan-Wüste gelegenen ehemaligen Oase Niya tausende im Wüstenklima erhaltene Textilien ans Tageslicht gebracht, doch solche mit Inschriften blieben äußerst selten und rätselhaft. Da ist ein aus mehreren Teilen bestehendes Fragment einer Robe aus Seide mit eingewebten Inschriften, das die Abegg-Stiftung in den Jahren 2001 und 2003 auf dem englischen Kunstmarkt erwerben konnte, eine kleine textile Sensation und nun Gegenstand einer vor kurzem erschienenen Monographie der Abegg-Stiftung.

Michèle Grieder studierte Sinologie und ostasiatische Kunst und hat sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Abegg-Stiftung der alten Textilkunst Chinas verschrieben. Ihr Buch über die außergewöhnliche Jin-Seide enthält eine vollständige wissenschaftliche Beschreibung aller denkbaren Aspekte dieses einzigartigen textilen Kunstwerkes aus der Zeit der Östlichen Han-Dynastie (25-220 n.Chr.) und stellt es darüber hinaus in den Kontext des gestalterischen Reichtums der Textilien aber auch anderer kunstgewerblicher Erzeugnisse jener Zeit und entführt den Leser zugleich in die gesellschaftliche, politische, geistige und religiöse Welt des alten China.

Das erste der fünf Kapitel ist eine kleine Geschichte der Archäologie in den Wüsten Zentralasiens, heute überwiegend in Xinjiang, der westlichsten Provinz Chinas gelegen. Um die Zeitenwende war die heute vollkommen wasser- und niederschlagsfreie Sandwüste Taklamakan von Flüssen und Seen durchzogen, an deren Ufern Oasenstädte lagen, die vor allem vom Handel auf der Seidenstraße lebten. Vor allen in den Gräbern bei Loulan und Niya wurden tausende, im trockenen Sand gut erhaltene Textilien gefunden, die das Wissen um die Entstehung, Entwicklung und die Techniken der chinesischen Stick- und Webkunst wesentlich bereicherten. Und nur hier wurden, wenn auch in geringer Menge und meist als kleine Fragmente polychrome Gewebe in komplizierter Leinwand-Kett-Kompositbindung, die sogenannten Jin-Seiden gefunden, in die neben einem Design aus Wolken oder Wolkenbändern, zwischen welchen sich hybride, glücksverheißende Wesen tummeln, zusätzliche Schriftzeichen eingewebt sind. Kapitel zwei ist dann diesen Wolken und mythischen Wesen gewidmet, in Zeiten der Han-Dynastie beliebte Designelemente, die über ihre dekorative Funktion hinaus einen Bedeutungsgehalt transportieren. Das vielfach variierte Wolkenmotiv ist ein Hinweis auf himmlische Regionen, wo sich die sagenhaften Unsterblichen aufhalten und zugleich Sehnsuchtsort für das erhoffte Leben nach dem Tod. Die als Drachen aber auch als mystische, geflügelte Menschengestalten deutbaren Wesen, andere ähneln Wildkatzen und Hunden, scheinen voller Energie und bereit, den Sterblichen in neue Welten zu begleiten und zu führen. Der Kult um das Erreichen der Unsterblichkeit mit göttlicher Hilfe, symbolisiert durch Wolken und glücksverheißende Wesen, war ein vom Daoismus beeinflusstes und wichtiges Thema hanzeitlicher Glaubensvorstellungen. Das zentrale und spannende Kapital drei ist dann der Inschrift gewidmet. Mit der Riggisberger Jin-Seide hat sich nicht nur die bisher einzig bekannte, vollständige Inschrift erhalten, sondern diese ist mit 21 Schriftzeichen auch außergewöhnlich lang. Und sie beschwört nicht, wie in den wenigen bekannten Vergleichsbeispielen, in fantasievollen Wendungen und Vergleichen Glück und langes Leben. Die locker und harmonisch in das Wolken-Kreaturen-Design eingestreuten Zeichen bemühen vielmehr die Astronomie für die Verheißung guter irdischer Herrschaft und sind Symbol für die enge Beziehung zwischen Himmel und Erde. Die damals bekannten fünf Planeten werden als gutes Omen für das zentrale Königreich, als Schutz vor den an den Grenzen drohenden Barbaren und als Garant für Frieden und Wohlstand beschworen. Dies und auch die im folgenden Kapitel untersuchten technischen Parameter, der komplizierte Webstuhl, die Farben, die Datierung – natürlich auch mit C14 – in die erste Hälfte des 1.Jahrhunderts nach der Zeitenwende und das damals noch strikt bestehende chinesische Staatsmonopol für derartige Luxustextilien machen klar, dass die Riggisberger Robe für einen Würdenträger hohen oder höchsten  Ranges bestimmt war. Und wenn auch bei diesem Artefakt der Fundzusammenhang unbekannt ist, so stellt sich doch die Frage, wie diese Seide in das Grab in einer weit im Westen des damaligen chinesischen Kernlandes gelegenen Oase gelangte? Und weitere Fragen schließen sich an: Waren diese kostbarsten aller Seidengewebe ausschließlich für das Begräbnisritual bestimmt? Wurden diese Statussymbole auch in China getragen? Und, wenn ja, von wem und wann und wo? Wie in jeder ernsthaften wissenschaftlichen Arbeit werden in Grieders Monographie nicht nur Fragen beantwortet, sondern künftige Forschung angeregt. Die moderne Archäologie lässt hoffen, dass auch diese weiteren Fragen irgendwann Antworten finden werden.

 

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