Ausstellungen und Kataloge zu spätantiker und präkolumbischer Textilkunst

Kommentar: Michael Buddeberg

Man kann es nicht anders sagen: Das Restitutionsfieber grassiert – und es droht epidemisch zu werden. Hat doch vor einigen Wochen eine südamerikanische Botschaft eine kleine von privater Hand für eine Auktion eingelieferte Sammlung präkolumbischer Textilien als Restitutionsgut reklamiert und mit Hilfe der Polizei deren Versteigerung verhindert. Die Klärung dieses Vorfalls wird Jahre dauern und das Ergebnis ist offen. Macht das Beispiel Schule wird die Verkehrsfähigkeit archäologischer Textilien, ein interessantes und wegen des reichlich vorhandenen Materials auch für junge Sammler reizvolles Sammelgebiet, massiv eingeschränkt. Gewiss – die fast gänzliche Ausrottung präkolumbischer Völker durch die Konquistadoren war eine Frühform des viel geschmähten Kolonialismus und Raubgrabungen nach den in den wüstenhaften Regionen westlich der Anden erhaltenen Mumien und ihren Textilien sind noch heute an der Tagesordnung. Doch kann sich ein südamerikanischer Staat wirklich der Rechtnachfolge nach längst untergegangenen Völkern berühmen? Und kann sich eine Restitutionsbehauptung gegenüber privatem Eigentum durchsetzen? Diese und viele weitere Fragen werden zu beantworten sein.

Wie dem auch sei, nicht weniger als drei Ausstellungen widmen sich in diesen Tagen dem Thema archäologischer Textilien aus Ägypten und Südamerika und alle drei sind sehenswert. Da ist zunächst die Abegg-Stiftung in Riggisberg im Berner Oberland, die unter dem Titel „Menschen, Tiere, Götterwesen“ textile Schätze aus dem alten Peru bis zur frühen Kolonialzeit zeigt (bis 13. November; der gemeinsame Sammlungskatalog der Abegg-Stiftung und des Museums Rietberg von Calonder/Rickenbach ist schon 2007 erschienen und noch erhältlich – die Rezension ist im Archiv zu finden).

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Think Big! – Gail Rothschild porträtiert spätantike Textilfunde aus Ägypten

Autor/en:         Cäcilia Fluck, Kathrin Mälck (Hrsg.)

Verlag:            Schnell + Steiner                                  

Erschienen:     Regensburg 2022

Seiten:             111

Buchart:          Broschur

Preis:               € 15,00

ISBN:             978-3-7954-3739-8

 

Es sind nur neun mehr oder weniger fragmentarische Wirkarbeiten aus der Spätantike (4. bis 10. Jahrhundert) aus dem Bestand des Berliner Museums für Byzantinische Kunst, ausgegraben aus dem trockenen Sand Ägyptens und allesamt in handlicher Größe, die derzeit (bis zum 31. Oktober) im Bode-Museum zu sehen sind. Doch das ist nicht alles. Jeder einzelne dieser spätantiken Schätze aus dem byzantinischen und früharabischen Ägypten wurde für die amerikanischen Künstlerin Gail Rothschild zur Vorlage wandgroßer, mehrere Quadratmeter messender Gemälde in Acryl auf Leinwand. Das faszinierende an dieser Gegenüberstellung ist nicht etwa die bloße Vergrößerung ins Monumentale, wie sie auch die fotografische Technik ermöglicht, sondern die mit dem Blick einer Künstlerin geschaffene Interpretationen dieser kleinen, nur zufällig erhaltenen, meist leuchtend bunten Stoffreste aus längst vergangener Zeit. Die Bilder von Gail Rothschild sind echte Porträts antiker Textilien, festgehaltene Momente einstiger Schönheit und perfekter handwerklicher Technik zusammen mit den Spuren von Gebrauch, Reparaturen und Zerfall. Durch die künstlerische und ins Monumentale gesteigerte Hervorhebung von Technik und Farbe, Zerfall und Reparatur entsteht eine Spannung zwischen dem Gemälde und dem fragilen Fragment, die dazu einlädt, genau hinzuschauen und Details zu entdecken, die man am Original sonst niemals gesehen hätte. „Think Big“ ist eine Schule des Sehens mit nachhaltiger Wirkung.

Dass der schmale Katalog mit sieben Essays die spätantiken Textilfunde Ägyptens in den historischen, naturwissenschaftlichen, konservatorischen und rezeptionsgeschichtlichen Rahmen stellt und damit eine knappe und lesenswerte Einführung in ein spannendes Thema der frühen Textilgeschichte behandelt, sei besonders hervorgehoben.

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Peru – ein Katzensprung. Die Sammlung präkolumbischer Textilien im Deutschen Textilmuseum Krefeld

Autor/en:        Annette Paetz gen. Schieck, Isa Fleischmann-Heck (Hrsg.)    

Verlag:            Nünnerich-Asmus Verlag & Media

Erschienen:     Oppenheim am Rhein 2022

Seiten:             320

Buchart:          Hardcover

Preis:               € 49,00

ISBN:               978-3-96176-202-6

 

Das spätantike Ägypten und das präkolumbische Peru besaßen textile Kulturen die nichts miteinander verband. Getrennt durch einen unendlich erscheinenden Ozean gab es keine Kontakte, keine Einflüsse, keine gemeinsamen Vorfahren und fortwirkende Gene – und doch: die Faszination, die von den über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende im Sand trockener Wüsten erhaltenen, mehr oder weniger großen textilen Fragmenten ausgeht, unterscheidet kaum, ob sie bei Fostat oder an der Küste von Peru gefunden wurden. Und mehr noch: Technik, Farben und Motive mancher dieser Fragmente sind einander mitunter so ähnlich, dass eine sichere Zuschreibung zu dem einen oder anderen Kulturkreis schwierig ist.

Nichts könnte das besser illustrieren als der Umstand, dass die amerikanische Künstlerin Gail Rothschild, bekannt durch ihre monumentalen Portraits spätantiker Textil-Fragmente, ein Detail eines in der Sammlung des Deutschen Textil Museums verwahrten Wari-Hemdes aus der Zeit von 700-1000 n.Chr. zur Vorlage eines ihrer Textilporträts genommen hat. In ihrem Katalog-Beitrag bezieht sie sich auf Äußerungen der Bauhauskünstler Josef und Anni Albers, die beide bereits früh auf die überraschenden Parallelen der einander so fernen textilen Kulturen aufmerksam gemacht hatten.

Der Katalog der gegenwärtigen Ausstellung präkolumbischer Textilien des Deutschen Textil Museums in Krefeld zeigt von der bedeutenden, ca. 800 Objekte umfassenden Sammlung eine repräsentative und ob ihrer künstlerischen und ästhetischen Qualität beeindruckende Auswahl von 206 Objekten, die von der Chavín-Kultur am Ostabhang der Cordillera Blanca (ca. 1000-600 v. Chr) bis in die Spätzeit der Inka-Herrschaft (1400-1535 n. Chr.) reichen und darüber hinaus auch die Kolonialzeit bis zur Gegenwart nicht außer Acht lässt. 3000 Jahre südamerikanische Textilgeschichte werden hier nicht nur durch die sorgfältig und mit allen notwendigen Angaben – Provenienz, Technik, Vergleichsstücke etc. – beschriebenen Stücke lebendig, sondern auch durch das Dutzend lesenswerter Essays. Hier steht die Geschichte dieser Sammlung präkolumbischer Textilien im Deutschen Textil Museum im Vordergrund und wir erfahren etwa, wie zwei deutsche Forscher, Wilhelm Reiß und Alfons Stübel schon im späten 19. Jahrhundert den Grundstock der Sammlung legten. Die Geschichte des Wilhelm Reiß, der als Vulkanologe auf dem Weg nach Hawai – das er nie erreicht hat – in Peru hängen blieb, ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil seine Ausgrabungen in Ancón, einer Nekropole nördlich von Lima, wenn auch ohne konkrete Beschreibung der Fundzusammenhänge immerhin lokalisiert sind, eine seltene Ausnahme für präkolumbisches Material. Reiß und Stübel haben damit die deutsche Südamerikaforschung des 19. Jahrhunderts maßgebend geprägt. Viel später hat die langjährige Leiterin des Textil Museums (1946-1974), Renate Jacques die Südamerika-Sammlung des Museums, vor allem deren textiltechnische Vielfalt, intensiv bearbeitet. Ihr Lebenswerk wird eingehend gewürdigt. Dass darüber hinaus, die Vielfalt der textilen Techniken, neben Webvarianten auch Plangi, Ikat und Stickerei – um nur einige zu erwähnen –, die Wolllieferanten, also Lamas und Alpakas, die höckerlosen Kamele Südamerikas und nicht zuletzt das hohe Können der Färber, das sich heute noch an den leuchtenden und kaum verblassten Farben bewundert werden kann, thematisiert werden, macht den schönen Katalog insgesamt zu einem wichtigen Handbuch präkolumbischer Textilkunst.

 

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