Im Schatten des Himalaya, Tibet, Bhutan, Nepal, Sikkim – Eine fotografische Erinnerung von John Claude White 1883-1908

Autor/en: Kurt Mayer, Pamela Deuel Mayer
Verlag: Nymphenburger
Erschienen: München und Ostfildern-Ruit 2006
Seiten: 192
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 49.90
ISBN: 3-485-01095-2
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2006

Besprechung:
Noch heute streiten sich Historiker darüber, ob das zaristische Russland im ausgehenden 19. Jahrhundert wirklich eine echte Bedrohung für Britisch Indien war. Tatsache ist, dass die Truppen des Zaren während des gesamten 19. Jahrhunderts die Grenzen des russischen Reiches in Zentralasien rücksichtslos ausdehnten und dass England akute militärische Übergriffe nach Indien befürchtete. Als „Great Game“ ist dieser teils reale, teils nur eingebildete Kampf der damaligen Weltmächte England und Russland um die Vorherrschaft in dem als strategisch wichtig erkannten Zentralasien in die Geschichte eingegangen. The Great Game war ein imaginäres, schemenhaftes Konstrukt, ein psychologisches Drama staatlicher Identität und Verstellung, vollgepackt mit Vorurteilen, Argwohn und Spionage. The Great Game war aber auch Auslöser ganz realer Kriege. Als in Indien bekannt wurde, dass der burjatisch-russische Mönch Dorjieff nach einem Besuch beim Zaren in St. Petersburg in den Palast des Dalai Lama in Lhasa zurückgekehrt war schrillten die britischen Alarmglocken und man vermutete ein tibetisch-russisches Abkommen. Die von Lord Curzon, dem damaligen Vizekönig von Indien veranlasste britische Invasion in Tibet unter dem Kommando des Colonel Francis Younghusband war die unmittelbare Folge dieses vermuteten Ränkespiels. Sie endete 1904 mit einem überlegenen Sieg über die Tibeter, der aber gleichwohl als ein wenig rühmliches Kapitel der britischen Militärgeschichte gilt. Moderne Maschinengewehre standen gegen Pfeile, Speere und altertümliche Vorderlader. Auch John Claude White, damals ständiger britischer Repräsentant im Königreich Sikkim und stellvertretender Bevollmächtigter von Younghusbands Tibet-Mission, konnte das Blutbad nicht verhindern, doch war er einer der ersten, die Fotos aus diesem geheimnisvollen und normalerweise verschlossenen Land mitbrachte, Fotos von britischen Militärlagern in grandiosen Landschaften, Fotos von trutzigen tibetischen Festungen, vom mächtigen Potala-Palast in Lhasa, von Götter-Bildern in den Tempeln und von Nonnen, Mönchen und tibetischen Honoratioren. Jahrelanger dektivischer Arbeit und dem Spürsinn des Autoren-Duos ist es zu danken, dass nun ein wunderbares Buch mit den zum großen Teil vergessenen und in alle Winde zerstreuten Fotos von John Claude White erscheinen konnte. John Claude White, ausgebildeter Ingenieur, war als britischer Staatsbeamter 25 Jahre im Schatten des Himalaya unterwegs und er war ein leidenschaftlicher Fotograf. Was das in jener Zeit bedeutete wird klar, wenn man liest, dass drei Maultiere oder Yaks notwendig waren, um die Fotoausrüstung zu transportieren. Erste Fotos machte White 1883 und 1884 in den Königsstädten Kathmandu und Bhaktapur in Nepal, einem Land, das damals nur auf Fußpfaden erreichbar war. Das eigentliche fotografische Vermächtnis Whites aber stammt aus Sikkim, in dessen Hauptstadt Gangtok er mit seiner Familie fast 20 Jahre, von 1889 bis 1908 gelebt hat. Wegen seiner Lage am wichtigsten und gangbarsten Handelsweg von Tibet nach Indien hatte Sikkim im Great Game jener Zeit eine herausragende strategische Bedeutung. Seit 1890 war dies kleine Königreich als britisches Protektorat unter der Kontrolle Englands und so waren es gewiss in erster Linie strategische Überlegungen, die John Claude White Strassen, Brücken und Eisenbahntrassen bauen und das ganze Land, vor allem aber seine nördliche Grenze zu Tibet vermessen ließ. In dieser Funktion hat White ganz Sikkim kreuz und quer bereist, jedes Tal durchquert und jeden Pass erklommen. Die Fotos, die er dabei machte, unterscheiden sich deutlich von den Arbeiten anderer Fotografen, die Indien im ausgehenden 19. Jahrhundert bereisten und die sich vornehmlich auf Architekturdenkmäler konzentrierten. White hatte schon als Student in Deutschland und Österreich mit dem Bergsteigen begonnen und war visuell und spirituell von der Schönheit der Bergwelt fasziniert. Seine Fotos von den Eisgipfeln des Himalaya, des Kanchenjunga oder Siniolchu, von Gletschern und Bergwäldern, von Seen und Wasserfällen, machen ihn zu einem Pionier der Bergfotografie und zum ersten Fotografen der überwältigenden Schönheit der Berge und Landschaften des Himalaya. Und noch ein weiteres Land hat White als erster fotografiert: Bhutan. Ugyen Wangchuk, der mächtige Penlop des zentralbhutanischen Fürstentums Tongsa hatte 1903 die britischen Streitkräfte als Vermittler nach Tibet begleitet. Zwar waren seine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt aber er erwarb sich den Respekt der Briten und die Freundschaft von John Claude White. White war es auch, der Ugyen Wangchuk 1905 in Bhutan besuchte und ihm einen hohen britischen Orden, die Insignien eines Knight Commander of the Indian Empire überreichte. Whites Fotos von Ugyen Wangchuk, dem späteren ersten König der bis heute in Bhutan regierenden Wangchuk-Dynastie, seine Fotos von der königlichen Familie, von Musikern, Soldaten und Lamas und die Bilder von den Dzongs von Paro, Tongsa und Punakha, jenen einzigartigen Klosterburgen Bhutans, sind unschätzbare fotografische Dokumente. White war dann auch 1907 dabei als am 17. Dezember der Penlop von Tongsa als Maharadscha und König von Bhutan inthronisiert wurde. Er war dort als Vertreter der Britischen Empire aber auch als Freund des Königs. Es ist die Nähe zu diesen Menschen und das Verständnis und die Liebe zu den Ländern und Landschaften, in denen sie leben und zu der fremden Kultur, die sie umgibt, die Whites Fotos auszeichnen und zu einem besonderen Schatz früher Fotografie machen. Und es sind die sorgfältigen Bildlegenden zu den 113 im Buch veröffentlichten Fotos und die klugen, informativen Texte, die den Leser zu den Schauplätzen des Great Game im Schatten des Himalaya führen.

Print Friendly, PDF & Email