Islam in Europa 1000-1250

Islam in Europa  1000-1250

Autor/en:         Claudia Höhl, Felix Prinz, Pavla Ralcheva (Hrsg.)

Verlag:            Schnell + Steiner

Erschienen:     Regensburg 2022

Seiten:             352

Buchart:          Klappenbroschur

Preis:               € 35,00

ISBN:             978-3-7954-3719-0

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Von geringem Gewicht, faltbar und leicht zu transportieren und oft von außerordentlich hohem Wert zählen Textilien zu den mobilsten Artefakten der vormodernen Welt. Längst bevor die hochkomplizierte Technologie des Webens kostbar gemusterter Textilien Europa erreichte hatten diese Textilien den Weg von ihren Produktionsorten im Reich von Byzanz oder gar noch weiter im Osten in die Kirchenschätze europäischer Dome und Klöster gefunden. Neben diesen als Schutz für wertvolle Reliquien oder für prachtvolle Paramente genutzten Stoffen finden sich in diesen meist auf das Hochmittelalter zurückgehenden sakralen Schatzkammern auch liturgische Geräte, Handschriften und ihre Einbände, Reliquienbehälter und andere Kunstwerke, die aus islamisch geprägten Regionen nach Mitteleuropa gelangten.

Eine Ausstellung im Dommuseum Hildesheim widmet sich der Geschichte dieser Objekte, die über die Grenzen von Religionen, Sprachen und Kulturen bewegt wurden. Der Ort ist gut gewählt, denn Hildesheim war in der Zeit von 1000 bis 1250, also im Hochmittelalter, ein Zentrum der Macht, des Wissens und der Kultur. Die Hildesheimer Bischöfe gehörten zum engen Umfeld der Kaiser, waren weltoffen und reisefreudig und hatten Kontakte zum Mittelmeerraum, nach Konstantinopel, Sizilien und Al-Andalus. Nicht von ungefähr gehört daher der Hildesheimer Domschatz zu den größten und bedeutendsten Kirchenschätzen Europas und genießt seit 1985 zusammen mit Dom und Michaeliskirche den Status eines UNESCO-Welterbes.

So hat der Hildesheimer Kirchenschatz einen wesentlichen Anteil an den ausgestellten und im Katalog sorgfältig beschriebenen Objekten. Das reicht von einem kleinen Reliquienbeutel aus irakischem oder syrischem Seidengewebe bis zu der im Schrein des Bischofs Godehard gefundenen Dalmatik mit reihenweise versetzt angeordneten Kreismedaillons in denen sich  abwechselnd Greifen- und Pantherpaare tummeln. Weitere zum Schutz von Reliquien verwendete Samitgewebe aus Byzanz oder den von Byzanz beherrschten Gebieten aber auch aus Al Andalus zeigen doppelköpfige Pfauen, einen unendlichen Rapport gegenständiger Vogelpaare und vermitteln einen Eindruck der Bandbreite islamischer Textilien jener Zeit. Ein silbernes Reliquiar, das als Bekrönung eine fein aus Bergkristall geschnittene Schachfigur aus abbasidischer Zeit aufweist, ist zusätzlich mit einem Siegelstein mit kufischer Inschrift verziert und auch das Katharinenreliquiar schmückt sich mit einer Gemme, deren meisterlich geschnittener Löwe auf den Iran in sassanidischer oder frühislamischer Zeit verweist. Weitere Reliquiare besitzen als zentralen Dekor fein gravierte Elfenbeinreliefs aus Byzanz und ein außergewöhnliches, wohl aus dem Maasgebiet stammendes Leuchterpaar aus vergoldeter Bronze beweist mit seinen allegorischen Frauengestalten als Personifikationen der Erdteile Asien, Europa und Afrika, dass den Auftraggebern und Künstlern jener Zeit die Größe ihrer Welt durchaus bewusst war. Doch das faszinierendste Objekt aus diesem Schatz ist vielleicht das in einer Hildesheimer Werkstatt im 12. Jahrhundert gegossene Bronze-Aquamanile in Form eines Senmurv. Die Funktion dieses Aquamanile für das islamische Handwaschungsritual und dessen äußere Form als ein Fabelwesens aus der persisch-islamischen Mythologie und Mystik lassen dieses Objekt als ein Paradebeispiel transkultureller Verflechtungen erscheinen. Die Gegenüberstellungen mit einer sassanidischen Silberschale mit Senmurv aus dem British Museum, einem Senmurven-Textil aus Byzanz im Florentiner Bargello und weiteren Aquamanile in unterschiedlichen Tiergestalten, darunter auch solche aus den Hildesheimer Werkstätten, bilden das spannende Finale von Ausstellung und Katalog.

Dass das Hildesheimer Senmurv-Aquamanile nicht zum originären Domschatz gehört, sondern erst 2014 über das Auktionshaus Christie`s aus Privatbesitz erworben wurde, steht für viele andere der Objekte, die ebenfalls nicht aus Kirchenschätzen, sondern aus Museen, privaten Sammlungen und Bibliotheken für diese Schau zur Verfügung gestellt wurden. Das gilt etwa für eine Reihe islamischer Handschriften, die einen deutlichen Vorsprung der Araber in naturwissenschaftlichen Disziplinen wie Mathematik, Medizin oder Astronomie belegen und die hier für den Wissenstransfer von Ost nach West stehen. Eine Anzahl kleinerer und größerer Kästchen, meist mit Elfenbein verziert, stammen aus Byzanz, aus Sizilien oder auch aus Al Andalus und wurden in Europa meist zur Aufbewahrung von Reliquien genutzt. Aus arabischer Schrift abgeleitete Dekorelemente von Metallarbeiten aus Salzburg und Limoges können als geschätztes Kennzeichen für die hohe ästhetische Qualität islamischer Objekte aus dem Osten interpretiert werden. Dies ist nur eine kleine Auswahl von insgesamt 78 Objekten, die jedes für sich, vor allem aber in ihrer Summe und Vielfalt bewusst machen, dass die Verflechtungen der islamischen mit der europäischen Welt weit enger waren als gemeinhin angenommen.

Sind die kompetenten und ausführlichen Beschreibungen der Objekte, die neben dem geschichtlichen und kunsthistorischen Kontext auch den Weg – soweit bekannt – beschreiben, den sie aus islamischen Regionen nach Mitteleuropa nahmen, eine spannende Lektüre, so gilt dies umso mehr für die einschließlich des Vorworts sechs einleitenden Essays, die das Thema zunächst aus Hildesheim, dann aber aus arabischer Sicht, aus der Lage Siziliens als Grenzregion zwischen den mittelalterlichen Welten beleuchten und schließlich Al Andalus als einen Ort der religiösen und kulturellen Kontakte zwischen Juden, Christen und Muslimen werten, „ohne den Europa heute kaum wäre, was es ist“. Ein wichtiger Schlüssel für das Verständnis der Verflechtungsgeschichte ist dabei die Kritik des Münsteraner Islamwissenschaftlers Thomas Bauer am eurozentrischen Geschichtsbild, dessen Fortschrittsgeschichte durch die Abfolge von Antike, Renaissance, Aufklärung und Moderne bestimmt wird und in der das Mittelalter bestenfalls als Phänomen des Übergangs, wenn nicht gar als Störfall angesehen wird. Im östlichen Mittelmeer und in Vorderasien hat es so etwas wie ein Mittelalter nie gegeben. Vielmehr hat sich dort die griechisch-römische Antike in der fortbestehenden oströmischen Ausprägung kontinuierlich und unter fortschreitender Transformation fortgesetzt – eine plausible Erklärung für das Faszinosum „Islam in Europa 1000-1250“.

Bei allen Lorbeeren für dieses wichtige Katalogbuch sei doch noch ein Wort der Kritik nachgeschoben: Wenn hinsichtlich islamischer Objekte in europäischen Kirchenschätzen die Aufarbeitung von Provenienzen für die Restitution von Artefakten von einer Autorin als zentrale Aufgabe bezeichnet wird, so mag das dem Zeitgeist geschuldet sein, erscheint aber im gegebenen Zusammenhang gänzlich fehl am Platze.

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