Minya Konka – Schneeberge im Osten Tibets – Die Entdeckung eines Alpin-Paradieses

Autor/en: Michael Brandtner
Verlag: Detjen-Verlag
Erschienen: Hamburg 2006
Seiten: 336
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 36.90
ISBN: 3-937597-20-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2006

Besprechung:
Vor einem Vierteljahrhundert noch ein weißer Fleck auf den Karten und heute eine Region, deren Natur und Struktur durch einen boomenden Tourismus gefährdet scheint. Wo mag das sein, wird sich der Leser fragen und vielleicht ahnen, dass sich derart stürmische Entwicklungen eigentlich nur in China abspielen können. Genau genommen ist es die Grenzregion zwischen dem alten Tibet und China, eine märchenhaft schöne Hochgebirgsregion nahe der modernen Millionenstadt Chengdu, die von mobilen und wohlhabenden Chinesen in wenigen Stunden Autofahrt erreicht werden kann. Das Siguniang Shan ist ein Gebirgsstock, dessen höchster Gipfel 6250m erreicht, der für Bergsteiger Eiskletterei und gewaltige, noch unerstiegene Granitwände bereithält und dessen Täler nicht nur Pandabären, sondern einer ungewöhnlich reichhaltigen Flora und Fauna Heimat sind. Besucher aus Chengdu aber auch aus Guangzhou, Shenzen, Hongkong, Taipeh und Singapur kommen zu Kurztrips in die Region und erkunden auf dem Rücken tibetischer Ponys die Landschaft. Ähnliches gilt für viele der von Michael Brandtner, einem passionierten Bergsteiger und Wanderer beschriebenen Landschaften um die Schneeberge im Osten Tibets. Von europäischen Reisenden kaum besucht und nur unter Bergsteigern und einer kleinen Gruppe von Tibet-Kennern als Geheimtipp bekannt, entwickelt sich dort vielfach eine touristische Infrastruktur für einen vorwiegend innerchinesischen Tourismus. Doch das ist in „Minya Konka“ eher eine Randinformation, denn das Buch ist in erster Linie geschrieben für Bergsteiger und Trekkingbegeisterte, und die insgesamt 12 Hochgebirgsregionen, die der Autor nach einer Einführung in Geographie, Religion, Geschichte und Kultur dieses einstmals zu Tibet gehörenden Gebietes vorstellt, sind wahrhaft einzigartige alpine Paradiese. Die Schönheit der zu einem großen Teil noch unerstiegenen Fünf- und Sechtausender ist überwältigend, und die Anmarsch- und Wanderwege, gesäumt von einsamen tibetischen Dörfern, Rhododendron-Wäldern, kleinen buddhistischen Klöstern und von Pilgern errichteten Manimauern und Gebetsfahnen locken zum Besuch. Dort wo die Gipfel bereits bestiegen wurden, faszinieren die Schilderungen der schwierigen, oft dramatisch und tragisch verlaufenen Kämpfe um den Gipfelsieg. Dies gilt vor allem für den Titel gebenden Minya Konka, 7556m hoch, der lange Zeit als höchster Berg der Erde angesehen wurde. Seine Formation und häufig widrige Wetterverhältnisse machen ihn zu einer der schwierigsten Herausforderung für extreme Bergsteiger. Er gilt wegen mehrerer, tragisch verlaufener Expeditionen japanischer Gruppen als Schicksalsberg des japanischen Alpinismus. Für Tibeter ist der Minya Konka ein heiliger Berg, ähnlich wie der Kailash im Westen Tibets ein Symbol der Reinheit und seine Besteigung ist eigentlich ein Sakrileg. Michael Brandtner sieht das zwar genauso, aber eine Empfehlung, statt des Minya Konka doch lieber seine zahlreichen unerstiegenen, zwar nicht so hohen, doch nicht minder schwierigen Trabanten zu bezwingen, bringt er nicht über sein Bergsteigerherz. Ein anderer heiliger Berg liegt weit im Nordosten Tibets, in der chinesischen Provinz Qinghai, dort, wo noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der berüchtigte, räuberische Stamm der Goloks Forschern und Missionaren den Aufenthalt und die Durchreise zu einem lebensgefährlichen Abenteuer machte. Es ist der Gebirgsstock des Amnye Machen, der sich bis 6282m Höhe über weites tibetisches Nomadenland erhebt. Hier ist es weniger die unter religiösen Gesichtspunkten natürlich ebenfalls kritische Besteigungsgeschichte, die fasziniert – so hatten Chinesen 1960 versehentlich den falschen Gipfel erreicht, so dass die Erstbesteigung bis zum Jahre 1981 einer japanischen Gruppe vorbehalten blieb -, sondern es ist die Schilderung der Umrundung des Massivs auf alten Pilgerpfaden, im Sommer, wenn die Bergwiesen mit Edelweiß, Enzian und dem legendären blauen Tibet-Mohn in Blüte stehen. Diese Mischung aus der Beschreibung der oft dramatischen Besteigungen, der selbst erlebten, oft genug ebenfalls nicht ganz einfachen Wanderungen des Autors und die eingestreuten Informationen über Flora und Fauna, vor allem aber über die Begegnung mit Menschen, mit Tibetern von heute und mit ihrer in Klöstern und Tempeln fortlebenden Kultur, machen den besonderen Reiz dieses Buches aus. Zahlreiche Kurzbiographien von Reisenden in Osttibet, von Pflanzenjägern und Bergsteigern, von Forschern und Missionaren, von Geographen und Abenteurern, die von Sir Francis Kingdon Ward über Alexandra David-Neel, Wilhelm Filchner und Ernst Schäfer bis Bruno Baumann reichen, geben darüber hinaus einen Einblick in die Entdeckungsgeschichte der Region. Minya Konko ist ein Buch, das unterhaltsam und informativ nicht nur für Bergsteiger, sondern wegen der bisher weitgehend unbekannten alpinen Paradiese Osttibets für jeden Tibet-Liebhaber eine Bereicherung ist und unvermittelt große Reiselust weckt.

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