Autor/en: Hadi Seif
Verlag: Arnoldsche Art Publishers
Erschienen: Stuttgart 2022
Seiten: 144
Buchart: Hardcover
Preis: € 38,00
ISBN: 978-3-89790-668-6
Kommentar: Michael Buddeberg
Vor mehr als tausend Jahren gelang es einem persischen Töpfer – war es Zufall oder gezieltes Experiment, wir wissen es nicht – gebrannten Ton mit einer Bleiglasur wasserdicht zu machen. Es war die Geburtsstunde der Fayence, die sich über den Orient, Nordafrika und das islamische Spanien bis nach Italien, Frankreich und in ganz Europa verbreiten sollte und erst im 18. Jahrhundert allmählich durch das Porzellan verdrängt wurde. Diese Glasur machte nicht nur Schalen und Krüge dicht, sondern ermöglichte es, Wände, Fassaden und Dächer mit glasierten Fliesen witterungsbeständig zu dekorieren. Vor allem Moscheen, Mausoleen und Medresen in der ganzen islamischen Welt geben Zeugnis von diesem hochentwickelten Handwerk.
Dass sich diese Handwerkskunst im Iran auf hohem Niveau bis ins 20. Jahrhundert erhalten hat, ist an einem Gebäudekomplex in Kermanshah im Westen des Iran eindrucksvoll zu erleben. Hadi Seif, ein iranischer Kunsthistoriker und Autor eines Buches über Fliesen des 18. und 19. Jahrhunderts aus Shiraz hat im Jahre 1992 den in hohem Alter noch mit einem unfehlbaren Gedächtnis versehenen, ehemaligen Wächter der Tekkieh Moaven, Morshed Ebrahim Sojdehpur, interviewt und folgende Geschichte erfahren:
Im Verlauf der konstitutionellen Revolution gegen das qadscharische Regime in den Jahren 1905 bis 1911 wurde das der denkwürdigen Schlacht von Kerbela im Jahre 630 und damit dem Andenken des Prophetenenkels und Märtyrers Imam Hussein gewidmete Heiligtum in Kermanshah, das erst kurz zuvor errichtete Tekkieh Moaven ol Molk, gebrandschatzt und vollkommen zerstört. Der Wiederraufbau dieses für schiitische Pilger wichtigen Heiligtums wurde alsbald begonnen und Moaven ol Molk entschied sich für das nach ihm benannte Heiligtum, den vormaligen Dekor aus Spiegeln, Wandmalereien und Kandelabern durch Fliesen zu ersetzen. Die bedeutendsten Fliesenkünstler aus Shiraz, Teheran und anderen Landesteilen trugen dann dazu bei, dass der nunmehr aus drei Gebäuden – Hosseinieh, Abbasieh und Zeynabieh – bestehende Komplex der Tekkieh-Moaven zu einer einzigartigen Leistungsschau des iranischen Fliesenhandwerks des 20. Jahrhunderts wurde. Seit 1975 ist die Tekkieh nicht mehr nur Pilgerziel, sondern als Museum und iranischer Nationalschatz ein viel besuchtes Highlight des internationalen Tourismus.
Doch nun zu den Fliesen: Nach dem Bekunden von Morshed Ebrahim Sojdehpur sollen mehr als zehntausend unterschiedliche Fliesen und Fliesenpaneele zu sehen sein. Arabesken, Ranken und Blumen, Schriftfelder mit Koransprüchen, ausladende Buketts, Dekorationen mit Lanzettblättern oder Botehs, Vögel zwischen Früchten und Blüten stehen im Wechselspiel mit geometrischen Mustern und sorgen durch ihre klaren und leuchtenden Farben für einen überwältigenden Eindruck. Vor allem aber sind es die kleinen und großen Paneele, die die Geschichte des Islam, vom Einzug des Propheten in Medina, der Schlacht von Kerbela bis zum Schicksal seiner Familie erzählen. Die Motive beschränken sich aber nicht auf diese religiösen Themen, sondern greifen auf die vorislamische Geschichte Persiens zurück, portraitieren frühe Könige und lassen Dareios, Xerxes und Persepolis erkennen. Hier sind im Wechsel mit großen, oft aus weit mehr als einhundert Fliesen bestehenden Paneelen, die bedeutende Ereignisse aus der wechselvollen Geschichte des Landes erzählen, vor allem die in Grisaille-Technik gehaltenen Szenenbilder und Kartuschen mit bekannten und weniger bekannten Personen der jüngeren und alten Geschichte Persiens zu erwähnen, darunter auch der Namensgeber Moaven ol Molk, dessen Grablege sich in dem Komplex befindet.
Nur wenige der Fliesenbilder sind von den Künstlern signiert. Sie arbeiteten meist über einen längeren Zeitraum und unentgeltlich zur Ehre dieses heiligen Ortes. Doch Morshed Sojdehpur erinnerte sich an alle und wusste deren Namen zu nennen. Haj Hassan Kashipaz Tehrani, Abol Ghassem Mani, Ali Reza Gholar Aghassi und Mirza Abdol Razzogh sind nur einige von vielen, die zum Gelingen dieses Gesamtkunstwerkes beigetragen haben. Dabei sorgt das Standardmaß der Fliesen trotz der überwältigen Vielfalt der Motive, Stile und Interpretationen für eine überraschende Einheitlichkeit dieses sehenswerten Gebäudekomplexes.
Ein umfangreiches Glossar erschließt den historischen und religionsgeschichtlichen Hintergrund.