Small China – Early Chinese Miniatures

Small China – Early Chinese Miniatures

Autor/en:         Koos de Jong

Verlag:            Arnoldsche Art Publishers

Erschienen:     Stuttgart 2022

Seiten:             303

Buchart:          Hardcover mit Schutzumschlag

Preis:               € 58,00

ISBN:             978-3-89790-631-0

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Das Naturhistorische Museum in Wien beherbergt die wohl bekannteste Kleinplastik aus prähistorischer Zeit. Die 1908 von dem Archäologen Szombathy bei Willendorf in der Wachau gefundene „Venus von Willendorf“ wird in die Zeit von 24.000 bis 23.000 vor unserer Zeitrechnung datiert und ist mit ihrem karikativ überzeichneten Körper ein Symbol weiblicher Fruchtbarkeit. Sie ist zugleich ein frühes Beispiel für die Neigung des homo sapiens, Personen und Objekte aus seinem Umfeld auf „Westentaschenformat“ zu verkleinern. Das gilt für alle Kulturen und für alle Zeiten, für Sumerer und Etrusker, für Griechen und Römer und ist auch in unserer aktuellen Gegenwart noch populär, wie wir an Modeerscheinungen wie Zinnsoldaten oder Playmobil feststellen können.

Weltmeister auf diesem Gebiet, will man dem niederländischen Kunsthistoriker Koos de Jong glauben, sind hier wieder einmal die Chinesen. Sein Buch „Small China“ ist für diese These überzeugend und man ist geneigt festzustellen, dass es in China nichts gibt, was es nicht auch als Miniatur gibt. Da dieser Begriff nach westlichem Verständnis zumindest mehrdeutig ist, formuliert der Autor gleich am Anfang des Buches eine Definition: chinesische Miniaturen sind danach selbständige, dreidimensionale und handgemachte Objekte von „handlicher“ Größe, also nicht größer als ca. 10 Zentimeter. Eine Miniatur in diesem Sinne ist immer ein Objekt, das es auch als groß oder größer gibt oder – denkt man etwa an Drachen – geben könnte. Die Nachbildung einer Seidenraupe aus Jade, um ein bekanntes Beispiel zu nennen, wäre dann also keine Miniatur in diesem Sinne. Frühe Miniaturen – und nur diese sind Gegenstand der Untersuchung – reichen vom mittleren Neolithikum, also etwa der Zeit um 5000 v.Chr. bis in die ersten Jahrzehnte der Ming-Dynastie, konkret bis zum Ende der Regierungszeit von Kaiser Jongle (1424). Mehr als eintausend Objekte, die dieser Definition entsprechen, hat Koos de Jong gesehen und in Händen gehalten, den visuellen und taktilen Eindruck festgehalten und verglichen und mit diesem reichen Erfahrungsschatz ein hinreißendes Buch zum Thema chinesische Miniaturen geschrieben.

Das erste der drei zentralen Kapitel des Buches befasst sich mit den vielfältigen Funktionen und Erscheinungsformen dieser Miniaturen Zu den ältesten Exemplaren, die man kennt, gehören Rangabzeichen zur Unterscheidung und als Symbol von Macht. Das noch immer nicht gelöste Rätsel des cong, eines länglichen, quadratischen Hohlkörpers mit waagerechter Gliederung, meist aus Jade, wird man hierzu rechnen müssen. Fetisch und Talisman als Ausdruck von Kraft und Magie formen eine weitere Gruppe. Schmuck und Juwelen, meist gefunden in den Gräbern wohlhabender und hochgestellter Persönlichkeiten signalisieren Wohlstand und äußere Erscheinung, während Accessoires der Kleidung meist praktischen Zwecken dienen. Grabbeigaben als symbolischer Vorrat für das Leben nach dem Tode sind vielfältig, häufig und Anlass für den Autor, Begräbnisrituale und deren Entwicklung über den Lauf der Jahrtausende näher zu beschreiben. Devotionalien schließlich verkörpern meist buddhistische Inhalte, den Buddha selbst, Bodhisattvas und Mönche und sind, von Klöstern hergestellt und verkauft, Beispiele für einen frühen Souvenir-Handel entlang der Seidenstraße. Kleine Behältnisse zur Aufbewahrung von Medizin und weiterem kleinen Allerlei, Musikinstrumente, Spielzeug, Siegel und Objekte vom Schreibtisch der Literati, vervollständigen den Katalog der Funktionen und Erscheinungsformen von Miniaturen.

Ein weiteres Kapitel widmet sich den Materialien, den Techniken, der Herstellung und dem Handel mit Miniaturen. Für jedes der in Betracht kommenden Materialien, sei es Jade, Bronze, Keramik, Gold, Silber und Elfenbein oder auch Halbedelstein, Lack, Eisen, Zinn, Glas, Holz, Schildpatt und exotische wie Muschel oder Koralle, werden Eigenschaften, Ursprung, Herstellung und Handel eingehend erörtert. Als Beispiel mag hier der Werkstoff Jade erwähnt sein. Die ältesten Jade-Miniaturen stammen aus neolithischer Zeit und weisen bereits eine große Bandbreite an Motiven auf. Neben dem bereits genannten cong sind es „tao-tie“-Masken, Eulen, Zikaden, Wolken und anderes mehr. Während Shang und Zhou kommen vor allem weitere Tiere hinzu, insbesondere mythische Wesen wie Drache, Phönix oder Qiling, bevor Jade, insbesondere in der einfach zu bearbeitenden Form von Steatit zum Allerweltsmaterial für Miniaturen wird.

Äußerst spannend und ungemein vielseitig ist dann das Kapitel über die Bedeutung der miniaturisierten Objekte. Die typischen Segenswünsche für ein langes Leben, für Glück, Wohlstand und für den Schutz vor allerlei drohendem Unheil bestimmen die Häufigkeit der Darstellungen. Es folgen göttliche, mythische und legendäre Figuren, der Pantheon des Buddhismus einschließlich des Garuda und der geflügelten Apsaras. Bei den Menschendarstellungen überwiegen Männer und vor allem Knaben und symbolisieren den Wunsch nach der Geburt eines Sohnes. Tiere schließlich, real existierende und mythische, stellen die größte Gruppe der frühen Miniaturen, wobei die zwölf Tierkreiszeichen, die fünf giftigen Tiere und natürlich Löwe, Tiger, Bär und Elefant neben vielen anderen eine wichtige Rolle spielen. Souverän und kenntnisreich ordnet Koos de Jong jeder miniaturisierten Darstellung eine sich aufdrängende oder auch eine überraschen Bedeutung zu und versteht es, dem Leser eine Vorstellung vom Leben, Fühlen und Denken im frühen China zu vermitteln.

Ein Exkurs über neue Erkenntnisse, etwa zum chinesischen Pendant des japanischen Netsuke, zum Löwen, der immer mehr zum Hund und schließlich zum Pekinesen degeneriert, über das Sammeln von Miniaturen und über die wichtigsten Museen zum Thema beschließen ein wichtiges und spannend zu lesendes Buch zu einem bisher in dieser Vollständigkeit noch nicht behandelten Thema.

 

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