In trockenen Tüchern – Gewebtes und Besticktes aus dem Osmanischen Reich

In trockenen Tüchern – Gewebtes und Besticktes aus dem Osmanischen Reich

Autor/en:         Anahita Nasrin Mittertrainer (Hrsg.)

Verlag:            Arnoldsche Art Publishers

Erschienen:     Stuttgart 2022

Seiten:             176

Buchart:          Leinen

Preis:               € 38,00

ISBN:             978-3-89790-676-1

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Die Stickerei dürfte eine der ältesten dekorativen Künste der Menschheit sein, reicht sie doch bis in die späte Steinzeit zurück. Erhaltene Belege gibt es dafür zwar nicht aber der mehrfache archäologische Nachweis, dass die Erfindung der Nadel spätestens in die Zeit um 3000 v.Chr. zu datieren ist, sollte als mittelbarer Beweis ausreichen. Vom bloßen Zusammennähen von Fellen oder ersten Geweben bis zur Verstärkung und Verzierung dieser Nähte und schließlich auch der durch die Nähte verbundenen Flächen war kein weiter Weg. Das Schmuckbedürfnis des Menschen tat ein Übriges, um die Stickerei im Lauf der Jahrtausende zu einer der variabelsten und vielfältigsten textilen Techniken zu entwickeln. Vorreiter und Bewahrer dieser textilen Kunst waren häufig nomadisch oder halbnomadisch lebende Völker und Stämme, deren materielle Kultur weit mehr als in sesshaften Kulturen durch flexible und Platz sparende Textilien geprägt war. Damit findet auch die Verbreitung, Qualität und außerordentliche Wertschätzung der Stickerei im osmanischen Reich ihre Erklärung. Sie ist ein Erbe der nomadischen Herkunft der Osmanen, ein Erbe der turkstämmigen Völker, die aus der Tiefe Zentralasiens kamen und die auf ihrem unaufhaltsamen Weg nach Westen schließlich Konstantinopel eroberten und das mächtige osmanische Reich gründeten.

„In trockenen Tüchern – Gewebtes und Besticktes aus dem Osmanischen Reich“ ist eine kleine Ausstellung des Münchner Museums Fünf Kontinente, die sich einer besonders liebenswerten Spielart osmanischer Handwerkskunst widmet. Es sind dies die ausschließlich von Mädchen und Frauen in Heimarbeit für die Aussteuer und den Familienschatz bestickten und gewebten Tücher mit haushaltsnaher Zweckbestimmung. Zu sehen sind Servietten sowie Bade-, Hand- und Gürteltücher. Nur wenige der aus dem Bestand des Museums und zwei privaten Sammlungen aus München und Potsdam gezeigten Textilien sind noch im 18. Jahrhundert gefertigt und lassen das traditionelle osmanische Mustervokabular aus dem 16.und 17. Jahrhundert erahnen. Das Gros der 42 Exponate stammt aus dem 19. Jahrhundert und ist vom zunehmenden europäischen Einfluss geprägt. Barock und Rokoko sind mit zeitlichem Verzug in der Türkei angekommen und die Verwendung von Gold und Silberfäden wird fast zur Regel. Blumensträuße, Girlanden Draperien, flatternde Seidenbänder und Kartuschen wechseln ab mit Kompositionen aus Häusern, Zelten, Schiffen und Moscheen. Die aus der traditionellen Präsentation dieser Tücher erklärbare Vorgabe, dass sich Vorder- und Rückseite nicht unterscheiden dürfen, beschränkt die technischen Möglichkeiten; fast alle der bestickten Tücher sind in der pesent genannten Technik gearbeitet.

Der bei Arnoldsche Art Publishers erschienene Katalog zur Ausstellung verdient höchstes Lob und konzentrierte Aufmerksamkeit. Schon bevor man ihn aufschlägt, verleiht das feine Leinengewebe des edlen Einbandes dem aufgedruckten Blumenmotiv aus einem der Tücher des 18. Jahrhunderts eine verblüffende Dreidimensionalität und Lebendigkeit, die dem Original nicht viel nachsteht. Diese außerordentliche Qualität des Bilddrucks zeichnet den Katalog von der ersten bis zur letzten Seite aus und ist der Routine und Sorgfalt der Münchner  Reprofirma Genceller und natürlich dem Fotostudio des Museums unter Nicolai Kästner zu verdanken. Jedes der Tücher ist zusätzlich zur Gesamtansicht mit seiten- oder doppelseitengroßen Detailvergrößerungen zu bewundern, die nicht nur die Struktur des feinen Baumwollgrundes wiedergeben, sondern vor allem zu Sticktechnik und Farbnuancen keine Fragen offen lassen. Die genaue Beschreibung jedes einzelnen Tuches, dessen Muster aber auch dessen Zustand und die sorgfältigen Analysen von Grundgewebe und Stickerei entsprechen den höchsten wissenschaftlichen Standards.

Die den Katalog begleitenden Essays erweitern den Blick auf die Tücher und stellen sie in den Kontext ihrer Zeit. Hülya Bilgi, Direktorin des Sadberk Hanim Museums in Istanbul, das eine der bedeutendsten Sammlungen osmanischer Stickereien besitzt, bewertet die Stickerei als eine der zentralen Handwerkskünste des Osmanischen Reiches und deren Erzeugnisse als Objekte, die jeden Osmanen, gleich welchen Standes, sein Leben lang begleiten, nicht nur zu Geburt, Hochzeit und Tod, sondern täglich. Diesen Aspekt vertieft Anahita Mittertrainer, Kuratorin der Ausstellung und Herausgeberin des Kataloges, indem sie die Tücher als Gegenstände einer Alltagskultur beschreibt, die je nach dem sozialen Stand entweder tatsächlich und entsprechend ihrer Zweckbestimmung benutzt, als Aussteuer in jahrelanger Arbeit hergestellt oder in Truhen verwahrter Familienschatz nur zu besonderen Gelegenheiten präsentiert und schließlich vererbt werden.

Zum guten Abschluss ist noch der Beitrag der Türkei-Expertin und Sammlerin Ulla Ther zu Ausstellung und Katalog zu würdigen, der den bestickten Tüchern deren bisher kaum bekannte, rustikale in Rot und Blau gewebte Verwandte gegenüberstellt. In der Beherrschung der Fläche und dem harmonischen Trio der allein verwendeten Farben Weiß, Blau und Rot stehen diese Kombinationen ihren bestickten städtischen Tüchern nicht nach; mancher mag sie in ihrer graphischen Anmutung gar als reizvoller als ihre städtischen Verwandten empfinden – seltener sind sie allemal.

 

Print Friendly, PDF & Email