The Art of Cloth in Mughal India

The Art of Cloth in Mughal India

Autor/en:         Sylvia Houghteling

Verlag:            Princeton University Press

Erschienen:     Princeton und Oxford 2022

Seiten:             276

Buchart:          Leinen mit Schutzumschlag

Preis:               GBP 50,00

ISBN:             978-0-6912-1578-5

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Das Brooklyn Museum in New York verwahrt ein erstaunliches Textil, das in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Indien entstanden ist. Sieben große Paneele, jedes fast 3 Meter hoch und einen Meter breit, einst wohl ein zusammenhängender Wandbehang, zeigen in einer textiltechnischen Kombination von Reservetechnik und Malerei auf feiner Baumwolle ein Panoptikum aus der Zeit als sich das Reich der Mogul-Kaiser auf dem Gipfel von territorialer Ausdehnung, Einfluss, Macht und Reichtum befand. Dargestellt sind nicht nur Frauen in bunten Saris, Edelleute und andere Höflinge in kostbaren Gewändern, sondern auch Europäer mit steifen Hüten und Pluderhosen, aufgezäumte Kriegselefanten, afrikanische Jäger und Musikanten mit Lendenschurz und Federschmuck nebst ejner Fülle von weiteren, ganz unterschiedlich gewandeten Personen, deren Identifikation und Herkunft der Fantasie des Beschauers überlassen bleiben muss. Dieser hier beschriebene Wandbehang ist ein idealer Einstieg für ein Buch, das die Bedeutung von Textilien im Indien der Mogul Ära zum Thema hat.

Der über 300 Jahre währende Bestand des Mogulreiches (1526-1858) täuscht darüber hinweg, dass dieses Reich ein sehr komplexes und sich stets änderndes Gebilde war, entstanden aus der Eroberung des Sultanats von Delhi durch den timuridischen Babur (r. 1526-1530), unter seinen Nachfolgern aufgestiegen zu einem fast den ganzen Subkontinent umfassenden Vielvölkerstaat, der ein knappes Drittel der damaligen Weltbevölkerung beherbergte, bis es nach langer Zeit des Niedergangs dem British Empire eingegliedert wurde. Immer aber haben Textilien das politische, ökonomische, soziale, religiöse und ästhetische Leben dieses Staates und seiner Bewohner geprägt. Sylvia Houghteling, Kunsthistorikerin am Bryn Mawr College in Pennsylvania hat dieses Phänomen in einer bewundernswert vollständigen und detailreichen Studie dargestellt. In fünf der dynastischen Chronologie folgenden Kapiteln rekonstruiert sie die außergewöhnljche Rolle der Textilien im Reich der Mogulkaiser vom frühen 16. bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Ihre Quellen sind die Malerei, hier natürlich in erster Linie der Korpus indischer Miniaturen, dazu Literatur, Poesie, historische Chroniken sowie die Berichte und Inventare von Maharadschas, Radschputen und vom Hof der Mogul-Kaiser.

Das erste Kapitel umfasst im Wesentlichen die Regierungszeit von Akbar (r. 1556-1605), die mit der Entstehung, Konsolidierung und der wachsenden Größe des Mogulreiches den Rahmen für die Vielfalt und Mobilität von Textilien setzt. Im zweiten Kapitel führt die Autorin aus, wie sich unter dem Kaiser Jahangir (r. 1605-1627) Textilien mit figürlichen Motiven zu Ehrenroben entwickelt und dabei geholfen haben, Allianzen aber auch Konflikte über große Distanzen zu beherrschen. Kapitel drei konzentriert sich ganz auf die regionale Hofhaltung in Amber, woselbst die herrschende Familie der Kachhwaha die bestdokumentierte und besterhaltene Sammlung von indischen Textilien des 17. Jahrhunderts bewahrt hat. Sie vermitteln eine sehr exakte Vorstellung von dem Reichtum und der universalen Funktion von Textilien zur Zeit der Blüte des Mogulreiches. Kapitel vier schließlich führt zur südöstlichen Koromandelküste und beschreibt den Aufstieg der bemalten und bedruckten Baumwollstoffe, den regen Handel mit diesen Waren und den Export vom Hafen Machilipatnam nach Südostasien, bis zur afrikanischen Ostküste und schließlich auch nach Europa.. Das abschließende fünfte Kapitel widmet sich dann dieser Spur indischer Textilien in das Britannien von Elizabeth I, Queen Mary und der East Indian Company und der verhängnisvollen Rolle der frühen Industrialisierung Englands für die indische Textiltradition.

Das Buch über die Kunst der Textilien im Mogul-Indien ist kein Bilder- sondern in erster Linie ein Lesebuch. Die Autorin glänzt mit einer unvergleichlichen Fülle an Informationen über Materialien, Techniken und Strukturen indischer Textilien, über ihre Herstellung von der Gewinnung der Rohstoffe, deren Färbung und den verwendeten Webstühlen bis zur Verarbeitung zu Saris, Roben, textilen Bildern, Wandbehängen und vielen anderen mehr. Schwerpunkte in der Darstellung sind die vielfältigen Funktionen dieser Textilien, wie diese das soziale, politische, religiöse und ästhetische Leben im Indien der frühen Neuzeit und – sowohl geographisch wie auch zeitlich weit darüber hinaus – prägten. Wo zur Verdeutlichung des Textes notwendig, findet der Leser immerhin etwa 150 Illustrationen, gelegentlich seitengroß aber meist in kleinem Format.

Der Ausblick, die Fortsetzung des Kapitels 5 über den Export indischer Textilien nach England, ist zwiespältig. Der Import britischer Baumwolle aus englischen Spinnereien und Webereien, die die von afrikanischen Sklaven im Süden der USA gewonnene Baumwolle verarbeiteten, brachte die indische Produktion fast zum Erliegen. Trotz der Transportkosten konnte das englische Produkt das indische Material um 30% unterbieten. Auch Spezialitäten wie Wildseide aus Assam oder Pashmina aus Kaschmir können den Niedergang nicht aufhalten. Mahatma Ghandis Aufruf zum Boykott englischer Waren verhallte weitgehend und erst Ghandis Neffe, Maganlal Ghandi gelang in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine kleine Renaissance handverarbeiteter indischer Baumwolle. Heute, einhundert Jahre später, ist auch das Geschichte und baumwollene Massenprodukte aus dem Billiglohnland Indien dominieren den Weltmarkt.

 

Print Friendly, PDF & Email