A Splendid Land – Paintings from Royal Udaipur

A Splendid Land – Paintings from Royal Udaipur

Autor/en:         Debra Diamond, Dipti Khera

Verlag:            Hirmer Publishers

Erschienen:     München 2022

Seiten:             400

Buchart:          Leinen mit Schutzumschlag

Preis:               € 65,00

ISBN:             978-3-7774-3944-0

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Wimmelbilder – man kennt sie aus den Büchern für Kinder – werden als pädagogisch wertvoll angesehen, sind aber künstlerisch eher am unteren Ende der Skala angesiedelt. Dennoch sind „Wimmelbilder“ ein längst etablierter Begriff in der Kunstgeschichte. Ein frühes Beispiel dieser Spezies ist der „Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch, entstanden wohl am Ende des 15. Jahrhunderts. Das Bild gehört zu den absoluten Highlights für die Zeit des Übergangs von der Spätgotik zur Renaissance und kann im Prado in Madrid bewundert werden. Die Kriterien eines Wimmelbildes im kunsthistorischen wie auch im zeitgerecht pädagogischen Sinne erfüllt dieses Bild in perfekter Weise: Es zeigt ein eigentlich bezugsloses Nebeneinander und gleichzeitiges Nacheinander augenblickshaft eingefrorener Szenen mit christlich lehrhafter Symbolik. Es blieb kein Einzelfall, wie etwa die von Pieter  Bruegel dem Älteren im 16. Jahrhundert gemalten Bilder „Die Niederländischen Sprichwörter“ (Gemäldegalerie Berlin) oder „Die Kinderspiele“ (Kunsthistorisches Museum Wien) beispielhaft belegen.

Eine Überraschung selbst für Kenner und Liebhaber indischer Kunst dürfte die Existenz von Wimmelbildern aus der Zeit vom frühen 18. bis zum späten 19. Jahrhundert im rajputischen Königreich von Udaipur (Mewar) sein. Ihr Zweck, den königlichen Hof, die dort gefeierten Feste und Zeremonien, vor allem aber die königlichen Jagdausflüge mit allen, auch nebensächlichen Einzelheiten festzuhalten, erfüllt hier durchaus keinen pädagogischen und auch keinen religiös dominierten sondern einen dokumentarischen Zweck, entspricht aber gleichwohl den Kriterien der oben genannten Definition.

Genug nun der Präliminarien: Das zur Smithsonian Institution in Washington D.C. gehörende National Museum of Asian Art präsentiert anlässlich des hundertjährigen Bestehens des Smithsonian in der Arthur M. Sackler Gallery in Washington in Kooperation mit dem City Palace Museum in Udaipur und der Maharana of Mehar Charitable Foundation eine – das muss man wohl so bezeichnen – Blockbuster-Ausstellung, zu der Hirmer in München einen großartigen Katalog publiziert hat.

Ist man aus der traditionellen indischen Malerei Miniaturen oder kleine Formate gewohnt, die erst unter der Quajaren-Herrschaft und dem europäischen Einfluss im 19. Jahrhundert an Größe zulegten, so erreichen die narrativen Bilderzählungen aus Udaipur schon im frühen 18. Jahrhundert in Höhe oder Breite ein Eineinhalbmeter-Format und sogar mehr. Platz genug also für Darstellungen, die nicht nur den herrschenden Maharana mehrfach und in verschiedenen Zeitebenen zeigen, sondern zugleich die Palastarchitektur und vor allem die umgebende attraktive Landschaft mit ihren Seen, Bergen und Wäldern und allem, was dort kreucht, fleucht und allerlei wichtigen oder nebensächlichen Beschäftigungen nachgeht. Diese Bilder einer tatsächlichen, realen Welt, einer von Menschen für ihren König geschaffenen Kulturlandschaft, sind neu für die indische Kunst, die sonst topographische Abbildungen kaum kennt. Wasser, Land, Wälder und Berge, auch der dramatische Himmel zur Zeit des Monsuns, sind hier nicht symbolhaft, sondern als reales Abbild der Wirklichkeit wiedergegeben. Diese Szenarien gipfeln in den Szenen der Tiger-, Kranich- oder Bärenjagd, prall mit Details gefüllte Bilder, die nicht nur den König immer wieder im Verlauf des Jagdgeschehens zeigen, sondern auch die bejagten Tiere, eine noch unbefangene Gruppe fröhlich spielender Tiger, die in einen Hinterhalt geratenen Bären oder von Jagdfalken attackierte Kraniche. Ein Kampf von Elefanten bei Nacht schließlich erzählt neben vielen anderen Details die spannende Geschichte eines Elefantenbabys, das in der Dunkelheit in ein finsteres Loch gefallen ist und in einer dramatischen Aktion von den Getreuen des Maharanas gerettet wird. Auch auf diesem Bild tummeln sich weit mehr als einhundert Personen, beritten oder zu Fuß, im Wald oder im bebauten Gelände und der König, kenntlich an seiner Gloriole, ist an mindestens fünf verschiedenen Orten zu sehen.

Nicht weniger interessant sind höfische Szenen im königlichen Palast, Hochzeiten, Frühlingsfeste, Paraden, Umzüge, Reiterspiele und andere soziale Events, die wegen der dargestellten Architektur, der reichen Gewänder, der prächtig geschmückten Pferde und Elefanten und unzähliger weiterer versteckter Details, die es zu entdecken gilt, immer wieder Überraschungen bergen. So etwa das große Bild vom Empfang des britischen Generalgouverneurs von Indien, Lord William Cavendish Bentinck durch den Maharana  Jawan Singh von Mewar am 8. Februar 1832, bei dem man die schwierige Protokollfrage der unterschiedlichen Sitzgewohnheiten dadurch löste, dass man die indischen ebenso wie die britischen Repräsentanten auf harten europäischen Stühlen Platz nehmen ließ, während Maharana und Gouverneur auf einer Art Biedermeier-Sofa Platz nehmen durften.

Neben diesen wenigen Beispielen aus einem eindrucksvollen Korpus von mehr als 80 Bildern, ihrer vielfältigen Thematik und den beiläufigen Szenen und Darstellungen, wie etwa Wäscherinnen bei Sonnenuntergang, Dörfler bei der Arbeit auf dem Feld, Fische im See Pichola, Krokodile als Palastwächter oder einsame Tempel im dichten Urwald, müssen Inhalt, Sorgfalt und Umfang der Katalogtexte hervorgehoben werden. Die Geschichte, Entwicklung und Topographie des rajputischen Fürstentums Mewar im heutigen indischen Bundesstaat Rajasthan und seiner attraktiven Hauptstadt Udaipur wird von einem Team namhafter Experten ebenso sorgfältig aufbereitet und erzählt, wie die Bilder und deren vielseitige Inhalte kommentiert werden. Aus all dem ist nicht länger erstaunlich, dass Kinder ihre Wimmelbücher so lieben.

Print Friendly, PDF & Email