Dem Buddha geweiht – Neue Forschungen zu den kaiserlichen Seiden der Tang-Zeit aus dem Tempel von Famen

Dem Buddha geweiht – Neue Forschungen zu den kaiserlichen Seiden der Tang-Zeit aus dem Tempel von Famen

Autor/en:         Susanne Greiff, Romina Schiavone, Shing Müller, Sun Zhouyong, Hou Gailing   (Hrsg.)

Verlag:            Verlag der Römisch-Germanischen Zentralmuseums

Erschienen:     Mainz, 2022

Seiten:             XX, 651

Buchart:          Hardcover

Preis:               € 139,00

ISBN:             978-3-88467-354-6

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Als im August 1981 die 13-stufige Ming-zeitliche Pagode des Famen-Klosters in der chinesischen Provinz Shanxi aufgrund vorangegangener Erdbeben und schwerer Regenfälle zur Hälfte einstürzte, dachte noch niemand an eine archäologische Sternstunde. Erst 5 Jahre später wurde im Fundamentbereich der Pagode eine Tang-zeitliche, nachweisbar zuletzt im Jahre 874 verschlossene und seither unberührte unterirdische Krypta oder Reliquienkammer entdeckt, aus der neben einer Vielzahl sensationeller Objekte aus Gold, Silber, Bronze, Glas, Stein und Keramik auch Textilien geborgen werden konnten. Während die erstgenannten Artefakte die in den in mehr als elfhundert Jahren aufgetretenen Erdbeben, Wassereinbrüche und Schädlingsattacken recht unbeschadet überstanden, so dass sie alsbald einer staunenden Öffentlichkeit vorgestellt und auch publiziert werden konnten, befanden sich die Textilien – geschätzt viele hunderte – in einem extrem schlechten Erhaltungszustand. Manche, etwa die Einschlagtücher von Reliquienbehältern zerfielen bei der ersten Berührung zu Staub, andere waren  nur in winzigen Fragmenten erhalten, die kaum noch ihre Webstruktur erkennen ließen und wieder andere, einst wohl Stapel kaiserlicher Roben, waren zu amorphen Textilballen zusammengeklumpt. Chemische und biologische Prozesse hatten die organische Struktur der Seidengewebe bereits weitgehend abgebaut. Man kann den chinesischen Verwaltungs- und Museumsbeamten ebenso wie den Archäologen kaum einen Vorwurf machen, dass sie diesen Schatz zunächst vor sich herschoben und durch Unkenntnis und Falschbehandlung das Schadensbild noch verschlechterten. Nach dem Stand der Wissenschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts galt die Mehrzahl der Textilien als unrestaurierbar und für die Forschung nicht mehr von Interesse,

Erst 2002 begann ein Kooperationsprojekt zwischen dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum und dem Archäologischen Zentralinstitut der Provinz Shaanxi zur Konservierung und  Restaurierung der Famen-Seiden. In einem gemeinsam errichteten und betriebenen Labor wurden neue Verfahren erdacht und entwickelt und entscheidende Fortschritte gemacht. Diesem, allerdings noch längst nicht abgeschlossenen Kapitel der Tang-zeitlichen Textilarchäologie in China ist eine Monographie des Römisch-Germanischen Zentralmuseums gewidmet, die nicht nur für Archäologen und Textilfreaks von Interesse ist, sondern auch für alle, die über China, chinesische Geschichte, wissenschaftliche Ingeniosität  und schließlich über Tang-zeitliche Kultur mehr erfahren  wollen, denn der Verlag ließ es sich nicht nehmen, die bereits mehrfach publizierten Wunderwerke Tang-zeitlicher Handwerks– und islamischer Glasbläserkunst und andere Kostbarkeiten mehr dem eigentlichen wissenschaflichen Text voranzustellen.

Das zentrale Thema der Monographie ist die Entfaltung. Es geht um den Ballen T68, der ausweislich eines in der Krypta gefundenen und in Stein geschriebenen Inventars eine Stiftung der kaiserlichen Familie gewesen  sein soll. Mit der Entfaltung eines Teils dieses Ballens, drei Roben, zwei Hosen, zwei Röcke und eine Jacke bzw. Bluse, ist es durch konzentrierte Teamarbeit, durch innovative Ideen und Einsatz modernster Technologien tatsächlich so weit gelungen, dass die Gewebestrukturen, die Muster, vor allem aber auch die Schnitte dieser Textilien so weit erkennbar wurden, dass die Anfertigung von textilen Rekonstruktionen möglich war. Vergleiche mit Wandmalereien aus der Zeit, etwa aus den Mogao-Grotten von Dunhuang lassen so ein lebendiges Bild einer Prachtentfaltung der späten Tang-Zeit entstehen. Was allerdings die entfalteten Originale angeht, sind diese konservatorisch nach modernsten Erkenntnissen gelagert; der fragile Zustand der entfalteten Stücke erlaubt es nicht, die Gewänder durch Heben oder Wenden weiter zu manipulieren.

 

Vorstehendes gilt auch für weitere zwei Dutzend Seiden aus verschiedenen Bereichen der Krypta, deren Zustand eine detaillierte Untersuchung auf Struktur, Muster, Farben und Material zuließ mit dem Ergebnis einer wahren Orgie gelb- und pfirsichfarben gefärbter und mit Gold und Silber verzierter Textilien, mögen es Jacken oder Einschlagtücher für Reliquien oder deren Behältnisse, Roben oder andere Gewänder und Accessoires sein.

 

Der zentrale wissenschaftliche Teil dieser Publikation – hier verkürzt „Entfaltung“ genannt – mag für manche Leser spannend wie ein ultimativer Wissenschaftskrimi sein, während andere sich eher gelangweilt durch die Detailfotos von Textilfragmenten durchblättern. Die begleitenden Essays aber über den kunst- und kulturhistorischen Kontext dieses sensationellen Textilfundes werden jeden in ihren Bann ziehen. So etwa der Beitrag über den buddhistischen Reliquienkult der Tang-Zeit – die bedeutendste Reliquie des Famen-Klosters, die heute noch von gläubigen Pilgern verehrt wird, ist ein Fingerknochen von Buddha Shakyamuni – über die Vielfalt der Seidengewebe zur Tang-Zeit und deren Herstellung, aber auch über deren Funktion nicht allein als Bekleidung  und Ausstattung für Zeremonie und Ritual, sondern auch als Mittel der Politik und Diplomatie. Und das alles ist erst der Anfang einer Forschung, die das aus Dutzenden chinesischer und europäischer Wissenschaftler bestehende Team noch lange beschäftigen und viele weitere Erkenntnisse liefern wird. Weiteren Publikationen kann man mit Spannung entgegensehen.

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