Encyklopedia of Embroidery from Sub-Saharan Africa

Encyklopedia of Embroidery from Sub-Saharan Africa

Autor/en:         Gillian Vogelsang-Eastwood, Willem Vogelsang

Verlag:            Bloomsbury Visual Art

Erschienen:     London et.al. 2023

Seiten:             X, 335

Buchart:          Hardcover

Preis:               GBP 171,00

ISBN:             978-1-3502-6427-4

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Das unglaublich ambitionierte Vorhaben, die Stickerei dieser Welt in einer auf acht Bände – bisher war die Rede von sieben Bänden – angelegten, umfassenden Enzyklopädie vorzustellen, ist nach „Embroidery from the Arab World“ (2019) und „Embroidery from Central Asia, the Iranian Plateau and the Indian Subcontinent“ (2021) nun um einen Band über Stickereien des „Sub-Saharan Africa“ erweitert. Um diese Leistung zu würdigen bedarf es einiger Zahlen: Mit 54 Staaten übertrifft Afrika das mehr als dreimal so große Asien deutlich und die Zahl der dort lebenden Ethnien, legt man die Anzahl der in Afrika anzutreffenden Sprachen als grobes Abgrenzungsmerkmal zugrunde, liegt weit jenseits der zweitausend. Berücksichtigt man weiter, dass das Gros der afrikanischen Staatsgründungen um die Mitte des 20. Jahrhunderts erfolgte und nicht natürlichen oder stammespolitischen Gegebenheiten, sondern den überkommenen Machtstrukturen des europäischen Kolonialismus folgte, dann ist klar, dass eine solche Enzyklopädie entweder scheitert oder zu einer Meisterleistung wird.

Das Ergebnis liegt irgendwo in der Mitte dieser Extreme und dies ist vor allem dem Umstand zu danken, dass sich der Aufbau des Buches streng an dem der beiden Vorläuferbände orientiert. Den Grundinformationen über die Materie Stickerei, einem – hier allerdings sehr knappen – Exkurs über historisches Material folgen die nach geographischen Kriterien geordneten Kapitel – Sahel-Zone, West-Afrika, Zentral-Afrika, Ost- und Nordost-Afrika und schließlich Südafrika, bevor ein Anhang mit der zeichnerischen Darstellung von Sticktechniken, einer Bibliographie und einem ausführlichen Index das Buch beschließt.

Die nach Abzug der im Band „Arab World“ behandelten Maghreb-Länder und Ägypten verbleibenden 47 afrikanischen Staaten und die dort anzutreffenden Stickereien – der Begriff wird hier weit gefasst und beinhaltet auch patchwork, gequiltete Arbeiten und Perlstickerei – finden alle mehr oder weniger umfangreich Erwähnung. Weniger etwa bei einigen Staaten aus Ost- und Nordost- oder auch aus Südafrika, etwa Ruanda, Urundi, Eritrea und andere, die über keine nennenswerte oder, soweit bekannt, nur über eine sehr junge Sticktradition verfügen Dennoch sind auch hier die Informationen über die geographische Lage dieser Staaten in Afrika, ihre Nachbarn und über die wichtigsten der in ihren Grenzen lebenden Ethnien sorgfältig, vollständig, lesenswert und tragen  so dazu bei, ein Bild von der Vielfalt dieses Kontinents und der Komplexität und der Variabilität seiner Nadelarbeiten zu vermitteln.

Ganz anders sieht es in Staaten wie etwa Senegal, Äthiopien oder Nigeria aus, die schon frühzeitig Kontakt mit europäischen Seefahrern und Händlern hatten und deren materielle Kultur – ob nun von den Kolonialmächten beeinflusst oder nicht – bekannt, beschrieben und im besten Fall sogar gesammelt wurde. Neben einigen anderen Quellen, etwa dem Textile Research Centre in Leiden ist hier vor allem das British Museum zu nennen, dessen bemerkenswerte Sammlung afrikanischer Stickereien diesen Band erst möglich gemacht hat. Aber auch in diesen „prominenten“ Staaten hindert schlicht die ethnische Vielfalt und die dadurch gegebene Diversität textiler Ausdrucksformen und Varianten in Material, Technik und Gebrauch eine verlässliche bildgestützte Übersicht, wie man sie von einer Enzyklopädie eigentlich erwartet. Doch dies ist und soll kein negatives Urteil sein, denn der enzyklopädische Wert dieser Publikation liegt in den sorgfältigen Texten, in den fast jedem der 49 Kapitel vorangestellten, farbig gehaltenen Übersichts- und Detailkarten nebst Beschriftungen und vor allem in den jedes Kapitel beschließenden Querverweisen, die, wenn man ihnen folgt, den Leser zwanglos zu einem Verständnis des ungeheuer komplexen Themas afrikanischer Stickerei führen.

Nach all diesen Überlegungen sollen ein paar Hinweise auf mehr oder weniger bekannte afrikanische Stickereien einmal mehr die Neugier auf dieses interessante Buch wecken. Da sind etwa die aus den Fasern der Raffia-Palme im zentralafrikanischen Staat Kongo durch den Stamm der Kuba gefertigten Raffia-Arbeiten, die sich durch eine ästhetisch beeindruckende ornamentale Abstraktion auszeichnen. Kein Wunder also, dass diese Arbeiten schon im frühen 20. Jahrhundert europäische Künstler wie etwa Henri Matisse fasziniert und angeregt haben. Oder, als extremer Gegensatz hierzu, die liturgischen und höfischen, reich mit Gold und Silber bestickten Gewänder des christlichen Äthiopien unter Kaiser Haile Selassie und seinen nicht weniger prunksüchtigen Vorgängern. Völlig unerwartet finden sich in der Sahel-Zone gequiltete Rüstungen für Krieger und ihre Pferde, wie sie verschiedene Stämme im 19. bis ins 20. Jahrhundert verwendet haben. Stickerei in ihrer schönsten Form, bunt und schön gezeichnet auf weißem Grund, sieht man in Mali oder in Nigeria und schöne, bestickte Kappen für Männer sind in fast ganz Afrika verbreitet. Dass das alles zeitlich gerade mal, wenn überhaupt, nicht weiter als in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückreicht, darf hier nicht stören. Denn jedenfalls, was die Stickerei betrifft, ist Afrika ein junger Kontinent.

Als außergewöhnlich und doch irgendwie typisch für diesen Kontinent sei zum Abschluss eine im Jahr 2010 von der Projektgruppe Keiskamma in Hamburg/Südafrika hergestellte Stickerei vorgestellt. Deren Vorbild ist unverkennbar Picassos Guernica, ein weltberühmtes Fanal gegen die Schrecken des Krieges. Das Keiskamma Guernica übernimmt den Stil und auch die Maße (3,5 x 7,8 m) von Picassos Bild, kommentiert aber die Zerstörung der Gesellschaft durch HIV/AIDS und macht die Panik, Sorge und Verzweiflung sichtbar, die diese heimtückische Krankheit für Afrikaner bedeutet.

 

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