Denk ich an Bhutan

Autor/en: Heinrich Harrer
Verlag: Herbig Verlag
Erschienen: München 2005
Seiten: 240
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 48.50
ISBN: 3-7766-2439-6
Kommentar: Michael Buddeberg, Februar 2006

Besprechung:
Heinrich Harrer ist am 7. Januar 2006 im Alter von 93 Jahren gestorben. Er gehörte zu den prominentesten Persönlichkeiten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In ungezählten Nachrufen wurde er als Bergsteigerlegende, als letzter Abenteurer, als Freund des Dalai Lama, als Bestsellerautor, als Ethnograf und als Museumsgründer gelobt. Schon zu Lebzeiten wurde sein erstes Buch, „Sieben Jahre in Tibet“, mit Brad Pitt in der Hauptrolle verfilmt. Es war wohl vor allem dieser in fast 50 Sprachen übersetzte Bestseller über die Flucht aus einem britischen Internierungslager über den Himalaya und die winterliche Hochgebirgswüste Tibets bis in die verbotene Hauptstadt Lhasa, wo er dann viele Jahre lebte und mit dem jugendlichen Dalai Lama Freundschaft schloss, der die Popularität Heinrich Harrers begründet hat. Und es war eine Fähigkeit Harrers, die in den meisten der Nachrufe unerwähnt geblieben ist: er war ein grandioser Marketingstratege, der es wie kaum ein anderer verstand, sich und seine Leistungen und Erfolge publikumswirksam zu präsentieren. Wer es je erlebt hat, wie Heinrich Harrer noch im hohen Alter einen großen Saal nicht nur zu füllen, sondern seine Zuhörerschaft mit locker und lebhaft vorgetragenen Anekdoten zu fesseln und zu Beifallsstürmen hinzureißen wusste, der weiß auch, dass Heinrich Harrers Erfolg zu einem Gutteil diesem Talent zu verdanken ist. Seine bergsteigerische Leistung, die mit der Erstbegehung der Eigernordwand begann, sein Tibetabenteuer, die vielen Expeditionen und Reisen die folgten, seine über 20 erfolgreichen Bücher, das Harrer-Museum im österreichischen Hüttenberg und die unzähligen Vorträge und Auftritte sind ein bewundernswertes Gesamtwerk, dessen letztes Kapitel das wenige Monate vor seinem Tod erschienene Buch über Bhutan ist. Bhutan, damals noch ein fast unbekanntes und unzugängliches, buddhistisches Königreich im südlichen Himalaya hat Harrer erstmals als Begleiter des Dalai Lama auf dessen erster Flucht vor den chinesischen Kommunisten im Jahre 1950 betreten. Es folgten einige weitere Reisen in der ersten Hälfte der achtziger Jahre, als dieses Land vorsichtig seine Grenzen für einen zaghaften und reduzierten Tourismus zu öffnen begann. In einigen Dutzend knappen Artikeln lässt Harrer seinen Gedanken und Erinnerungen an Bhuten und an Tibet ziemlich freien Lauf und reiht historische, anekdotische, belehrende und erzählende Splitter in bunter Mischung aneinander. Es ist eine Plauderei über das Bogenschießen, in Bhutan Nationalsport und tief religiöse Kulthandlung, über den wundersamen cordyceps sinensis, eine Pflanze, die zum Wurm wird und wegen ihrer Wirkung auf Gesundheit und Potenz zum Wirtschaftsfaktor wurde, über das Tsetschu Fest und die eindrucksvollen Masken der Tscham-Tänzer, über Frank Kingdon Ward, den größten Pflanzenjäger aller Zeiten, der in Bhutan besonders reiche Beute fand, über den ausgeprägten Phalluskult und dessen sichtbare Darstellung an Hauswänden, über Geisterfallen, Gebetsmühlen, heiße Quellen, Eremiten, Miniaturstupas und vieles andere mehr. Ein buntes Kaleidoskop eines kleinen buddhistischen Königreiches mit einer noch ganz unverfälschten Religion und Kultur zieht an uns vorüber, ohne dass es möglich wird, tiefer in die kulturellen, historischen und religiösen Grundlagen einzudringen. Den wirklichen Zugang zu diesem Land und vor allem zu seinen Menschen eröffnen erst die Fotos von Heinrich Harrer. Und hier zeigt sich ein weiteres ganz großes Talent des Autors. Heinrich Harrer war ein glänzender Fotograf. Das gilt für seine unschätzbar wertvollen schwarz-weiß Aufnahmen aus dem historischen Tibet und das gilt für die wunderbaren Fotos in seinem Bhutan-Buch. Mit diesen Fotos schafft Harrer das, was ihm mit Worten nicht gelungen ist, die Nähe zu Bhutan und den Bhutanern herzustellen. Großartig sind seine Portraits von Pilgern, jungen Mönchen, von Honoratioren beim Bogenschießen, Handwerkern und von den Nomaden mit ihren charakteristischen Kopfbedeckungen. Die Bilder sind so sprechend, dass das Entstehen, Bemalen und Dekorieren von Tsa-Tsas, Tormas und Lehmfiguren keiner weiteren Beschreibung bedarf ebenso wie die vielfältigen Möglichkeiten, Gebetsmühlen anzutreiben, sei es im Spiel von jungen Novizen oder mit schierer Muskelkraft oder durch Wasser und Wind. Die mächtigen Dzongs, Verwaltungsburgen und Klöster in einem, das geheimnisvoll-dekorative Innere der Tempel, Hochgebirgslandschaften, wie sie nur der Himalaya zu bieten hat, ursprüngliche Dörfer mit Holzschindeldächern, Bauernhäuser mit gebietstypischer Holzarchitektur und eine unglaubliche Vielfalt unberührter alpiner, tropischer oder landwirtschaftlich genutzter Landschaften, aus all diesen Bildern spricht eine Liebe und ein Verständnis für das Land und seine Bewohner, die nur einer haben kann, der oft und lange dort gewesen ist. Oder eben einer, der einmal „Sieben Jahre in Tibet“ gelebt hat.

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