Autorin: Juliane von Fircks
Verlag: Abegg-Stiftung – Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft
Erschienen: Riggisberg Berlin 2024
Seiten: 268
Buchart: Hardcover
Preis: € 99,00
ISBN: 978-3 (-905014-78-5, Abegg-St.) (-87157-263-0, Dt.Vlg.f.KunstW´t).
Kommentar: Michael Buddeberg
Wiederholt wurden in den zurückliegenden Jahrzehnten mittelalterliche Textilien aus europäischen Kirchenschätzen publiziert. Reliquienhüllen, Grabbeigaben und Paramente in Halberstadt, Danzig und Stralsund mögen hier als Beispiele genannt sein. Struktur und Ästhetik dieser Seidengewebe verrieten ihre Herkunft aus Asien; ihre Rarität und exotische Anmutung waren Grundlage der hohen und höchsten Wertschätzung. Die genaue Herkunft indessen, die ökonomischen Grundlagen, die Handelswege und Vertriebsstrukturen fanden nicht die Beachtung, die der gesellschaftlichen Bedeutung dieser Seidengewebe im Spätmittelalter entsprochen hätte. Die nun erschienene, überarbeitete und mit reichem Bildmaterial versehene Habilitationsschrift von Juliane von Fircks bringt Licht in dieses Dunkel und behandelt die historischen Voraussetzungen von Herstellung, Handel und Gebrauch ebenso wie die technischen Aspekte und die künstlerische Entwicklung der Seidenweberei in China und Persien unter der Herrschaft des Dschingis Khan und seiner Nachfolger. Die Monographie über die prachtvollen Seiden- und Goldstoffe aus dem mongolischen Weltreich, die Panni Tartarici, öffnet ein Fenster zur spätmittelalterlichen Textilgeschichte und gewährt den Einblick in eine ferne, exotische Weltregion.
Während Seidenstoffe seit der Antike dem Papst, Königen, hohen Fürsten und Reichsbischöfen vorbehalten waren, änderte sich das in der Zeit der Kreuzzüge. Der Kontakt mit dem Morgenland, die Kreuzfahrerstaaten, die zunehmende Bedeutung von Adel, Rittertum und dem neuen Stand wohlhabender Bürger und Händler waren wesentliche Voraussetzung für die Adaption und Rezeption der Luxusgewebe aus dem Mongolenreich. Die geographischen und politischen Verhältnisse Asiens waren in Europa bis zum Jahre 1240, als die mongolischen Reiterheere in Polen und Ungarn mit erschreckender Gewalt an den europäischen Grenzen rüttelten, noch weitgehende Terra incognita. Erst der plötzliche Rückzug nach dem Tod des Großkhans Ögidei, die anschließende Konsolidierungsphase der pax mongolica und europäische Neugier wendeten das Blatt. Zu dieser Zeit waren Stoffe und Gewänder aus Seide in der Mongolei zum Statussymbol schlechthin geworden. Im gesamten mongolischen Herrschaftsbereich, im China der Yuan-Dynastie und im Ilchanat Persiens hatten Goldstoffe und aufwändige mit exotischen Mustern verzierte Seidengewebe die in der zurückliegenden Stammeskultur dominierenden Materialien Filz und Leder längst verdrängt.
Dieser ganz und gar textillastigen Geschichte des mongolischen Weltreichs der Enkel des Dschingis Khan und seiner Wandlung von den auf Raub und Eroberung gegründeten, nomadischen Ursprüngen zu einer toleranten und die eroberten Völker integrierenden Herrschaftsdynastie ist die ungemein spannende und überraschende erste Hälfte der Monographie gewidmet. Es wird deutlich, wie Seide von Beutegut zu einem Bestandteil eines Belohnungssystems und schließlich zu einem unabdingbaren Mittel wurde, die gesellschaftliche Ordnung zu definieren und aufrechtzuerhalten. Das Bedürfnis nach Seide und die Aneignung der zu ihrer Herstellung notwendigen Produktionsmittel (Material, Maschinen, Menschen) war ein wesentlicher Beweggrund bei der Adaption der Mongolen an die sesshaften Kulturen Westasiens, Zentralasiens und Chinas.
Für Europa des 13. bis zum 15. Jahrhundert waren und blieben die mongolischen Seidengewebe ein begehrtes, seltenes und kostspieliges Gut, wobei panni tartarici als der Oberbegriff für die aus dem Machtbereich der Mongolen stammenden unterschiedlichen Stoffe, die Goldstoffe und die reich gemusterten, farbigen Gewebe, verstanden wurde. Trotz des zunehmenden Handels blieb die Verfügungsgewalt über das fremdartige Material beschränkt; die mongolischen Herrscher geboten über dessen Produktion, Europa hatte nichts Vergleichbares.
Ausgangspunkt des folgenden und zentralen Kapitels über Funktion und Kontexte einzelner mongolischer Seidengewebe im Europa des 14. Jahrhunderts ist das 1295 errichtete Inventar der päpstlichen Schatzkammer von Bonifaz VIII (reg. 1294-1303), das neben allerlei kostbaren Requisiten fast 700 Textilien, darunter 20 Gewänder aus Tartarenstoffen und 53 unverschnittene Bahnen von panni tartarici vermerkte. Es folgen Details zu einem Grabgewand des 1307 beerdigten König Rudolf I von Böhmen, bei dem das Zusammenspiel zwischen der weißen Seide und dem flach verwebten oder um eine Seide gewickelten Ledergold ein juwelenartiges Funkeln erzeugte. In Regensburg haben sich unter der Bezeichnung „Heinrichsgewänder“ zwei komplette Ornate, bestehend aus Kasel und zwei Diakoniegewändern aus attraktiven, vielfarbigen Streifentextilien mit fremdartigen Ornamenten, Tiermedaillons und arabischen Inschriften erhalten, deren Produktion in der Hauptstadt Täbriz des persischen Ilchanats vermutet wird. Paramente aus St. Nikolai in Stralsund, hier unter anderem ein rot-goldener Seidenlampas mit Löwen und Drachen, leiten von den klerikalen Geweben zu profanen Textilien wie das über dem Harnisch getragene Wams des Charles de Blois im Musée des Tissus in Lyon über, bevor ein Kapitel über gemusterte Seidenstoffe in der Tafel- und Buchmalerei des 13. bis 15. Jahrhunderts den Reigen prominenter Beispiele beschließt.
Diese nüchterne Auflistung wird der immensen Vielfalt von Details, von Hinweisen auf Vergleichsobjekte und der eingehenden wissenschaftlichen Untersuchung und Bewertung der panni tartarici nicht wirklich gerecht. Sie kann aber und soll neugierig machen auf ein ganz außergewöhnliches Buch, das ein komplexes Thema in schwerlich zu übertreffender wissenschaftlicher Tiefe und Breite umfassend und fakultätsübergreifend behandelt. Außer textilem Neuland wird die Geschichte Eurasiens in der Zeit des Spätmittelalters spannend und lebendig erzählt. Doch wie bei Forschungsarbeiten dieser Art üblich werden nicht nur Fragen beantwortet sondern sie kreieren neue und bisher unbekannte Fragestellungen, hier etwa die Suche nach möglichen gezeichneten Vorlagen für die Stoffmuster, die genaue Zuordnung zu den Zentren der Seidenweberei oder die Frage nach den Entwerfern der Seidenmuster und deren Rolle und Funktion im Prozess der Seidenstoffproduktion. Es wird also weitergeforscht.