Made in Japan – Farbholzschnitte von Hiroshige, Kunisada und Hokusai

Autor/en:         Judith Rauser, Hans Bjarne Thomsen (Hrsg.)   

Verlag:            Deutscher Kunstverlag

Erschienen:     Berlin 2024

Seiten:             224

Buchart:          Klappenbroschur

Preis:               € 42,00

ISBN:             978-3-422-80183-7

Kommentar:    Michael Buddeberg

Farbholzschnitte, allen voran die ikonischen Landschaftsdrucke mit dem Heiligen Berg Fuji, sind wohl die bekanntesten Kunstwerke aus dem ostasiatischen Inselstaat. Entsprechend zahlreich sind die zu diesem Thema erschienenen Publikationen vom Insel-Bändchen über aufwändige coffee-table-books bis zu wissenschaftlichen Monographien zu einzelnen Künstlern. Aus diesem fast unüberschaubaren Stapel ragt nun ein Ausstellungskatalog heraus, der dem Leser mit mehr als einhundert oft seitengroß wiedergegebenen Abbildungen nicht nur eine bisher unbekannte Privatsammlung aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts präsentiert, sondern in zwei inhaltsreichen Essays sowohl die Geschichte dieser Kunstform in der Edo-Zeit erzählt und darüber hinaus eingehend in die technischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Grundlagen des japanischen Farbholzschnitts einführt.

Es waren wohl die Studienjahre in München, der um die Wende zum 20. Jahrhundert lebendigsten deutschen Kunststadt, die den Schweizer Chemiker Carl Mettler (1877-1942) zum Sammeln von Kunst inspirierten. Neben Werken von Schweizer und französischen Künstlern sind etwa 320 japanische Farbholzschnitte der Schwerpunkt seiner Sammlung, die Mettler als Vermächtnis dem Kunstmuseum Basel überließ, das sie nun mit Ausstellung (leider seit Ende Juli vorbei) und Katalog aus einem mehr als achtzigjährigen Dornröschenschlaf erweckt hat. Mettler hat über seine Sammlungen sorgfältige Aufzeichnungen geführt, und so sind seine Erwerbungen aus dem Handel und auf Auktionen vorwiegend in den 20er und frühen 30er Jahren nach Zeitpunkt, Preisen und oft auch nach den Provenienzen in dem Katalogbuch gut dokumentiert. Der Höhepunkt des „Japonismus“ war damals schon vorüber und Mettler gab ganz offensichtlich der künstlerischen Qualität den Vorzug vor der Quantität. Seine Sammlung ist von der Auswahl der Themen, den in ihr vertretenen Künstlern und hinsichtlich der Kriterien Technik, Seltenheit und vor allem dem Druck- und Erhaltungszustand der Blätter herausragend.

Die Edo-Zeit (1603-1868) – Japan hatte sich vom Rest der Welt weitgehend abgeschottet – war eine Zeit des Friedens, der wirtschaftlichen Blüte und eines dramatischen gesellschaftlichen Wandels. Die feudalen Strukturen verloren mehr und mehr an Bedeutung, Handel und Handwerk blühten, es entstand ein selbstbewusstes Bürgertum und Edo wurde zu einer der ersten Millionenstädte dieses Planeten. Das städtische Publikum war begierig nach Unterhaltung und fand sie im Kabuki-Theater, das vor allem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einen ungeahnten, sich über das Ende der Edo-Zeit erstreckenden Boom erlebte und das Medium der Schauspielerdrucke zu einem lange anhaltenden Massenphänomen machte. Der Essay des Kunsthistorikers und Japanexperten Hans Bjarne Thomsen ist eine glänzend geschriebene und kenntnisreiche Einführung in diese japanspezifische Theaterform und das Geschäft mit den Schauspielerdrucken. Die Gesamtzahl dieser Blätter, um die sich hunderte von Verlegern und ein Heer von qualifizierten Handwerkern bemühten, dürfte sich auf viele Millionen summiert haben, doch sie waren entsprechend der vergänglichen Natur ihres Sujets nur für den Augenblick bestimmt. Mit dem Ende der Karriere oder dem Tod des dargestellten Schauspielers verloren die Drucke an Bedeutung. Da das Publikum sie nicht als Kunst ansah, ist es dem Zufall oder Sammlern zu danken, dass sie in nennenswerter Zahl bis heute überlebten. Der Bestand an Schauspielerdrucken in der Sammlung Mettler ist bedeutend, stammt von heute für ihre Entwürfe berühmten Künstlern wie Sharaku, Kunisado, Kuniyoshi und vielen anderen mehr und wird von Thomsen Blatt für Blatt und versehen mit Anekdoten und Hintergrundinformationen lesenswert dokumentiert.

Das zweite große Thema der Sammlung Mettler sind die Landschaftsdarstellungen vor allem des 19. Jahrhunderts von Hiroshige und Hokusai, die dadurch geprägt sind, dass neben der dargestellten ländlichen oder auch städtischen Ansichten mit Bergen, Wasser, Vegetation und Himmel in leuchtenden Farben stets auch Architektur und lebendige Szenen in der Art von Momentaufnahmen zu sehen sind. Judith Rauser beschreibt das gesellschaftliche Umfeld, das für den Erfolg dieser regelmäßig als Serien konzipierten Bildfolgen sorgte. Das in der Edo-Zeit erstarkte Bürgertum hatte das Reisen entdeckt; zu den Pilgern und Wallfahrern gesellten sich in Geschäften tätige Beamte, Handwerker, Boten, Adelige mit großer Entourage und sonstige Reisende, die für die Beschwerlichkeit eines mehrtägigen Fußweges durch die Schönheit der Landschaften und die entstandene Infrastruktur mit Poststationen, Unterkunfts- und Verpflegungsmöglichkeiten entschädigt wurden.

Ein eigenständiges Bildthema von großer Beliebtheit war die Repräsentation schöner Frauen. Neben der Darstellung teils unglücklicher aber immer schöner Liebespaare sind es die Bilder der legendenumwobenen Kurtisanen aus dem Rotlichtviertel von Edo. Deren opulente modische Ausstattung mit übereinander getragenen, voluminösen Kimonos, aufwändigen, mit Kämmen und Stäben verzierte Frisuren und den vorne gebundenen obis (Gürtel) erinnern an die Modewerbung unserer Tage, deren frühe Vorläufer sie sein könnten. Utamaro sei hier als der herausragende Künstler dieses Genre genannt.

Neben diesen Bereichen fehlen in der Sammlung Mettler Blätter zu den Themen Sumō, Erotik, Tiere, Dämonendarstellungen und andere. Wie stets bei der Publikation von privaten Sammlungen, mögen sie sich noch im Besitz des Sammlers befinden oder in der öffentlichen Hand, erlauben sie einen interessanten Blick auf die Person des Sammlers, seinen Geschmack, seine Vorlieben und Abneigungen. Der kunstsinnige Chemiker Carl Mettler war nach Abschluss seiner Ausbildung wissenschaftlicher Mitarbeiter und Prokurist der Basler Farbenfabrik J.R.Geigy (später Ciba-Geigy und heute Novartis) und entwickelte dort unter anderem Textilfarbstoffe. Es mag der Umgang mit und die Liebe zu den Farben gewesen sein, die ihn bewogen, die japanischen Farbholzschnitte mit ihren leuchtenden und brillanten Farben zu sammeln, denn in der europäischen Kunst des 19. Jahrhunderts waren sie nicht zu finden. Einige Wegbereiter der Modernen Kunst haben das genauso gesehen.

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