Tibetan Furniture – Identifying, Appreciating, Collecting

Autor/en: Chris Buckley
Verlag: Thames & Hudson
Erschienen: London 2005
Seiten: 228
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 35.– US-$
ISBN: 978-0-50051277-7
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2005

Besprechung:
Auf vielen Gebieten von Kunst und Kunsthandwerk haben die Tibeter Meisterleistungen vollbracht. Gute und frühe tibetische Thankas gehören in der Feinheit der Ausführung, der Harmonie ihrer Farben und der Aussage ihrer Bildinhalte zu den bemerkenswertesten Schöpfungen der Malerei, in der Metallbearbeitung verfügten Handwerker aus Derge über Techniken in der Verarbeitung von Gold und Eisen, die heute nicht mehr bekannt sind, im Guss von feinsten Skulpturen in der verlorenen Form besaß nur der mongolische Mönch Zanabazar noch größere Fähigkeiten und wer den Potala-Palast in Lhasa oder den Kumbum von Gyantse gesehen hat, muss auch den unbekannten tibetischen Architekten für ihren souveränen Umgang mit Proportionen Hochachtung zollen. Doch fähige Schreiner hat das Land auf dem Dach der Welt niemals hervorgebracht. Kein Wunder, war doch Holz in Tibet immer selten und teuer. Nur im Osten Tibets, in den tieferen Lagen das Landes, gab es große Wälder mit hohen, gerade gewachsenen Bäumen, und das unentbehrliche Bauholz musste auf beschwerlichste Art und Weise in das hoch gelegene Zentraltibet gebracht werden. So sind denn tibetische Möbel in ihrer Konstruktion von denkbar einfachster Machart. Deckeltruhen etwa, die im alten Tibet wohl gebräuchlichsten Möbel, sind in der Regel aus einfachen Weichholzbrettern ohne komplizierte Verbindungen zusammengefügt, an Ecken und Kanten von Metallklammern gehalten und anstelle von Scharnieren findet man häufig nur einfache Eisenringe. Und doch sind tibetische Möbel weltweit einzigartig, unverwechselbar und eine Kunstgattung ganz eigener Art. Sie sind es durch ihre ungewöhnliche Bemalung und durch einen überraschenden Reichtum von Mustern und Dekorelementen. Erstmals in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts erreichten über Nepal und Hongkong vereinzelt tibetische Möbel den Westen und offenbarten eine zuvor fast unbekannte Tradition. Es lag wohl an dem spärlichen Material, denn auch hier ist in der Zeit seit der chinesischen Besetzung Tibets ein hoher Prozentsatz des tibetischen Erbes den Flammen und dem Vandalismus zum Opfer gefallen, und an den nur wenigen Händlern, Sammlern und Kennern, dass es bisher bis auf zwei Aufsätze von Tony Anninos keine Publikation zum Thema gab. Das hat sich nun geändert. Mit dem Katalog einer Ausstellung im Pacific Asia Museum, ergänzt durch zahlreiche Essays („Wooden Wonders“, erschienen 2004 bei Serindia) und der soeben bei Thames & Hudson veröffentlichten Monographie von Chris Buckley liegen nun gleich zwei Bücher vor, die das faszinierende Thema tibetischer Möbel umfassend und kompetent behandeln. Im ersten von vier einleitenden Kapiteln behandelt Buckley zunächst das Umfeld dieser manch einem wohl zunächst sehr fremdartig erscheinenden Möbel und beschreibt das Land, seine Bewohner, ihre Religion und ihre das ganze Leben und auch ihre materielle Kultur bestimmende Spiritualität. Einem Kapitel über Konstruktion, über Möbelformen und über den praktischen Gebrauch in Tempel, Kloster und Haushalt folgt eine vollständige und systematisch geordnete Darstellung aller auf tibetischen Möbeln anzutreffenden Themen, Muster und Dekorationsmittel. Sie entsprechen dem breiten Repertoire, wie man es auch auf Teppichen, Metallarbeiten und in der Thanka-Malerei findet. Die acht kostbaren Dinge, flammende Juwelen, das Vajra als Symbol von Kraft und Macht, die buddhistischen Symbole und immer wieder das uralte Swastika, in Alleinstellung, als Hintergrundmuster im unendlichen Rapport oder mäandernd als Bordürenrahmen. Schneelöwen und Tiger, Elefanten und Rehe, Phönix, Pfau und Kranich, Schmetterling und Fledermaus bilden das zoologische Moment, während Garuda, Makara und Kirthimuka alten indischen Mythen entnommen sind. Besonders hervorzuheben aber sind zwei Dekorationsmittel, die immer wieder anzutreffen sind und die ihren Ursprung im chinesischen Musterschatz haben: Drachen und Textilmuster. Drachen sind in der asiatischen, vor allem in der chinesischen Kunst allgegenwärtig und sie verkörpern eine positive Schutzmacht, die den Raum zwischen Erde und Himmel beherrscht und kontrolliert. In den Händen der Tibeter, vor allem auf ihren Möbeln, wurde der Drache zum Mittelpunkt einer Vielfalt dekorativer Darstellungen und gewann gegenüber dem oft etwas steifen chinesischen Vorbild einen spielerischen, individuellen, liebenswerten Charakter. In der Regel steht der Drache in einem Medaillon vor einem Hintergrund, der eindeutig chinesischen Textilmustern entnommen ist. Diese Brokate mit oft komplexen geometrischen oder floralen Mustern entwickelten sich in China schon sehr früh und blieben bis zur Zeit der Qin-Dynastie beliebt, unterlagen aber nach Stil, Mode und Zeitgeschmack einem steten Wandel. Sie gelangten in großen Mengen nach Tibet, das zur Ausstattung von Tempeln und Klöstern sowie für die Prachtroben von Adel und Klerus einen unerschöpflichen Bedarf hatte. Diese Textilmuster sind heute wertvolle Hilfen bei der ungemein schwierigen Datierung tibetischer Möbel. Auch wenn es sich bei den Datierungen immer nur um Schätzungen handeln kann und jede Altersangabe nur mit einem erheblichen Spielraum in beiden Richtungen versehen werden muss, ist festzustellen, dass unter den erhalten gebliebenen tibetischen Möbeln viele ein sehr hohes Alter aufweisen. Radiocarbon-Datierungen (veröffentlicht in „Wooden Wonders“) bestätigen Datierungen, die bis ins 15 Jahrhundert und sogar noch erheblich weiter zurückreichen. Im Hauptteil des Buches werden ausgewählte Stücke, überwiegend aus privaten Sammlungen – größere Museumssammlungen sind bis heute nicht aufgebaut geworden – vorgestellt, weit überwiegend Truhen, aber auch Tische, darunter die typischen Falttische, Kommoden, Möbel zur Präsentation oder Aufbewahrung von Butterlampen, Büchern, Statuen und Thangkas und Schreine für Opfergaben mit tantrischen Darstellungen. Es entsteht so ein vielfältiges und vollständiges Bild einer Kunst des Möbeldekors, wie sie weltweit einzigartig ist. Auch wenn die Vorbilder für viele der Muster aus anderen Kulturbereichen stammen, aus Indien, aus Zentralasien und vor allem aus China, so haben es die tibetischen Künstler doch verstanden, diese dekorativen Stile zu adaptieren, ihrem eigenen spirituellen Empfinden anzupassen und einen unverwechselbaren tibetischen Möbelstil zu schaffen.

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