Jewellery of Tibet and the Himalayas

Autor/en: John Clarke
Verlag: V & A Publications
Erschienen: London 2004
Seiten: 128
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 24,95 englische Pfund
ISBN: 1-85177-423-8
Kommentar: Michael Buddeberg, September 2004

Besprechung:
Wer heute bestimmte Gassen der Altstadt von Lhasa besucht, wird begleitet von einem unaufhörlichen tack..tack..tack..tack, überlagert von einem helleren und schnelleren tick.tick.tick.tick.tick.tick. Ein Blick durch die offenen Türen der kleinen Werkstätten klärt schnell darüber auf, daß hier wie schon seit Jahrhunderten Gold- und Silberschmiede ihrem traditionellen Handwerk nachgehen, um den ungebrochenen Bedarf der Tibeter nach Schmuck und rituellem Gerät zu befriedigen. Hier wird getrieben, ziseliert, geschmolzen, gelötet, gegossen, gepunzt und graviert wie in alten Zeiten. Die Ergebnisse können gleich vor Ort oder in der Nachbarschaft in kleinen Läden oder fliegenden Ständen am Barkhor, dem Pilgerweg um den Jokhang-Tempel, erworben werden. Manche der Sattelringe, Ohrgehänge, Halsketten, der traditionellen hölzernen Trinkschalen mit Silberdekor oder der fein gearbeiteten Teeschalen mit Stand und Deckel stehen in Qualität und Feinheit der Arbeit früherer Zeiten, von der Patina mal abgesehen, in nichts nach. Die Himalaya-Länder, insbesondere Tibet, besitzen eine der reichsten, faszinierendsten und bis heute lebendigen Schmucktraditionen dieser Welt. Einzigartig ist die Kombination von Steinen und Materialien, die auf beschwerlichen Wegen aus weit entfernten, fremden Ländern herangeschafft wurden, Kombinationen von Gold und Silber mit Türkisen, Korallen, Bernstein und Perlen. Einzigartig sind auch die Schmuckformen, deren Symbolik die faszinierende Einheit von Schmuckbedürfnis, religiöser Überzeugung und Volksglauben spiegeln, wie sie so nur hier zu finden ist. Literatur zu diesem interessantem Gebiet ist ebenso selten wie gute Exemplare dieser Juwelen in Museen und Sammlungen. So ist etwa Weihreters „Schmuck aus dem Himalaya“ seit langem vergriffen und beschränkt sich im wesentlichen auch nur auf die westlichen Gebiete der Region, während Jean Casey Singer in „Gold Jewellery of Tibet and Nepal“ ausschließlich Goldschmuck zeigt. Das nun vorliegende Buch des zuständigen Kurators aus dem Victoria & Albert Museum hilft diesem Mangel gründlich ab. John Clarke hat die Himalaya-Länder mehrfach bereist, hat dort Handwerker befragt, Feldforschung betrieben und er hat mit den Beständen des Victoria & Albert und anderer britischer Museen und Privatsammlungen das wohl reichste, existierende Anschauungsmaterial zur Verfügung. Die frühesten nachweisbaren Erwerbungen in Kathmandu und Sikkim datieren um das Jahr 1850 und zeigen den frühen Kontakt zwischen England und den Himalaya-Ländern. Über Diplomaten, Offiziere und Soldaten, etwa durch Teilnehmer der militärischen Younghusband-Expedition nach Gyantse und Lhasa, fand tibetischer Schmuck nach und nach Eingang in westliche, vor allem britische Sammlungen und Museen. Eine neue Quelle tat sich dann erst wieder nach 1959 auf, als tibetische Lamas und Adelige vor den chinesischen Kommunisten über den Himalaya flohen, und der Verkauf von Ritualgegenständen und Schmuck zunächst ihre einzige Lebensgrundlage bildete. Doch das sind nur die traurigen Begleiterscheinungen der Gefährdung und Zerstörung einer Hochkultur. Aktuelle Aufnahmen aus dem Westen und Osten Tibets zeigen – und wer die beschwerliche Reise dorthin unternommen hat, kann dies bestätigen – daß Frauen in diesen entlegenen Regionen wertvollen Schmuck aus Türkisen, Korallen und Bernstein nicht nur über die schwierigen Zeiten der Kulturrevolution gerettet haben, sondern ihn wie früher im Alltag tragen. Mehrere Reihen von schweren Halsketten mit Korallen und Dzi-Steinen, golfballgroße Bernstein-Kugeln im Haar, Ohrgehänge aus großen, alten Türkisen und silberne Gürtelanhänger sind bewußt zur Schau getragener Reichtum und Schutz gegen Dämonen, Zauber und bösen Blick. John Clarke zeigt nicht nur diese Bilder neben wertvollen historischen Aufnahmen, nicht nur Bilder von Handwerkern bei der Arbeit und nicht nur weit über 100 Schmuckgegenstände vom Amulettbehälter über Armbänder, Geldtäschchen, Halsketten, Ohrringe bis zum Haarschmuck, sondern er erzählt kenntnisreich über alle Aspekte der Schucktraditionen des Himalaya. Er beantwortet die Frage, warum Schmuck getragen wird, daß er nicht nur schmückt, sondern auch Glück bringt, daß er vor dem Bösen, vor Unglück und Krankheit schützt, daß er den Körper und die Seele heilt und den Weg zur Erleuchtung begleitet. Juwelen haben im Buddhismus, wie er im Himalaya praktiziert wird, eine symbolische Bedeutung, sie sind Metapher für das Heilige und die Spiritualität und stehen als die „Drei Juwelen“ für die drei Säulen der Religion, für Buddha, für die Lehre und für die Gemeinschaft der Erleuchteten. Es ist kein Zufall, daß das beliebteste Mantra der Buddhisten im Himalaya, das milliardenfach gemurmelte „Om Mani Padme Hum“ (Oh Du Juwel in der Lotosblüte) den Inbegriff des Verehrungswürdigen durch dieses Wort ausdrückt. Und es ist kein Wunder, daß die Tibeter ein reiches Wissen um die Wirkungen und Kräfte der Schmucksteine und Materialien haben und daß sich zahlreiche Mythen und Erzählungen um sie ranken. So berichtet etwa der „Blaue Beryll“ des Sangye Gyatso aus dem 15. Jahrhundert, die Bibel der tibetischen Medizin, über die sieben verschiedenen Arten von Türkisen, über ihre Eigenschaft, Gifte zu neutralisieren und viele weitere Indikationen. Die noch heute in tibetischen Apotheken erhältlichen Juwelenpillen beweisen die Aktualität dieser Überzeugungen. Handfester und geradezu spannend ist es, wenn der Autor darüber erzählt, was frühe Reisende in Tibet gesehen haben und woher und auf welchen Wegen die edlen Steine nach Tibet gelangten. So war George Boogle im späten 18. Jahrhundert „schier erschlagen“ von der Fülle der Juwelen die Männer und Frauen tagtäglich trugen, ebenso wie von den unermeßlich reichen Schätzen in Tempeln und Klöstern. Die edlen Metalle, Gold und Silber, wurden überwiegend im Lande selbst gefunden und gewonnen oder kamen aus den benachbarten Ländern. Anders die Steine: Während die Türkise, meist in Persien geschürft, keinen weiten Weg hatten, stammten die Korallen in der Regel aus dem Mittelmeer und gelangten über den Wasser- oder den beschwerlichen Landweg auf das Dach der Welt. Bernstein schließlich kam nicht nur aus Burma und Sibirien nach Tibet, sondern selbstverständlich auch aus dem Baltikum. Die Handelswege armenischer Händler von Danzig nach Lhasa sind ebenso dokumentiert wie der Weg von Perlen aus dem persischen Golf nach Tibet. Doch am meisten schätzen die Tibeter bis heute die Dzi-Steine, an deren göttlichen Ursprung sie glauben. Diese eigenartigen Juwelen, die es sonst nirgendwo gibt, sind zur Überzeugung der Tibeter nicht von Menschenhand gemacht und können nur gefunden werden. Und tatsächlich: Ihr Ursprung verliert sich in prähistorischer Zeit und die Technologie ihrer Herstellung ist bis heute noch nicht vollständig geklärt. Sonst aber kann man in diesem schönen Buch alles nachlesen.

Print Friendly, PDF & Email