Tibet – Treasures from the Roof of the World

Autor/en: Byrd/Hamilton/Johnson (Hrsg)
Verlag: The Bowers Museum of Cultural Art
Erschienen: Santa Ana Kalifornien 2003
Seiten: 256
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag und Schmuckschuber
Preis: 49.95 US-$,
ISBN: 0-9679612-4-6
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2004

Besprechung:

Nur wer je zu seinen Füßen gestanden, wer ihn zusammen mit Pilgern umwandelt hat, wer ihn in wechselnden dramatischen Beleuchtungen, etwa im Abendlicht nach einem abziehenden Gewittersturm oder als Fuß eines prächtigen Regenbogens gesehen hat, weiß, daß auch die enthusiastischsten Beschreibungen dieses Gebäudes unzureichend sind. Die Architektur des Potala-Palastes in Lhasa ist einfach einzigartig und unvergleichlich. Die sich aus dem natürlichen Burgfelsen und der charakteristischen Treppenanlage heraus entwickelnde machtvolle Basis zunächst fensterloser, konisch sich noch oben verjüngender, weiß getünchter Stützmauern, schließlich durchsetzt mit übereinander liegenden Reihen zahlloser Fenster, die sich hieraus entwickelnden, harmonisch in ihrer Höhe aufeinander abgestimmten Baukörper des „Weißen“ Palastes, aus deren Mitte sich gleichsam als Juwel der wiederum vielfältig gegliederte und mit zunehmender Höhe mehr und mehr strukturierte und dekorierte „Rote“ Palast erhebt, gekrönt durch eine Landschaft vergoldeter Balustraden, Siegeszeichen, Dachspitzen und pagodenhaft geschwungener, im Sonnenlicht goldglänzender Dächer – das ist eine Offenbarung vollendeter Proportionen, architektonische Meisterschaft und zugleich eine Demonstration weltlicher und religiöser Macht, wie sie eindrucksvoller nicht sein kann. Der Potala-Palast ist das überzeugende Denkmal, das sich der bedeutende Fünfte Dalai Lama, der „Große Fünfte“ in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gesetzt hat. Der Potala-Palast ist auch eine Schatzkammer, ein Schatzhaus, wie die Welt kein zweites kennt. Neben den wahrhaft riesigen, juwelengeschmückten, vergoldeten Begräbnisstupas von 8 Dalai Lamas, die sich in den nur von Butterlampen erhellten Grabkapellen und Tempeln im Dunkel der mit kostbaren Textilien verhängten Decken verlieren, und neben der prachtvollen Ausstattung mit gold- und silbertauschierten Beschlägen, mit Schnitzereien und mit mehr als 2500 Quadratmetern Wandmalerei, wird das Inventar des Palastes auf weit über 20.000 Statuen und andere dreidimensionale Bildwerke, auf 25.000 tibetische Manuskripte, hunderte von uralten indischen Palmblattschriften, auf viele Tausend Thankas und ungezählte Kult- und Ritualgegenstände geschätzt. Ein kleiner, besonders wertvoller und geschichtsträchtiger Teil dieses unermeßlichen Schatzes ist im vergangenen Jahr erstmals im Westen gezeigt und in einem repräsentativen Katalog veröffentlicht worden. Ausstellung und Katalog sind das Ergebnis einer Kooperation des Bowers Museum in Santa Ana, Kalifornien, des Büros kultureller Denkmäler der Autonomen Region Tibet, des Potala Palastes, des erst vor wenigen Jahren eröffneten Tibet Museums in Lhasa und des Norbulinka, des Sommer-Palastes der Dalai Lamas. Gezeigt werden zentrale Stücke des Staatsschatzes einer Kulturnation, eines Volkes, das heute auf dem Dach der Welt und im Exil um seine Existenz und um sein Überleben ringt. Der Katalog dieser chinesisch-amerikanischen Zusammenarbeit sagt darüber natürlich nichts, jedoch sind die gezeigten Kunstwerke und Kulturdenkmäler ein einzigartiges Zeugnis eines eigenständigen, selbstbewußten, spirituell begabten und ungemein kreativen Volkes. Viele der 117 Objekte sind darüber hinaus, wie dies bei Staatsschätzen nun mal so ist, Geschenke benachbarter Nationen und befreundeter Staatsoberhäupter. Ein prachtvoller in Cloisonné der Ming-Zeit gearbeiter Krug in typisch tibetischer Form, eine mit Edelsteinen besetzte Heilige Krone aus Nepal, ein dreidimensionales Vajrabhairava-Mandala des Ming-Kaisers Yongle (1403-1424), ein Thanka in Kesitechnik aus dem Tangutenreich Xixia des 13. Jahrhunderts, gestickte und in Applikationstechnik gearbeitete Thankas, ein großer vergoldeter Schrein aus der Werkstatt eines Manchukaisers und schließlich chinesisches Porzellan mit tibetischen Symbolen und Inschriften zeigen die Wertschätzung und Verehrung, die umliegende Staaten, vor allem aber die chinesischen Kaiser aller Dynastien dem Heiligen Land auf dem Dach der Welt entgegenbrachten. Aber es sind nicht nur diese diplomatischen Geschenke Fremder, die uns die Macht, Bedeutung und das Selbstbewußtsein dieser Nation vor Augen führen, es sind auch die Schönheit, Pracht und Kunstfertigkeit tibetischer Kult- und Gebrauchsgegenstände, die uns eine Vorstellung vom Leben am Hofe der Dalai Lamas und in tibetischen Adelspalästen und Klöstern zeigen. Massiv goldene Teekannen, Bierkrüge und Butterlampen, reich mit Metallornamenten verzierte Sättel, Amulettbehälter, edelsteinbesetzte Schalmeien und Muschelhörner, silberne Ritualgegenstände und der aufwendige, mit Korallen, Türkisen und Perlen fast überladene Kopfschmuck tibetischer Frauen, vermitteln ein anschauliches Bild einer dem Luxus und Prunk zuneigenden und zugleich tief religiösen Gesellschaft. Die Unterschiede zur chinesischer Kultur und Kunst sind überall zu sehen, am signifikantesten vielleicht bei der Kostümen. Tibet hatte nie eine eigene Seidenproduktion, hat aber unendliche Mengen chinesischer Seiden importiert. Die Freiheit und Kreativität, mit der die tibetischen Schneider diese Stoffe, gewebte Brokate, Stickereien und Wirkereien, zu prunkvollen und dekorativen Chubas, Jacken, Ministermänteln oder zu buddhistischen Umhängen reinkarnierter Äbte verarbeitet haben, steht in einem offensichtlichen Gegensatz zu der streng reglementierten Bekleidungsetikette chinesischer Kaiser und Beamter. Die gezeigten Objekte sind eine Sammlung von einzigartiger historischer und kunstgeschichtlicher Bedeutung. Doch die chinesische Führung sieht in diesen Meisterwerken aus der Geschichte und Kultur Tibets heute nur noch museale Objekte, Ziele des Tourismus und nun auch selbst Gegenstände eines weltweiten Kunsttourismus. Daß sie zugleich Botschafter für die Sache Tibets sind, für das Ziel und die Hoffnung aller Tibeter nach kultureller und religiöser Selbstbestimmung ist ein von China kaum bedachter, doch hoffentlich wirkungsvoller Zweitnutzen. Dieser, die einführenden Essays über Land, Geschichte, Religion und Ritual und die sorgfältigen Objektbeschreibungen versöhnen mit dem etwas ungewohnten, offenbar chinesisch beeinflußten Layout und der nicht immer befriedigenden Bildqualität.

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