Kailash – Tibets heiliger Berg

Autor/en: Bruno Bauman
Verlag: Malik (Piper Verlag)
Erschienen: München 2002
Seiten: 374
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: EUR 24.90
ISBN: 3-89029-233-X
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2002

Besprechung:
„Ein Aufheulen des Motors riß mich aus dem Halbschlaf“ – so beginnt das Kailash-Buch von Bruno Baumann, und es folgt in seinem Vorwort das Resümee eines guten Dutzend von Reisen in diese entlegene Gegend, eine Zusammenfassung der dort geschauten Naturschönheiten, ein Bericht von der Begegnung mit Menschen und ihren unterschiedlichen Religionen, eine Ahnung der spirituellen Bedeutung des Kailash – und eine nüchterne Beschreibung der Schwierigkeiten, dorthin zu gelangen. Ganz anders die zentrale Aussage von Franz Binder im Vorwort zu seinem Kailash-Buch: „ Eine Reise, die dem Pfad solcher Sehnsucht folgt, beginnt nicht mit dem Aufbrechen in der Heimat, gipfelt nicht im Ankommen am vermeintlichen Ziel und endet nicht mit dem Heimkehren. Sie beginnt tief im Inneren des Herzens und führt wieder dorthin zurück.“ Die Unterschiede und die Qualitäten der beinahe zeitgleich erschienenen Bücher bekannter und erfolgreicher Tibet-Autoren sind damit offengelegt. Bruno Baumann ist – im besten Sinne des Wortes – ein Abenteurer, ein Entdecker, der sich mit Neugier, Energie und Ehrgeiz immer wieder neue Aufgaben stellt, und der spannend und detailliert über seine Expeditionen berichtet. Für Franz Binder ist der Besuch des heiligen Berges Kailash – für ihn nicht weniger beschwerlich als für Bruno Baumann – vor allem Anlaß, sich mit der Frage zu beschäftigen, warum dieser Berg seit unvordenklicher Zeit das Ziel von Pilgern ganz verschiedener asiatischer Religionen ist, und damit Anlaß, über die Inhalte, Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten dieser Religionen zu berichten. Doch bei allem unterschiedlichen Zugang zum Thema, beide Autoren sind hervorragende Journalisten, und so sind beide Kailash-Bücher glänzend recherchiert, voller Information, gut und spannend geschrieben und daher – jedes für sich – unbedingt zu empfehlen. Es versteht sich daher auch, daß die Autoren immer wieder Bezug auf frühe Schilderungen prominenter westlicher Besucher des Heiligen Berges nehmen, insbesondere auf die von Sven Hedin (Transhimalaya, 1909) und Lama Anagarika Govinda (Der Weg der weißen Wolken, 1969). Es drängt sich auf, Bruno Baumann mit dem berühmten schwedischen Entdecker und Franz Binder mit dem deutschen Mystiker zu vergleichen. So hat Bruno Baumann auf vier expeditionsgleichen Reisen den schwierigen Weg der vier großen Flüsse des Subkontinents zu ihren Quellen in der Nähe des Kailash verfolgt. Minutiös und spannend beschreibt er die großartigen Landschaften, berichtet von menschlichen Begegnungen aber auch von den täglichen Schwierigkeiten und Strapazen dieser Reisen an den schwer zugänglichen und oft gefahrvollen Oberläufen von Indus, Sutlej, Karnali und Brahmaputra. Fanz Binder versucht indessen, den gemeinsamen Ursprung von Hinduismus, Buddhismus und Jainismus im spirituellen indischen Mutterland zu ergründen und warum alle diese Religionen – insoweit vergleichbar mit den großen Strömen, die dort entspringen – im Kailash ihr spirituelles Zentrum haben. So geraten denn auch die Beschreibungen der eigentlichen Kora, der rituellen Umwandlung des heiligen Berges – Baumann ist diesen Weg dreizehn mal gegangen und Binder zweimal – bei beiden Autoren grundverschieden.Beide beschreiben natürlich dieselben Stationen, die kleinen Klöster, den rituellen Platz der festlichen Errichtung des tarboche, des großen Gebetsfahnenmastes, den Tor-Chörten, den Leichenacker, den dölma la, den Paß der Erlösung in 5700 Meter Höhe und die vielen vielen anderen mit Gebeten, Niederwerfungen oder mit uralten Legenden verbundenen Plätze. Baumann bleibt dabei stets der nüchterne, um Information und Vollständigkeit bemühte Chronist während sich Binder selbst als Pilger sieht und es versteht, die Gefühlslage dieser Menschen zu vermitteln, deren höchstes Ziel es ist, mindestens einmal in ihrem Leben diese Pilgerfahrt zu vollenden. Die Reise zum Berg der Götter von Franz Binder ist damit ein Buch, das sich weit über das Thema Kailash hinaus mit den Menschen, der Spiritualität und Religion Tibets befaßt, mit der Entstehung und Entwicklung des Buddhismus und mit den vier heute noch lebendigen Hauptschulen des diamantenen Fahrzeuges. Bilder sind in dieser geistigen Welt nicht so wichtig und die in der Mitte des Buches zusammengefaßten Farbtafeln erscheinen bei aller Schönheit der Fotos von Franz Binder fast als Fremdkörper. Ganz anders ist das im Buch von Baumann. Hunderte von Farbbildern sind hier wichtiges Instrument textbegleitender Information. Auch Baumanns Buch beschränkt sich nicht auf den Kailash, sondern ist zugleich Führer zu so wichtigen Plätzen Westtibets wie Tholing, Tsaparang, Purang, Tirthapuri und die Ebene von Barga. Baumann hat die heiligen Seen Rakastal und Manasarowar besucht und letzteren – auch das ein traditioneller Pilgerweg – rituell umwandelt. Und schließlich erwarb sich Baumann mit seinen 13 Koras um den Kailash das Recht zur sogenannten „inneren Kora“, zu dem nur selten begangenen Weg an die Basis der mächtigen Südwand des heiligen Berges, wo das weithin sichtbare Vajra das Zentrum dieses natürlichen Mandala markiert. Es ist der erste und bisher einzige Bericht über diesen ultimativen Pilgerpfad. Am Ende kann nur die Empfehlung für beide Bücher stehen. Es ist wie mit Hedins „Transhimalaya“ und Govindas „Weg der weißen Wolken“: Man muß sie einfach beide lesen. (- mb -)

Print Friendly, PDF & Email