Geheimnisvolle Welt des Alten Tibet

Autor/en: Gerhardt W. Schuster
Verlag: Verlag Ursache und Wirkung
Erschienen: Wien 2001
Seiten: 270
Ausgabe: Leinen (Querformat)
Preis: ATS 390.–
ISBN: 3-85460-202-2
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Ausnahmsweise sei der Besprechung dieses „Kataloges“ ein Hinweis auf die Ausstellung auf der Schallaburg unweit des Stiftes Melk in Niederösterreich vorangestellt. Dies nicht nur, weil sie bis zum 28. Oktober dieses Jahres besichtigt werden kann, sondern weil es sich um eine der größten und vielschichtigsten Tibet-Ausstellungen handelt, die jemals in Europa gezeigt wurde. Und sie ist unbedingt sehenswert und lohnt selbst eine weite Anreise. Dies beginnt mit dem äußeren Rahmen: Schon der von einer langen Steinmauer gesäumte Aufgang zur Burg erinnert, mit Tausenden von tibetischen Gebetsfahnen überspannt und von segenspendenden Manisteinen begleitet, an den Zugang zu einer tibetischen Gompa. Der Eindruck setzt sich im prachtvollen Renaissancehof der Schallaburg fort: Tibetische Tür- und Fenstervorhänge und ein mit Yak-Schwänzen und Gebetsfahnen reich geschmückter Darchen, der heilige Mittelpfahl eines tibetischen Tempelvorhofes, weisen den Weg von der materialistischen westlichen Welt in das mysthische alte Tibet. Die Ausstellung selbst ist dann aber weder ein nostalgischer Rückblick in eine vergange Zeit noch eine nüchterne kunsthistorische Schau, sondern sie bietet einen Gang durch eine faszinierende Erfahrungswelt, die uns in das Alltagsleben der Tibeter eintauchen und staunen läßt über Wissen und Weisheit dieses Volkes, über seine Astrologie, Magie und Medizin, über Kunst und Ritualobjekte und über eine einzigartige Buch- und Schriftkultur. Kurz: Die Ausstellung ermöglicht einen exzellenten Zugang zu einer der bedeutendsten Hochkulturen der Menschheit. Staunen und Bewunderung sind auch angebracht für die Initiative und Leistung des österreichischen Ethnologen Dr. Gerhardt Schuster, der für Ausstellung und Katalog verantwortlich zeichnet. Nicht weniger als zehn bedeutende europäische Museumssammmlungen und zahlreiche private Leihgeber trennten sich für für die Dauer der Ausstellung von ca. 900 Exponaten und schon dies zeigt, daß die Ausstellung einzigartig und nicht wiederholbar ist. Eine Aufzählung würde den zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen doch einige Hinweise müssen sein: Die volkskundlichen Objekte aus der reichen Sammlung des Niedersächsischen Landesmuseums in Hannover illustrieren das Leben der Nomaden und zeigen den Alltag der Tibeter, ihre Kleidung und das Bereiten und Aufbewahren von Speisen und Getränken, von Bödtscha (Buttertee), Tsampa und Tschang. Das staatliche Museum für Völkerkunde in München, bedeutendster Leihgeber der Ausstellung, ist vor allem durch Skulpturen von seltener Schönheit und Qualität vertreten. Erlesene sakrale Ritual- und Kunstobjekte, zum Beispiel eine silberne Schädelkrone oder eine Drachentrompete, kommen aus dem Grassi-Museum in Leipzig, aus einer sehr alten und bedeutenden Diplomatensammlung, die unausgepackt in alten chinesischen Transportkisten erst anläßlich der Vorbereitungen zu dieser Ausstellung „“entdeckt““ wurde. Was schließlich die Bayerische Staatsbibliothek an die Schallaburg ausgeliehen hat, muß man als sensationell bezeichnen: Eine ganze Sammlung prachtvoller, geschnitzter Buchdeckel und vor allem einige Dutzend kostbarer illustrierter Handschriften, unter anderem die vom 5. Dalai Lama persönlich geschriebenen und illuminierten „“Geheimen Visionen““, von ihm selbst gekennzeichnet mit seinem Daumenabdruck in roter Stempelfarbe. Ein bedeutender Ausstellungbereich schließlich ist der tibetischen Medizin gewidmet und hier sind es seltene tibetische Medizin-Thangkas aus dem Heinrich-Harrer-Museum, die besonders faszinieren. Das Buch zur Ausstellung ist weniger Katalog als vielmehr eine liebevolle, kenntnisreiche, knapp und glänzend geschriebene Einführung in die in der Ausstellung gezeigte Welt des alten Tibet, illustriert mit einer Auswahl der Objekte und ergänzt mit aussagekräftigen Fotos aus dem Tibet von heute, in denen sich die noch immer lebendige traditionelle Lebensweise des tibetischen Volkes wiederspiegelt. Ausstellung und Buch ergänzen sich damit auf ideale Weise. Beide verfolgen das Ziel, eine Tür zum alten Tibet zu öffnen, zu seinen Menschen und ihrer Lebensweise, zu Nomaden und Mönchen, zu Kunsthandwerkern und Orakelpriestern, Bauern und Adligen, Astrologen und Lamas, alle miteinander verbunden in einer einzigartigen materiellen und geistigen Kultur. Beiden gelingt es, die allumfassende Spiritualität des tibetischen Buddhismus und seine naturreligiösen Bestandteile als das wesentliche Elixier tibetischen Lebens darzustellen. Daß im Buch nur etwa 130 Objekte der Ausstellung vorgestellt werden, darf somit nicht als Kritik, sondern als erneuter Anreiz verstanden werden, noch vor dem 28. Oktober die Schallaburg zu besuchen. Und sei es auch nur wegen eines der erstaunlichsten Exponate, das im Buch nicht erwähnt ist: Es ist die vom 7. Dalai Lama unterzeichnete Urkunde, mit der er im 18. Jahrhundert europäischen Kapuzinermönchen die Einrichtung einer Missionsstation in Lhasa genehmigte. Die Mission war völlig erfolglos, die Station wurde aufgegeben, und die Urkunde gelangte in den Vatikan, wo der Eingangsvermerk vom Borgia-Papst persönlich unterschrieben wurde. Auf dem Umweg verschiedener europäischer Königshäuser gelangte diese kostbare Urkunde schließlich in die Bayerische Staatsbibliothek. Ausgestellt war sie noch nie! (- mb -)

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