Verborgene Schätze aus Ladakh – Hidden Treasures from Ladakh

Autor/en: Angelika Binczik, Roland Fischer
Verlag: Otter Verlag
Erschienen: München 2002
Seiten: 368
Ausgabe: Texte in deutsch und englisch, gebunden mit Schutzumschlag
Preis: EUR 69.–
ISBN: 3-933529-04-2
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Ein Blick in den Atlas bestätigt es: Nirgendwo auf der Erde sind die Berge höher, dichter, schroffer und zahlreicher also dort, wo heute die Länder Pakistan, Indien, Afghanistan und China aufeinandertreffen. Auch die Auseinandersetzungen zwischen Weltmächten, Ideologien und Religionen scheinen in dieser Region ständig neue Höhepunkte zu erreichen. Und ausgerechnet dort, eingebettet zwischen den Achttausendern des Karakorum und des Himalaya hat sich eine friedliche Oase tibetisch-buddhistischer Kultur erhalten. Das alte Königreich Ladakh im Westhimalaya war am Ende des ersten Jahrtausends ganz wesentlich an der zweiten und sich als nachhaltig erweisenden Einführung des Buddhismus in Tibet beteiligt. Dort, im äußersten Westen Tibets liegen auch die Ursprünge der monastischen Kultur des Schneelandes begründet, soll doch Rinchen Zangpo, der große Gelehrte jener Zeit, nicht weniger als 108 Tempel und Klöster gegründet haben – viele davon im alten Ladakh. Während seine Klostergründungen in Zentral-Tibet in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahezu alle zerstört wurden, sind in Ladakh viele von ihnen erhalten. So sind es diese uralten Klöster und Tempel, die Ladakh wie kein anderes Land der Erde noch heute optisch und kulturell prägen. Sie stehen an ausgesetzten Stellen, kleben an steilen Hängen, sind Teil des Gebirges, unwirklich scheinende Kristallisationspunkte von Stein, Licht und Stille. Sie hüten Schätze der verschiedensten Art, Schätze der Weisheit, der Gelehrsamkeit und der Bildung, sie sind Stätten der Meditation, alter Rituale und lebendigen Glaubens. Und sie hüten Schätze visualisierten Glaubens, Schätze innigster religiös-künstlerischer Kreativität, Wandmalereien, Thankas und Statuen. Diesen in Ladakh verborgenen und kaum oder gar nicht bekannten Kunstwerken ist ein ganz außergewöhnliches Buch gewidmet, ein Buch, dessen Entstehung auf den Abt des ladakhischen Klosters Phiyang zurückgeht, auf Drikung Kyabgon Chetsan, den derzeitigen reinkarnierten Statthalter der Drikung Kagyu Linie des Kagyupa-Ordens. Die Realisierung dieses Kunstbuches übertrug Chetsang Rinpoche der dem Buddhismus nahestehenden Autorin Angelika Binczik und dem Fotografen Roland Fischer. Was diese beiden Autoren geleistet haben ist bewundernswert, und das Ergebnis ist nicht nur ein schönes, sondern auch ein außerordentlich wichtiges Buch, das die Kenntnis über die frühe tibetische Kunst wesentlich bereichert und das ganz bedeutendes Material zum Vergleich tibetisch-buddhistischer Stilepochen und regionaler Entwicklungen enthält. Was es nicht enthält ist eine kunsthistorische Bewertung und vor allem Datierung der Wandmalerei und der Statuen, eine bewußte und vorsichtige Entscheidung der Autorin, die dafür aber entschädigt mit einer kenntnisreichen und exakten ikonografischen Beschreibung und Bestimmung der dargestellten Gottheiten, Bodhisattvas, Mahasiddas, Gurus, Lamas und historischen Persönlichkeiten. So vermag sich jeder Leser und Betrachter ein ganz eigenes Bild von den Qualitäten, der Schönheit und dem Alter der Bilder und Bildwerke zu machen. Die etwa 170 sorgfältig fotografierten und vor schwarzem Hintergrund abgebildeten, meist kleinen Statuen sind zum guten Teil von hoher Qualität und hohem Alter und nicht wenige sind von außerordentlicher Schönheit. Sorgfältig gemalte Thankas mit der Darstellung aller Mahasiddas und Arhats datieren aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Höhepunkt des Buches aber sind ohne Zweifel die Wandmalereien aus dem Lotsawa Lakhang, einem kleinen Tempel unweit der Klosters Phiyang und das Chakrasamvara-Mandala aus dem Kloster von Wanla. Der Lotsawa Lakhang ist eine Gründung von Rinchen Zangpo (958-1055) und die außerordentlich qualitätvollen, in glutvoll-harmonischen Farben gehaltenen Wandmalereien sind keinesfalls später als im 13. oder 14. Jahrhundert entstanden und gehören damit zu den ganz frühen Zeugnissen westtibetischer Kunst. Das große Wandbild eines vielköpfigen Garuda, unter dem sich die namentlich bezeichnete Yarlung-Königsfamilie mit Gefolge versammelt, ist gewiß zu den ganz bedeutenden kunsthistorischen Zeugnissen Tibets zu rechnen. Womöglich noch älter sind die Malereien im Tempel von Wanla, die hier zum ersten Male publiziert sind. Sie waren unter einem jahrhundertealten fettigen, schwarzen Rußfilm verborgen, den Mönche zunächst mit einem eigens aus Gerstenmehl gekneteten Teig vorsichtig zu entfernen versucht hatten. Was zum Vorschein kam ist ein eindrucksvolles Chakrasamvara-Mandala, Buddha- und Bodhisattvadarstellungen, umgeben von Tieren, von Szenen aus dem Leben Buddhas und übersäht mit Figuren und Figürchen, die noch auf ihre ikonografische Bestimmung warten. Eine umfangreiche, auch in Übersetzung wiedergegebene Inschrift drängt sich ebenso wie die farbprächtige Malerei geradezu auf, zum Gegenstand weiterer Forschungsarbeiten werden. Was die Fotos aber ebenfalls wiedergeben ist der beklagenswerte Zustand des Tempels. Breite Risse durchziehen die bemalten Wandflächen, große Partien sind bereits abgeplatzt und schwere Wasserschäden sind wohl kaum restaurierbar. Es ist für die Bewahrung dieser einzigartigen Kunst fünf Minuten vor Zwölf. Das Buch ist damit auch ein dringender Appell an die Erhaltung eminent wichtiger Kulturgüter in Ladakh, und wenn Sie jetzt immer noch nicht überzeugt sind, dieses außergewöhnliche, schöne und wichtige Buch zu kaufen, dann zuguterletzt noch ein schlagendes Argument: Die Hälfte des Verlagserlöses wird der Erhaltung dieser einzigartigen Wandmalerei dienen. (-mb-)

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