thog-lcags – Geheimnisvolle Amulette Tibets

Autor/en: Hans Weihreter
Verlag: Edition Khyun. Bestelladresse: Schertlinstr. 11-1/26, 86159 Augsburg
Erschienen: Augsburg 2002
Seiten: 128 Seiten, 204 Abbildungen
Ausgabe: CD-Rom
Preis: EUR 15.–
ISBN: 3-938221-01-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2003

Besprechung:
Für den Tibeter ist es ganz klar: thog-lcags oder Thoktschaks kommen ebenso wie die gzi-Steine unmittelbar von den Göttern. Man findet sie daher auf Feldern, in Höhlen, auf Bergen, ganz besonders aber an heiligen Plätzen, etwa in der Region des Heiligen Berges Kailash und natürlich immer dort, wo ein Blitz eingeschlagen hat. Es sind gnädige Gaben des Himmels, und sie zu finden ist auch kein Zufall, sondern eine offenkundige göttliche Gnade, die dem Finder großes Glück bringt. Gekaufte Thoktschaks sind natürlich viel weniger wirksam und dennoch sind die Tibeter bereit, riesige Summen für einen guten Thoktschak auszugeben. Ob er gut ist, das heißt, wie sehr er mit göttlichen Kräften angereichert ist spürt, der Tibeter am Klang, der Patina, der Farbe, an der Qualität der Legierung und mit der intuitiven, haptischen Erfahrung des Kenners. Form, Erhaltungszustand und Symbolik spielen demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle, denn für den Tibeter sind Thoktschaks keine Symbole, sondern unmittelbarer, vitaler Sitz jener Macht, die unserer Meinung nach nur symbolisiert werden soll. Gute Thoktschaks sind denn auch machtvolle Beschützer im täglichen Leben, Beschützer gegen Krankheit, auf hohen Pässen und Gletschern, auf gefährlichen Karawanenstraßen und beim Weg über reißende Flüße. Das ist für den Tibeter ganz klar. Wir aus dem Westen haben es mit diesen „vom Himmel gefallenen“ Metallamuletten ungleich schwerer und empfinden sie als rätselhaft und geheimnisvoll. Als typische archäologische Streufunde entziehen sie sich jeder exakten Zuschreibung und Datierung. Daß sie in Tibet gefunden wurden und geschätzt werden sagt auch nur wenig, denn kleine Objekte – Thoktschaks sind nur wenige Zentimeter groß – sind zu allen Zeiten über weite Strecken transportiert worden. So finden wir in den Thoktschaks stilistische Merkmale der Nomadenkunst Zentralasiens, solche aus den Kulturkreisen des Iran, Chinas, Nepals oder Indiens, aber auch Formen, die eindeutig tibetisch sind. Was könnten diese Amulette daher nicht alles erzählen über Nomadentum, Pilgerfahrten und Handelsreisen, über die unglaubliche Ausbreitung und Machtfülle des tibetischen Großreiches während der Yarlung-Dynastie oder über die tibetische Kontrolle über die Seidenstraße? Doch sie hüllen sich in geheimnisvolles Schweigen, das durch ihre Patina und die deutlichen Spuren jahrhundertelangen Gebrauchs nur noch rätselhafter wird. Hans Weihreter hat schon 1988 in seinem Buch über Schmuck aus dem Himalaya über diese tibetischen Amulette berichtet und legt nun mit der vorliegenden Publikation in Form einer CD-Rom die erste deutschsprachige Monographie zu diesem faszinierenden Thema vor. Der Versuch des Autors, Thoktschaks in eine systematische Ordnung zu gruppieren, sie vor allem nach Alter und Herkunft einzuordnen, bleibt angesichts der dargestellten Schwierigkeiten unvollkommen und ist kaum mehr als eine Anregung an die Fachwelt zum weiteren Dialog zu verstehen. Das Anschauungsmaterial aber, 183 Thoktschaks, in Farbe abgebildet, nach Funktionen und Thematik gegliedert und durch die digitale Präsentation beispielhaft erschlossen, ist eine der ganz großen Sammlungen dieser geheimnisvollen Amulette aus Tibet. Ob es nun Ringe sind, Gewandfibeln, Gürtelschließen, Zierteile zum Aufnähen auf das Zaumzeug der Pferde oder auf Schamanengewänder, kleine Gebrauchsgegenstände, Kultspiegel oder nur Anhänger, die Vielfalt der Formensprache von Thoktschaks ist faszinierend, und der durch ihre Abgegriffenheit oft noch gesteigerte Piktogrammcharakter weckt immer wieder verblüffende Assoziationen zu modernem Design. Fabelwesen wie Makara und Garuda, Tiere mir uraltem Symbolcharakter wie Löwe, Tiger, Schlange oder Hirsch, friedvolle und zornige Gottheiten, Kultspiegel und Schrifttafeln, Ritualdolche und Donnerszepter formen einen Reigen durch die vorbuddhistische und buddhistische Bilder-, Formen- und Symbolsprache wie kaum ein anderes Medium. Es erscheint durchaus denkbar, daß zwischen den frühesten und jüngsten Exemplaren dieser Thoktschaks ein Zeitraum von 2000 Jahren oder mehr liegt. Hans Weihreter führt uns souverän und kenntnisreich durch dieses spannende Kapitel zentralasiatischer Kleinplastik.

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