Tibetan Elemental Divination Paintings

Autor/en: Commentaries and Translations by Gyurme Dorje, Published by John Eskanazi in association with Sam Fogg
Verlag: keine Angabe
Erschienen: London 2001
Seiten: 423
Ausgabe: Leinen in Leinenkasette
Preis: 575.– EUR zzgl. 45.– EUR für Versand
ISBN: 0-9539941-0-4
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Sangye Gyatso (1653-1705), der große Regent und Gelehrte ist eine der geheimnisvollsten und zugleich bedeutendsten Personen der tibetischen Geschichte. An den politischen, weltlichen und spirituellen Leistungen des 5. Dalai Lama war er als Berater des „Großen Fünften“ (1617-1682) sicher wesentlich beteiligt. Bekannt ist, daß es Sangye Gyatso gelang, den Tod des Großen Fünften viele Jahre geheim zu halten, während derer er die Einheit und politische Bedeutung Tibets festigen und den Bau des Potala Palastes vollenden konnte. Sein Genie erschöpfte sich jedoch nicht als Politiker und Bauherr, sondern er war zugleich ein großer Gelehrter und befaßte sich mit den traditionellen tibetischen Wissenschaften, mit Religion, Geschichte, Literatur, Medizin und Astrologie. Blockdruck-Gesamtausgaben seiner hinterlassenen Werke umfassen mehr als 20 Bände. Am bekanntesten ist wohl der Blaue Beryll, ein grundlegendes und bis heute maßgebendes Werk über die klassische tibetische Medizin. Der Weiße Beryll, eine detaillierte astrologisch-astronomisch-chronologische Abhandlung über Prophetie und Weissagung ist im Jahre 1688 erschienen. Die Beherrschung und die Techniken der Vorhersage haben in Tibet eine uralte Tradition. Ihre Wurzeln liegen ebenso in der Zeit der ersten chinesischen Dynastien wie in der vorbuddhistischen Phase Tibets. Indisches Gedankengut und der Buddhismus des großen Fahrzeugs gaben der Wissenschaft von der Weissagung schließlich ihre heutige Prägung. Horoskop und Vorhersage, Orakel und Weissagung waren und sind seit jeher ein essentieller Bestandteil des tibetischen Lebens. Sie werden bis heute praktiziert, studiert und gelehrt, etwa an den Manjusri Instituten in Lhasa und Dharamsala. Im Westen ist davon kaum etwas bekannt und noch weniger Verständnis dafür vorhanden. Ende der 80er Jahre wurde in Tibet ein Manuskript gefunden, das auf 94 illustrierten Seiten im typischen tibetischen Format von 10.8 auf 60.7 cm den Weißen Beryll, das vollständige System tibetischer Weissagung illustriert. Es ist der Vision und Patronage von John Eskenazi zu danken, daß dieses einzigartige Manuskript nun in einer sorgfältig kommentierten Buchausgabe veröffentlicht wurde, die in jeder Hinsicht Maßstäbe setzt. Der tibetische Literatur- und Sprachwissenschaftler Gyurme Dorje hat in jahrelanger Arbeit nicht nur den Weißen Beryll und das andere Quellenwerk Moonbeam von Lochen Dharmasri übersetzt und analysiert, sondern auch zahlreiche weitere tibetische und chinesische Quellen. Das Ergebnis ist eine vollständige Beschreibung und Analyse der Methoden und Techniken der Vorhersage für den gesamten Kreislauf des Lebens von der Geburt bis zum Tod, für Partnerschaft und Hochzeit, für gute und schlechte Zeiten, für Gesundheit und Krankheit, für Glück und Leid. Im Gegensatz zu buddhistischen Schriften, die die spirituelle Erleuchtung und die Erlösung vom Leiden zum Gegenstand haben, befaßt sich das Werk also mit durchaus irdischen Dingen und kann daher mit großem Interesse rechnen. Es sei jedoch davor gewarnt, hier eine leicht anwendbare und rasch erlernbare Anweisung für kluge Horoskope und vorausschauende Lebensplanung vorzufinden. Die Anwendung des Systems der natürlichen Weissagung bedarf eines konzentrierten Studiums und wird letztlich nur wenigen Eingeweihten gegeben sein. Immerhin, Umfang, Darstellung, Qualität und Tiefe des Textes verdienen höchste Bewunderung. Gewürdigt werden soll in dieser Rezension vor allem die künstlerische und ästhetische Qualität des Manuskripts und die bibliophile Form, in der es veröffentlicht wurde. Die 94 Manuskriptseiten, die sowohl vollständig wie auch in hunderten von Detailabbildungen, manche seitengroß wiedergegeben werden, wurden von einem großen Künstler, einem anonymen Meister tibetischer Miniaturmalerei geschaffen. Die am Anfang des Manuskrips stehenden narrativen Blätter erzählen vom Ursprung der Weissagung, die auf den Bodhisattva Manjughosa zurückgeht. Es sind Bilder die in ihren ikonographischen Bestandteilen an feinste Thankamalerei erinnern und doch wieder ganz anders sind. Landschaften, Bäume, Blumen und Tiere sind in ungewohnter Freiheit und Natürlichkeit, fernab der buddhistisch ikonographischen Zwänge dargestellt, ein seltenes Beispiel sekulärer tibetischer Malerei höchster künstlerischer Qualität. Mindestens ebenso faszinierend sind die auf den weiteren Manuskriptseiten folgenden Diagramme, Tabellen und Weissagungskarten, mit Trigrammen, Symbolen und kleinen illustrativen Bestandteilen, die die moderne graphische Kunst der Piktogramme in Perfektion vorwegnehmen. Die fünf Elemente, auf denen das System der natürlichen Weissagung aufbaut, Wasser, Feuer, Erde, Eisen und Holz und die zwölf Tiere des ewigen Kreislaufs der Jahre, Monate, Tage und Stunden, Maus, Ochse, Tiger, Drache, Hase, Schlange, Pferd, Schaf, Esel, Vogel, Hund und Schwein und die ihnen zugeordneten Farben und Symbole sind die in ständiger Variation wiederkehrenden Motive neben piktogrammhaften Darstellungen des täglichen Lebens, vom Zeugen, Gebären und Sterben, vom Pflügen oder Musizieren, von der Arbeit der Hirten, der Bäcker und der Schmiede, vom Leben in der Familie und im Kloster – ein buntes Kaleidoskop tibetischen Lebens. Das aus John Eskenazi, Sam Fogg und Robert Marcuson bestehende Team hat mit White Beryl ein herausragendes, kunst- und kulturwissenschaftliches Meisterwerk geschaffen und ihm die gebührende bibliophile Form gegeben. Das Imperial-Folio Format, der gediegene Einband, die schützende Kasette und das sowohl von den Erfordernissen wissenschaftlicher Darstellung wie kongenialer Illustration bestimmte Layout lassen die Beschäftigung mit diesem Buch zum sinnlichen Erlebnis werden. Ein Erlebnis, das einen hohen aber angemessenen Preis hat. (- mb -)

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