The Lhasa Atlas – Traditional Tibetan Architecture and Township

Autor/en: Knud Larsen, Amund Sinding-Larsen
Verlag: Serindia Publications
Erschienen: London 2001
Seiten: 180
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 40.– engl.Pfund
ISBN: 0-9060-26-57-1
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Es gibt wohl keine historisch bedeutsame Stadt auf dieser Welt, die sich in den letzten 50 Jahren so radikal verändert hat wie Lhasa, die alte Hauptstadt Tibets. Bis zu Beginn der 50er Jahre ein relativ kleiner Ort mit nicht einmal 30.000 Einwohnern, nimmt Lhasa heute beinahe die ganze Fläche des 3.700 Meter hoch gelegenen Tales ein. Schätzungen, die annähernd eine halbe Million Einwohner vermuten, sind gewiß realistisch. Wer das alte Lhasa kennt, sei es aus Besuchen der frühen 80er Jahre oder aus historischen Fotos, ist entsetzt vom Wandel des Stadtbildes. Militärcamps an der Peripherie, kilometerlange Einfallstraßen, gesäumt von Wellblechbuden, wo Ersatzteile und Reifen für die ständig wachsende Flut von Fahrzeugen verkauft werden, Hochhäuser mit bombastischer Architektur, wie sie in China für modern angesehen wird, seelenlose Wohnviertel und chinesische Markthallen verstellen den Blick für das Wenige, was vom alten Lhasa erhalten blieb. Verkehr und Industrie ließen Lhasa trotz der einzigartigen Höhenlage zu einer Stadt wie alle anderen werden, wären da nicht die einzigartigen Kulturdenkmäler wie der Potala Palast und der Jokhang Tempel, beide seit 1994 bzw. 2000 in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen, ebenso wie eine Anzahl weiterer Bauwerke, Klöster, Tempel, Kapellen, Adelspaläste und Wohnhäuser als erhaltene Zeugnisse einer einzigartigen Architektur. Die Probleme vom Wandel und der Erhaltung des Stadtbildes teilt sich Lhasa natürlich mit vielen historischen Städten, sie wurden hier aber viel später erkannt und berücksichtigt. So konnte es geschehen, daß von der historischen Bausubstanz des alten Lhasa mehr als zwei Drittel, das meiste davon in den vergangenen zwanzig Jahren, zerstört wurde. Dem Einsatz von engagierten Menschen aus dem Westen, Heather Stoddard und André Alexander sollen hier beispielhaft für viele andere genannt werden, ist es zu danken, daß die lokalen Behörden zunehmend Tendenzen zeigen, das historische Stadtbild als einzigartiges Kulturerbe zu erhalten. Zu diesen gehören auch die Autoren des Lhasa Atlas, norwegische Architekten, die im Rahmen eines norwegisch-tibetischen Studenten-Austauschprogramms in siebenjähriger Arbeit eine beispiellose Bestandsaufnahme aller alten Gebäude Lhasas vorgenommen haben, die an Sorgfalt und Genauigkeit beispielhaft ist. Der Lhasa Atlas ist ein Buch über die Topographie, Umgebung und historische Entwicklung Lhasas, eine Darstellung von Gebäuden, Plänen und Handwerkstechniken, ein Buch, das für künftige denkmalpflegerische Arbeit in Lhasa unentbehrlich sein wird. Das Buch ist aber noch viel mehr. Es ist eine Fundgrube alter Stadtpläne und früher fotografischer und zeichnerischer Ansichten von Lhasa, wie es sie bisher nicht gegeben hat. Auch hier waren es Fremde, die erste Dokumentationen vornahmen, britische Militärs, die 1904 den ersten genauen Stadtplan fertigten oder Peter Aufschnaiter mit seinem 1948 gezeichneten Plan, der jedes Haus verzeichnet und jeden Eigentümer namentlich benennt. Fotos von Spencer Chapman, Claude White, Charles Bell und Hugh Richardson, alle aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ergänzen die etwa 250 Aufnahmen aus den letzten Jahren, von denen manche wegen des Verlusts weiterer Gebäude heute schon wieder historisch geworden sind. Das Buch ist schließlich eine hommage an die tibetische Architektur, deren Tradition und Besonderheit bisher kaum umfassend gewürdigt worden ist. Eingebunden in die Architekturtradition des Himalaya weist die tibetische Architektur individuelle Charakterzüge auf, die sie einzigartig machen. Es ist, wie könnte es anders sein, die Religion, die unsichtbare Welt der Götter, es sind die Rituale und die Grundüberzeugungen von Welt und Kosmos, die in die Baukunst einfließen und ohne die Symbolismus, Ästhetik und Bedeutung tibetischer Architektur nicht zu verstehen sind. Der große italienische Tibetologe Giuseppe Tucci hat das früh erkannt als er schrieb: Bauen bedeutet, die Welt neu zu schaffen, indem man den Strukturen des Mandala folgt. Das Kloster Samye und der Lukhang in Lhasa sind hierfür zwei Beispiele für die vielen anderen. Tibetische Architektur ist Ausdruck der buddhistischen Suche nach Frieden, Wahrheit und Ruhe. Das raffinierte, rhytmische Spiel großer und leerer im Kontrast mit kleinen Flächen, die ein Maximum an Dekor und Farbe aufweisen, ist ebenso typisch wie der Einsatz von Textilien als dauerhafte Elemente des äußeren Erscheinungsbildes von Gebäuden. Erklärt wird schließlich auch der Benma-Fries, jener purpurrote, von weitem wie Samt erscheinende, horizontale obere Abschluß vom Tempeln und anderen religiösen Gebäuden. Es sind mit schmalen Lederrriemen gebündelte Zweige des Benma-Strauches, einer Art Tamariske, die hier dekorativ zum Einsatz kommen und für den massigen oberen Abschluß großer Bauwerke helfen, Gewicht zu sparen. Vieles wäre noch zu erwähnen, die Perfektion der Tibeter im Natursteinbau, Funktion und Ästhetik der sich nach oben verjüngenden Mauern, die Symbolik der immer wieder verwendeten Farben rot und weiß, die Kunstfertigkeit von Beschlägen oder die Bedeutung der schwarzen Einfassungen von Fenstern. Umfassende Antwort gibt der Lhasa Atlas, ein Buch, dessen Wert deutlich höher ist als sein Preis. (- mb -)

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