Tibet – The Roof of the World

Autor/en: Maria Antonia Sironi Diemberger
Verlag: Tauris Parke Books
Erschienen: London New York 2000
Seiten: 224
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 29.50 engl.Pfund
ISBN: 1-85043-282-1
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Wohl jeder Tibet-Reisende der Neuzeit ist auf dem Weg zwischen Lhasa und Gyantse am Yamdrok-Tso vorbeigekommen und hat unvergeßliche Eindrücke von diesem hochgelegenen und heiligen See mit seinen unendlich vielen Gesichtern mit nach Hause genommen. Ein Blick auf die Karte, aber auch die Übersetzung des tibetischen Namens verraten sein Geheimnis: Der „Skorpion-See“ versteckt seine Form so geschickt zwischen Bergketten und Hügellandschaften, bildet Buchten und Fjorde und hat so viele Halbinseln und Inseln, daß es für den Reisenden unmöglich ist, seine Größe und Gestalt wahrzunehmen. Erst vom Flugzeug aus kann man eine ungefähre Vorstellung von diesem geheimnisvollen See gewinnen, folgt doch die Flugroute von Kathmandu nach Lhasa über der tibetischen Hochebene dem Lauf des Yarlung Tsampo und der Blick nach Süden schweift über den Yamdrok Tso, bevor er an den fernen Schneegipfeln des Himalaya hängenbleibt. Die wirkliche Gestalt des Yamdrok aber offenbart erst der Blick aus dem Weltraum und lüftet damit das Geheimnis seiner vielen Gesichter, ohne ihm den Zauber zu nehmen. Die in diesem Buch veröffentlichten Satelliten-Aufnahmen der NASA sind einzigartige und noch nie gesehene Dokumente vom Dach der Welt. Die Bilder vom Yamdrok-Tso, vom Karakorum und Mount Everest oder der Blick vom braunen tibetischen Hochland über die Kette der Himalaya-Gipfel auf die grüne nepalische Fluß- und Hügellandschaft sind Highlights der Fotografie mit hohem Informationswert. Sie sind aber nur ein ganz kleiner Teil der mehr als 500 Abbildungen in diesem opulenten, großformatigen Bild- und Textband über Tibet. Von Briefmarkengröße (28 x 35 mm) bis zum doppelblattgroßen Poster (35 x 50 cm) vermitteln sie einen Querschnitt, der alle Bereiche dieses faszinierenden Landes, seine Landschaften und Tiere, nomadisches und städtisches Leben, Pilger und Mönche, Tempel und Klöster, Kunst und Kultur erfaßt. Die Autoren haben dabei aus zahlreichen und entlegenen Quellen geschöpft und ein in dieser Fülle und Zusammenstellung wohl einmaliges Bildmaterial zusammengetragen. Nicht nur die NASA, sondern auch etwa die Biblithéque National in Paris, die British Library, das National Palace Museum in Taipeh, die Royal Geographic Society und die Archive von Hugh Richardson, Heinrich Harrer und Alexandra David Neel lieferten bedeutende Beiträge. Damit ist zugleich gesagt, daß es trotz der schönen Fotos und der einfühlsamen begleitenden Texte nicht die Kapitel über das heutige Tibet sind, die den Wert dieses Buches ausmachen, sondern der mit „Tibet zwischen Mythen und Geschichte“ überschriebene Beitrag, der mit historischem Bildmaterial sowohl die Geschichte wie auch das Bild des Westens von diesem geheimnisumwitterten Land darstellt. Songtsen Gampo, Milarepa, Tsongkhapa und den Großen Fünften Dalai Lama sehen wir als Portrait oder Statue ebenso wie Dschingis Khan oder den chinesischen Kaiser Chieng Lung. Frühes Kartenmaterial, das bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht, kündet von der Arbeit früher Missionare und erster Reisender, und eine alte, undatierte chinesische Karte zeigt Tibet als einen Teil von China. Aquarelle aus dem Skizzenbuch von Sven Hedin, Fotos vom britischen Feldzug unter Younghusband nach Lhasa, die Berichterstattung über den Einzug des jungen Dalai Lama in Lhasa in Illustrated London vom November 1939 und, zwanzig Jahre später, von seiner Flucht über den Himalaya nach Indien, geben ein anschauliches Bild von der geschichtlichen Entwicklung Tibets im 20 Jahrhundert. Das Staatskloster Ganden, die Burgen von Lhatse und Shigatse, jeweils vor und nach Zerstörung durch die Kulturrevoltution, dramatische Aufnahmen von den Aufständen der 80er Jahre und Bulldozer, die das Dorf Schö unterhalb des Potala dem Erdboden gleichmachen, um Platz für Militärparaden und chinesische Jahrmärkte zu machen, zeigen das Ausmaß der Sinisierung, das auch durch die schönen Bilder von Reiterwettkämpfen, von traditionellen Chamtänzen, von nomadischen Pilgern am Berg Kaisash oder von einer Puja im Lakhang von Samye nicht überdeckt werden kann. Ein empfehlenswertes und für die Fülle des Gebotenen preiswertes Buch. (- mb -)

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