Alchi – Ladakhs hidden Buddhist Sanctuary

Autor/en: Roger Goepper, Jaroslav Poncar
Verlag: Serindia Publications,
Erschienen: London 1996
Ausgabe: Leinen im Schuber
Preis: DM 248.– (Hirmer Verlag München)
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 1997

Besprechung:
Eines der schönsten Bücher des Jahres 1996 ist einem künstlerischen Kleinod aus der Vergangenheit, einem Wunder aus der buddhistischen Welt gewidmet. Alchi, das sind einzigartige, originale Wandmalereien aus dem 12. Jahrhundert. Das Buch ist zugleich ein wichtiger Beitrag zur Erforschung mittelalterlicher asiatischer Textilien und ihrer Muster. Doch dazu später. Die prachtvolle Publikation ist das Ergebnis einer 15-jährigen Forschungs- und Dokumentationsarbeit. Während die Entstehungszeit des vorgestellten Tempels, des „Sumtsek“ anhand vorgefundener Inschriften recht exakt in das frühe 12. Jahrhundert datiert werden kann, bleiben die historischen Details im Dunkel der frühen tibetischen Geschichte. Bekannt ist nur, daß sich der Schwerpunkt tibetischer Machtinteressen etwa im 10. Jahrhundert von Zentral- nach Westtibet, in die Königreiche Guge, Purang und Margul, das heutige Ladakh, verlagert hat. Von dort begann dann auch die Erneuerung und Wiederbelebung des tibetischen Buddhismus und die Gründung zahlreicher Klöster. Der große Reformer Rinchen Zanghpo ist nachweisbar der Gründer der Klöster Tholing und Tsabo, ob auch von Alchi ist Legende. Mit Rinchen Zanghpo, Atisha, der Kadampa-Schule und dem Kagyupa-Orden als Vorläufer der Geiugpas ist aber das historische Umfeld von Alchi abgesteckt. Auf einer Schwemmterasse am Südufer des Indus, einem der großen Handels- und Kulturwege des Himalaya, entstand im 11./12. Jahrhundert ein kleiner Komplex religiöser, buddhistischer Gebäude, unter ihnen der „Sumtsek“, der Drei-Stockwerk-Tempel, ein Juwel tibetisch-kaschmirischer Kunst. Schon die Architektur ist eine einzigartige Mischung tibetischer und kaschmirischer Elemente. Lehm und Naturstein, weiß getüncht, das filigrane Holzwerk, einst wohl ebenso bunt bemalt wie das Innere des Sumtsek, stark korrodiert, jedoch mit immer noch erkennbaren ikonographischen Figuren verziert, ergeben eine ungewöhnliche Wirkung. Einflüsse der Kunst von Gandhara sind ebenso zu erkennen wie zentralasiatische Elemente, Betritt man dann das Innerere ist man verblüfft vom Kontrast zwischen der schlichten, äußeren Erscheinung und dem Reichtum der Malerei, die sämtliche Wände, sogar die großen Lehm-Skulpturen bedeckt. Gut erhalten, nie übermalt oder an geänderte religiöse Vorstellungen angepaßt, präsentiert sich hier in originaler Farbenpracht eine verschwenderische Fülle buddhistischer und weltlicher Figuren in einem hochkünstlerischen Stil, der indischer Miniaturmalerei ebenso verwandt erscheint wie frühen tibetischen Thankas. Die Leichtigkeit und Eleganz, mit der hier das buddhistische Pantheon, aber auch frühe Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinen aus Tibet und Ladakh, umgeben von Tieren, Gebäuden und Landschaften dargestellt sind, ist unerreicht und macht den Sumtsek in Alchi zu einem vollendeten Kunstwerk, vergleichbar mit Borobodur in Java oder dem Kumbum in Gyantse/Tibet. Für die Textilforschung von höchster Bedeutung sind die 48 hölzernen Deckenpaneele zwischen den Stockwerken, die, sorgfältig und naturgetreu bemalt, Stoffe in verschiedenen Web- und Färbetechniken zeigen. Ist dies eine malerische Variante, des heute noch in den wenigen erhaltenen alten Klöstern Tibets, etwa im Kloster Sera, feststellbaren Brauchs, die Decke mit kostbaren Textilien abzuhängen? Deutlich kann man in Plangi- und in Batiktechnik gefärbte Stoffe erkennen, Techniken, die bis heute im Himalaya und in Tibet angewandt werden. Andere Paneele zeigen Verzierungen in Stickerei und Nadelarbeit oder Wiedergaben von Brokatstoffen und komplizierten Lampas-Geweben. Diese sind von besonderem historischem Interesse und Reiz. Die gegeneinander stehenden, sich teilweise verdeckenden Tiere, Elefanten und Senmurven, findet man schon auf griechisch-iranischen Silberarbeiten des 2. Jahrhunderts. Rückwärts gewandte Reiter mit Pfeil und Bogen im Medaillon mit Perlrand, den Schuß der Parther darstellend, sind ein gebräuchliches Motiv sogdischer und islamischer Kunst. Auf freier Fläche oder wieder im Medaillon finden sich sassanidische Tierdarstellungen, indische Tänzerinnen mit Schwert und Schild, Vogelpaare, galoppierende Pferde und Fabeltiere. Und immer wieder einfache Rapportmuster mit Swastikas, Kreuzen und Doppelvajras. Diese Stoffdarstellungen sind eine zeitgenössische Illustration derjenigen Textilien, die in den letzten Jahren aus Tibet ihren Weg in westliche Museen und Sammlungen gefunden haben. Sie sind Zeugnis für die engen Zusammenhänge alter Kulturen, für deren gegenseitige Beeinflussung und den Austausch von Erzeugnissen nicht nur über die Seidenstraße sondern auch in Nord-Süd-Richtung. Alle in den Paneelen dargestellten Textilien finden sich dann auch wieder in der Kleidung der Figuren auf den Wandmalereien. Es ist damit offensichtlich, daß die Paneele getreue Kopien von Textilien sind, die in jener Zeit in Ladakh und in Kaschmir tatsächlich existierten. Eine faszinierende Internationalität der nordindischen und kaschmirischen Zivilisation im Mittelalter wird damit offenbar. Ein begeisternd schönes und wertvolles Buch in bibliophiler Ausstattung. Wichtig sind noch die Hinweise auf die akute Gefährdung dieses Kulturdenkmals durch den Tourismus und durch klimatische Veränderungen im Himalaya und die dringende Notwendigkeit konservatorischer Maßnahmen. Vielleicht kann der Erwerb des Buches hier einen Beitrag leisten?

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