Nepal

Autor/en: Gilles Beguin, Suzanne Held
Verlag: Hirmer Verleg
Erschienen: München 1997
Seiten: 254
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: DM 148.–
ISBN: 3-7774-7560-2
Kommentar: Michael Buddeberg, Februar 1997

Besprechung:
Der Titel „Nepal“ täuscht denn das Buch befaßt sich ausschließlich mit Geschichte, Kunst und Kultur des Katmandu-Tales, das nur einen sehr kleinen, allerdings den wichtigsten Teil des modernen Nepal darstellt. Ein kleines Tal, an einem Tage bequem zu durchwandern, allerdings in bevorzugter Lage am Südabhang des Himalaya, ist der Nährboden einer erstaunlich reichen und vielschichtigen Kultur. Durch die Höhenlage von durchschnittlich 1400 Metern mit gemäßigtem Klima gesegnet, nach Süden durch einen Gebirgszug vor exzessivem Monsum geschützt, wasserreich, mit fruchtbaren Böden, die bis zu drei Ernten im Jahr ermöglichen, hat das Volk der Newar über ein Jahrtausend lang kulturelle und künstlerische Höchstleistungen vollbracht, die weit über dieses Tal hinaus wirkten. Geschichte, Kultur und Kunst des Kathmandu-Tales sind seit jeher geprägt von dem einzigartigen friedlichen Nebeneinander der beiden großen indischen Religionen, dem Hinduismus und dem Buddhismus. Es ist in Nepal oft nicht einfach, Kunst- und Kultgegenstände, Zeremonien und Rituale, manchmal sogar Bauwerke, eindeutig der einen oder anderen Religion zuzuordnen da beide von einem ausgeprägten Tantrismus durchdrungen und überlagert sind. Der Wunsch, dem Kreislauf der Wiedergeburten innerhalb eines Erdenlebens zu entkommen, sowie die Entwicklung philosophischer Systeme, die die Realität der Sinnenwelt relativieren, begründen in beiden Religionen eine Reihe von Geheimlehren, von komplexen kultischen Praktiken, magischen Ritualen, Gesten und Geräten und eine vielfältige, oft schwer verständliche, von zunächst grausam erscheinender Symbolik geprägte Ikonographie. Zudem vermischten sich die aus Indien übernommenen Religionen mit lokalen Glaubensüberlieferungen und nahmen so eine eigene, nirgends sonst anzutreffende Entwicklung. Die bedeutende Rolle weiblicher Gottheiten etwa, ein ausgeprägter Göttinenkult, geht sicher auf diese vorbuddhistischen und vorhinduistischen Traditionen zurück. Ebenso der eigenartige Kumari-Kult, die Anbetung eines kleinen Mädchens als Göttin, oder der Kult des Fischgottes, der den Regen bringt. Bei dieser Vielfalt religiösen Ausdrucks nimmt es nicht wunder, daß die Kunst im Kathmandu-Tal in erster Linie sakralen Charakter hat. Die Anfertigung eines Kunstwerkes wurde als Akt der Frömmigkeit betrachtet, der sowohl dem Auftraggeber als auch dem Ausführenden Verdienste einbringt und beide dadurch auf dem Weg der Befreiung vom Kreislauf der Wiedergeburten fortschreiten läßt. Kunst in Nepal, das sind Skulpturen in Stein, Metall und Holz, das Ist Malerei im Buch und als Rollbild und das ist vor allem Architektur: Stupas, Klosterbauten, Königspaläste und turmartige hinduistische Tempel vom Typ des „dega“ auf quadratischem Grundriß mit zahlreichen, übereinandergestaffelten Dächern, Ziegelbauten meist, mit einer verschwenderischen Fülle kunstvoll gearbeiteter und geschnitzter Holzelemente, Balken, Säulen und Pfeiler, Türen, Nischen und Fenster, Streben und Giebelfelder, alles aus fäulnisresistentem Teakholz und daher meist gut erhalten. Die meisterhaften Fotos von Suzanne Held entführen in die geheimnisvolle Welt der alten Königsstädte Kathmandu, Patan und Bhaktapur, in die Tempellandschaften von Pashupatinath, Changu Narayana und Panauti und zu den Stupas von Svayanbhunath und Bodhnath. Hunderte von Jahren alt und doch lebendig, verehrt von Gläubigen und Pilgern, belebt von Mönchen und Brahmanen, gelegen in einer lieblichen, fruchtbaren, wasserreichen Landschaft vor der grandiosen Kulisse des Himalaya. Gilles Beguin, anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der Himalaya-Kunst, gibt eine konzentrierte Einführung in die geschichtliche Entwicklung der Newar-Kultur, beschreibt die aufeinanderfolgenden Epochen und Königtümer bis zum Zusammenbruch der Newar-Reiche im Jahr 1769, und beschreibt die nepalesische Kunst in all ihren Ausdrucksformen. Das Buch ist ein äußerst gelungener Versuch, die Hauptwerke der nepalischen Kunst und Newar-Kultur zusammenfassend in Text und Bild darzustellen und entsprechend zu würdigen. Einziger Mangel: Die Kürze der Bildlegenden, die leider viele Fragen unbeantwortet lassen.

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