Tibetan Art – Towards a Definition of Style

Autor/en: Jane Casey Singer, Philip Denwood (Hrsg)
Verlag: Laurence King Publishing
Erschienen: London 1997
Seiten: 320
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 65.– englische Pfund
Kommentar: Michael Buddeberg, September 1997

Besprechung:
Im Jahre 1994 fand in London, organisiert von der Akademie für orientalische und afrikanische Forschung der Universität London und vom Victoria and Albert Museum, die erste internationale Konferenz zum Thema tibetische Kunst statt. Die dort gehaltenen Referate der führenden Wissenschaftler und Kenner, 23 an der Zahl, liegen nun gesammelt in einem meisterhaft gestalteten, opulent illustrierten und vorzüglich gedruckten Band vor. Der Pressehinweis des Verlages, daß es sich hier um die umfassendste Dokumentation tibetischer Kunst handelt, die bisher veröffentlicht wurde, kann voll und ganz unterstrichen werden. Skulpturen, Malerei -Thankas und Wandmalerei -Textilien, Architektur, Metallarbeiten, Archäologie – alle Medien tibetischer Kunst und Kultur werden aufgrund neuester Forschungsergebnisse und zum Teil erst kürzlich gemachter, aufregender Entdeckungen vorgestellt. Thema des Symposiums und der Veröffentlichung ist die Suche nach einer Definition und Klassifizierung des Stils in der tibetischen Kunst, genauer: der einzelnen Stile, ihrer Entstehung und Entwicklung, ihrer Wurzeln und ihrer genauen Lokalisierung. Hier wurde in den letzten Jahrzehnten Erstaunliches geleistet. Frühe Studien stuften die tibetische Kunst eher als eine anthropologische Kuriosität ein und fanden die Ikonographie mangels Verständnis nur wunderlich oder gar lächerlich. Giuseppe Tucci war der erste, der diese Werke als wirkliche Kunst bewertete, der die Eigenständigkeit dieser Kunst erkannte und auf den engen und logischen Zusammenhang mit dem tibetischen Buddhismus hinwies. Aber das von Tucci begründete Dogma einer ausschließlich im Sakralen existierenden Kunst ist heute überwunden. Tibetische Mäzene, sei es aus dem Adel, dem Bürgertum oder aus dem monastischen Bereich, ebenso wie tibetische Künstler sahen die Kunst nicht nur als Vehikel der Religion sondern als ästhetischen Wert an sich, als Ausdruck auch der Lebensfreude und dessen, was der Mensch zu erreichen vermag. Die einzelnen Beiträge decken zeitlich, geographisch und sachlich einen weiten Bereich ab. So finden wir Beiträge über die Nekropolen der mythischen Könige Tibets und solche über die zeitgenössische Thanka-und Wandmalerei und deren Verwurzelung in den traditionellen Stilen. Den zeitlichen Schwerpunkt aber bilden Beiträge über die Zeit der zweiten buddhistischen Bekehrung Tibets vom 11. bis zum 14. Jahrhundert als sich allmählich unter Integrierung fremder Einflüsse, zunächst aus dem Süden (Indien, Kaschmir und Nepal), später zunehmend aus China die genuine tibetische Kunst entwickelte. Wichtige Stätten in Ost-Tibet, also aus den Provinzen Kham und Amdo, ebenso wie aus dem Westen, aus den alten Königreichen Guge, Purang und Maryul und natürlich Zentral-Tibet, den Provinzen Ü und Tsang, werden beschrieben. Die Malschule von Gyantse, Thankas aus dem Taklung Kloster, Wandmalereien aus Tabo, frühe Skulpturen in Bhutan, die einzigartige Architektur des Klosters Shalu, Mandalas aus Lo Monthang, die frühe Wandmalerei der Lori Stupa in Mustang sind nur einige der Themen die hier nicht alle aufgezählt und schon gar nicht näher behandelt werden können. Ein Beitrag von Valrae Reynolds befaßt sich mit der Bedeutung hochwertiger, luxuriöser Textilien in Tibet. Von den frühesten Berichten der Yarlung Dynastie bis in die jüngste Zeit haben importierte kostbare Textilien eine herausragende Rolle in der weltlichen und religiösen Kultur Tibets gespielt. Sie kamen aus Indien, Byzanz, Persien, Japan, Zentralasien, aus Russland und sogar aus Frankreich und Italien und – natürlich – immer wieder und in großen Mengen aus China. Und sie kamen in den letzten 10 Jahren in kleineren und größeren Fragmenten oder in vollständigen Kleidungsstücken, oft in untadeliger Erhaltung, aus Tibet zu uns und zwingen dazu, die Textilgeschichte vornehmlich des 10. bis 15. Jahrhunderts neu zu schreiben. Neue Erkenntnisse über Muster, über Techniken, über Farbstoffe und Färbemethoden oder über die Handelswege von Textilien wurden gewonnen oder auch über frühe Textilmoden. Ein schönes Beispiel hierfür ist das „sassanidische Medaillon“, Vögel im Perlenkranz, das über Jahrhunderte so beliebt war, daß dieses Muster in unendlichen Abwandlungen sich von Persien nicht nur in ganz Asien sondern bis nach Ägypten ausbreitete. Auf tibetischen Einfluß gehen wohl auch die spezifisch buddhistischen Textilien zurück, Wirkereien in Kesi-Technik und Stickereien, Banner und Thankas, die in Manufakturen Chinas für Tibet hergestellt wurden. Tibets eigener Beitrag zur Textilkunst sind schließlich solche Banner und Thankas in Applikationstechnik, die, in monumentaler Größe, heute noch in den Klöstern Tibets verwahrt werden. Bei aller Begeisterung, die das Buch, die Themen und deren sorgfältige Bearbeitung auslöst, darf nie vergessen werden, daß die Frage nach dem Stil ein typisch westlicher Zugang zu dieser Kunst ist, eine Frage, die letztlich nur wenig zum Verstehen einer Kultur beiträgt, die ein radikal anderes Verständnis vom Begriff der Zeit hat. In einer Kultur, die an die Wiedergeburt und an die Bedeutungslosigkeit irdischen Besitzes glaubt, spielt es letzten Endes keine Rolle, wann und vom wem und in welchem Stil ein Thanka gemalt oder eine Skulptur geformt wurde. So muß neben Stil, Ästhetik und Alter der Kunstwerke immer die Triebfeder, der innere Beweggrund der Menschen bedacht werden für die und von denen diese Kunstwerke gemacht wurden.

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