South Indian Paintings – A Catalogue of the British Museum Collection

Autor/en: Anna L. Dallapiccola
Verlag: The British Museum Press
Erschienen: London 2010
Seiten: 320
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 60.– englische Pfund
ISBN: 978-0-7141-2424-7
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2010

Besprechung:
In kaum einem anderen Land der Welt hat der europäische Imperialismus so deutliche und unübersehbare Spuren hinterlassen wie in Indien. Kein anderes Land als Indien hatte zu Beginn der Neuzeit, als die Welt entdeckt und zu erobern war, größere materielle Schätze und Standortvorteile für Handel und Eroberung zu bieten als Indien und weckte so die größten Begehrlichkeiten. Portugiesen, Franzosen und Briten suchten hier ihren Vorteil, gründeten Stützpunkte und Handelsniederlassungen, führten Kriege, untereinander aber auch mit und gegen lokale Könige und Fürsten. Die Briten, so weiß man, behielten die Oberhand und konnten den Subkontinent von 1856 bis 1957 quasi als ihr Eigentum, als Kronkolonie betrachten. Mit der Ostindischen Kompanie, 1600 in London als Handelsgesellschaft gegründet, mehr und mehr aber als Machtfaktor erkannt und eingesetzt, war britischer Einfluss jedoch spätestens seit dem 18. Jahrhundert omnipräsent und in allen Lebensbereichen spürbar. Im Norden, in Rajasthan etwa oder in Bengalen mehr als im Süden. Die großartige Ausstellung über die Pracht an indischen Fürstenhöfen, die soeben in München ihre Tore schloss, war denn auch ein Lehrstück über den Einfluss des Britischen in den Nachfolgestaaten des Mogulreiches. In Südindien tat man sich schwerer. Sultan Tipu etwa, der „Tiger von Mysore“, ein strenggläubiger Muslim, leistete heftigen Widerstand; er hielt es für besser, als Soldat zu sterben denn als armseliger Abhängiger der Ungläubigen auf der Liste der von ihnen beherrschten Rajas und Nabobs zu stehen. Diese Präferenz erfüllte sich, als er 1799 in der letzten der vier gegen die britischen Truppen geführten Schlachten fiel. Schon vorher allerdings ist britischer Einfluss auf die materielle Kultur auch Südindiens unübersehbar. Das Buch über den kompletten Bestand des Britischen Museums an südindischer Malerei – mehr als eintausend Blätter – macht dies deutlich, wird es doch ganz wesentlich durch den Gegensatz der so genannten Company Paintings und der daneben weiter bestehenden regionalen Maltraditionen geprägt. Company Paintings sind europäische Auftragsarbeiten, ausgeführt auf Papier durch meist anonyme indische Künstler, die seit dem späten 18. und dann vor allem im 19. Jahrhundert im Rahmen der Handels- und später Herrschaftsbeziehungen entstanden. Ihr Gegenstand sind, dem ethnologischen Interesse der Auftraggeber folgend, hinduistische Gottheiten und Heilige, Tempelfeste, Prozessionen und Pilgerplätze, aber auch Darstellungen aus dem täglichen Leben und schließlich naturalistische Abbilder von Pflanzen und Tieren. Company Paintings repräsentieren einen eigenartigen indisch-europäischen Mischstil, der lehrhaft, instruktiv und dokumentarisch das „eingeborene Leben“ wiedergibt. Company Paintings machen – der Zahl nach – mehr als drei Viertel des Bestandes aus, was allerdings nichts über das tatsächliche Verhältnis aussagt, sondern mehr über die Institution des British Museum als letzten Aufbewahrungsort der Reichtümer und Souvenirs britischer Auslandsbeamter. In eine vollkommen andere Welt führen die auf Baumwolle gemalten Bildrollen und Tempelbehänge, traditionelle Malereien aus den südindischen Provinzen Andhra Pradesh und Tamil Nadu. Ihr Sujet sind erzählte Geschichten, Szenen etwa aus den indischen Mythenschätzen Ramayana oder Mahabharata, eine oft naive aber immer kraftvolle visuelle Information für eine zwar meist des Lesens unkundige aber in sozialen und religiösen Dingen durch die weithin bekannten großen Epen und religiösen Texten nicht ungebildete Bevölkerung. Zu diesem Werkekanon gehören auch einige Serien foliogroßer Bilder in Deckfarben aus Papier, wie sie reisende Märchen- und Geschichtenerzähler zur Illustration ihrer Erzählungen einem staunenden Publikum vor Augen hielten, gemalt in kräftigen Farben und einem plakativen, eindrucksvollen Stil, eine bodenständige und direkte Malerei, die erst mit dem Siegeszug von Kino und Fernsehen ihr Ende gefunden hat. Es mag nun jeder Leser und Betrachter für sich entscheiden, welcher dieser beiden so gänzlich verschiedenen Bildwelten er den Vorzug geben möchte, den fast ausschließlich in handlichen Alben zusammengestellten Company Paintings oder den narrativen Bildrollen – die längste und wohl auch schönste aus dem späten 18. Jahrhundert misst über 9 Meter – und Tempelbehängen, die mit Dutzenden verschiedener Szenen bemalt schon mal die Größe von 10 qm erreichen können. In den Alben finden wir die ganze ikonographische Vielfalt des hinduistischen Pantheon aber auch die bunte Vielfalt des südindischen Lebens mit Lastenträgern, Schlangenbeschwörern, Handwerkern, Brahmanen, Akrobaten, Musikern, Bettlern und Schmuckverkäufern – in einem der Alben sind sie immer zusammen mit ihren Frauen dargestellt – und lebendige Szenen von Prozessionen, Tigerjagd, Hochzeiten und Gauklerfesten. Das gewährt einen faszinierenden Einblick in eine fremde, exotische Welt, authentisch gemalt und gezeichnet mit reichen Informationen über Kleidung, Schmuck und Accessoires und bleibt doch immer die oberflächliche Sicht des voyeuristischen Fremden. Demgegenüber weisen die Bildrollen und Tempelbehänge einen Weg in die komplexe hinduistische Mythologie, eine Welt, in der Götter und Sterbliche aufeinandertreffen, wo viel Abenteuerliches und Wunderliches geschieht, wovon uralte Sammlungen von Mythen und Legenden berichten und Generationen von Geschichtenerzählern ihre Zuhörer in Bann zogen. Gemalt sind diese Erzählungen in einem illustrativ-direkten, volkstümlichen Stil, der sich über Jahrhunderte nur wenig verändert haben mag. Etwa 250 farbige Abbildungen, ein Viertel also des wissenschaftlich sorgfältig dokumentierten Bestandes des British Museum, eine Einleitung, mit der die Autorin, eine ausgewiesene Expertin für die Kulturgeschichte des südlichen Indien, in die politische und künstlerische Entwicklung der Region seit etwa dem Jahre 1500 einführt, Kartenmaterial, Glossar, Bibliographie sowie nach Geographie, Göttern, Berufen und Eigennamen getrennte Indices, machen das Buch zum Standardwerk über ein bisher nur selten behandeltes Thema.

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