Muraqqá – Imperial Mughal Albums from the Chester Beatty Library, Dublin

Autor/en: Elaine Wright (Hrsg)
Verlag: Art Services International
Erschienen: Alexandria 2008
Seiten: XXVIII, 500
Ausgabe: Klappenbroschur
Preis: € 30.–
ISBN: 0-88397-153-4
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2011

Besprechung:
Alfred Chester Beatty (1875-1968) war das, was man einen Tycoon nennt, einen mächtigen finanzstarken und uneingeschränkten Herrscher über eine bestimmte Branche oder über einen von der Wirtschaft benötigten Rohstoff. Dem in New York geborenen Bergbauingenieur gelang es schon in jungen Jahren, begünstigt durch den wirtschaftlichen Boom in den USA, Minenunternehmen in Amerika, Europa, Afrika und Asien unter seine Kontrolle zu bringen. „King of Copper“ oder „Weltkupferkönig“ wurde er schließlich genannt und sein Einfluss, sein Einkommen und sein Vermögen waren legendär. Das alles ist längst vorbei, ist bestenfalls Wirtschaftsgeschichte, und Chester Beatty wäre längst vergessen, wären da nicht seine Sammlungen und sein Mäzenatentum. Damit ist Chester Beatty in einem Atemzug mit anderen Tycoons wie Paul Getty, John Pierpont Morgan oder John D. Rockefeller zu nennen, allerdings mit dem Unterschied, dass sich seine Schätze nicht in den USA befinden. Chester Beatty verlegte seinen Wohnsitz schon früh nach London, wurde für den Verbleib seiner Sammlungen mit dem British Museum nicht einig, erinnerte sich dann seiner irischen Vorfahren und bedachte schließlich im Jahre 1950 Irlands Hauptstadt Dublin mit einem einzigartigem Geschenk. Damit besitzt die Chester Beatty Library eine der bedeutendsten Kollektionen von wertvollen Manuskripten und Büchern, die von einem privaten Sammler im 20. Jahrhundert zusammengetragen wurde. Chester Beatty sammelte mit Kennerschaft, hohem Einsatz und auf höchsten Niveau Manuskripte, Miniaturen, frühe Drucke, Zeichnungen und seltene Bücher, vorzugsweise aus Asien oder mit einem Bezug zu Asien. Seine Sammlung von Koran-Handschriften und die kompletten Holzschnittfolgen von Hokusai und Hiroshige, sind weltberühmt, ebenso wie die Papyrus-Handschriften aus dem alten Ägypten und noch viel mehr die aus dem 3. Jahrhundert stammenden Papyrus-Fagmente zum Neuen Testament. Schon sehr früh und in einem Umfeld, das sich der asiatischen Kunst, insbesondere der Kalligraphie und der Miniatur erst langsam und zögernd annäherte, hatte Chester Beatty mit dem Sammeln indischer Miniaturen und Kalligraphien aus kaiserlichen Alben der Mogul-Herrscher begonnen. 86 Blätter seiner Sammlung, vor allem solche aus insgesamt 6 Alben der Mogul-Kaiser Jahangir und Shah Jahan aus der Zeit von etwa 1600 bis 1675 reisten 2008 und 2009 durch Museen der USA und waren 2010 in Dublin zu bewundern. Sie sind Gegenstand des umfangreichen wissenschaftlichen Kataloges, der die einzelnen Blätter, die Alben, aus denen sie stammen und die Geschichte und das Umfeld ihrer Entstehung behandelt. Im Gegensatz zu den ersten großen Herrschern der Mogul-Dynastie, Babur und Akbar, die in den kaiserlichen Werkstätten Manuskripte illustrieren ließen, wandelte sich der Charakter der kaiserlichen Bücher unter Jahangir und mehr noch unter Shah Jahan zu so genannten Alben. In Persien nannte man sie „Muraqqa´“, ein Wort, das man englisch mit „patchwork“ übersetzen kann und das auch für die aus Flicken zusammengesetzte Kleidung der Sufis gebraucht wird. Diese Alben sind denn auch ein „patchwork“ aus Miniatur, Kalligraphie und Illumination mit einem sich immer wieder ändernden Bordürendekor und Randillustrationen. Die Miniaturen sind keine Illustrationen erzählender Texte, sondern ein buntes Potpourri von Kaiserportraits, von kaiserlichen Familienszenen in entspannter Atmosphäre, Darstellungen von Höflingen und Sufi-Heiligen, Jagd- und Genreszenen und Abbildern einer wirklichen oder eingebildeten Natur, eine reiche Melange von Bildern, die es uns erlaubt, die reale und die imaginäre Welt dieser großen Herrscher zu betreten. Doch keines dieser kaiserlichen Alben ist in seinem Urzustand erhalten. Alle wurden sie schon früh auseinander genommen, zerfleddert und als Einzelblätter in alle Welt zerstreut. So sind etwa von dem großartigen „Late Shah Jahan Album“ einhundert foliogroße Miniaturen bekannt, die sich auf 18 Museen und Sammlungen in 7 Ländern auf drei Kontinenten dieser Erde verteilen – etwa zwei Dutzend davon hat Chester Beatty erwerben können – und niemand weiß, was sich aus diesem Album – und natürlich auch aus allen anderen – heute noch unveröffentlicht in Depots oder sonstwo verbirgt. Es versteht sich, dass dieser „patchwork“-Charakter der Alben und ihre zufällig über Länder und Kontinente zerstreute Existenz das Studium ihrer Entstehung und ihres ursprünglichen Zustandes so schwierig aber auch so spannend macht. Der außergewöhnlich reiche Bestand dieser Albumblätter mit Miniaturen und Kalligraphien in der Chester Beatty Library und die in zahlreichen Essays festgehaltenen Forschungsergebnisse der Herausgeberin Elaine Wright, Kuratorin der Islamischen Sammlungen der Chester Beatty Library, und einer Handvoll namhafter Kolleginnen und Kollegen, öffnen ein Fenster zum Verständnis der Geschichte und Kultur dieser für den indischen Subkontinent so wichtigen Epoche der ersten drei Quartale des 17. Jahrhunderts. Die Alben selbst und ihre Miniaturen, die Portraits vor allem, aber auch die in den Bildern detailgetreu wiedergegebene materielle Kultur der Mogulzeit, die kostbaren Textilien, die aufwändigen höfischen Kostüme, Kaschmir-Schals und Filzarbeiten, Schmuck und Juwelen, Teppiche und Satteldecken, Waffen und Zelte, Gefäße aus Metall, Keramik und Glas und vieles andere mehr, bieten umfassendes Anschauungsmaterial zu einer der reichsten und prunkvollsten Kulturen der Weltgeschichte – und das zum Preis von nur drei Taschenbüchern.

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