Goddess Durga – The Power and the Glory

Autor/en: Pratapaditya Pal (Hrsg)
Verlag: Marg Publications
Erschienen: Mumbai 2009
Seiten: 200
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: US-$ 68.–
ISBN: 978-81-85026-93-0
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2010

Besprechung:
Auf dem indischen Subkontinent sind drei der bedeutendsten Religionen der Welt entstanden, der Buddhismus, der Jainismus und der Hinduismus, die allesamt zu den bilderfreundlichsten Hochreligionen gehören. Niemand hat die Zahl der Gottheiten in all ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen je gezählt und es wäre wohl auch ein unmögliches Unterfangen, denn neben den allbekannten und von allen Religionsangehörigen verehrten Göttern und Göttinnen gibt es eine unüberschaubare Vielfalt von lokalen Gottheiten, und wer wollte immer den Unterschied zwischen Dämonen, Geistern oder gar Irdischen und Göttern zuverlässig bestimmen? Den umfangreichsten und vielgestaltigsten Pantheon besitzt aber ohne Zweifel der Hinduismus, schon deshalb, weil sich unter diesem erst in Europa im 19. Jahrhundert geprägten Begriff ein ganzes Bündel von einander ähnlichen Religionen verbirgt. So bezeichnen sich die knapp eine Milliarde Anhänger dieses Glaubens in Indien und seinen Nachbarländern auch nicht als Hinduisten sondern als Anhänger der „ewigen Religion“, der Religion, die keinen Stifter kennt, die sich irgendwann im letzten vorchristlichen Jahrtausend aus den religiösen Vorstellungen der Indus-Kulturen entwickelte und die seitdem den Subkontinent prägt. Brahma, der Weltenschöpfer, nimmt hier zwar den obersten Rang ein, doch der Weltenerhalter Wishnu und der Weltenzerstörer Shiva mit ihren Frauen Saraswati und Lakshmi stehen im Mittelpunkt des Glaubens, der Verehrung, der Rituale und der Kunst. Eine Sonderstellung in diesem kleinen Clan höchster Gottheiten des Hinduismus genießt die Göttin Durga, die keinem männlichen Gott zugeordnet ist und die für viele Gläubige die höchste und verehrungswürdigste Göttin ist, die alle anderen Götter überragt. Diesem Durga-Kult in seinen vielen Erscheinungsformen ist ein von Pratapaditya Pal herausgegebener Band der Schriftenreihe von Marg Publications gewidmet, in dem neun Autoren in zehn Essays versuchen, die Geschichte und gelebte Gegenwart dieses Kultes zu erfassen. Dass die Autoren vier verschiedenen Religionen angehören, neben dem Hinduismus auch dem Buddhismus, dem Islam und dem Christentum, und dass nicht nur Religionswissenschaftler, sondern auch Soziologen, Anthropologen und Kunsthistoriker zu Wort kommen, sorgt für ein umfassendes Bild dieser populären Gottheit. Geographisches Zentrum des Durga-Kultes ist Westbengalen und hier vor allem die Hauptstadt Kolkata, das vormalige Kalkutta. Hier ist es Pratapaditya Pal selbst, der die Tradition der jährlich nach dem hinduistischen Mondkalender Ende September oder im Oktober gefeierten Durga-Puja in seinem Elternhaus in Kalkutta beschreibt. Diese Durga-Puja ist in Bengalen das wichtigste, sich über mehrere Tage hinziehende Fest im Jahreslauf. Es wird in der Familie gefeiert, es wird geopfert, gebetet, ein häuslicher Altar errichtet, es ist Anlass für Kommunikation und Fröhlichkeit, für die Bengali so etwas wie Weihnachten für die Europäer. Die Durga-Puja hat sich aber, wie in einem kritischen Essay zu lesen ist, im modernen Kolkata unter dem Einfluss der Medien und der Massengesellschaft von einem traditionellen, vor allem in der Familie begangenem Fest auch zu einem karnevalesken Spektakel entwickelt, bei dem Ritual und Göttinnenverehrung durch Wirtschaftsförderung und kommerziellen Sponsoring zur Nebensache zu verkommen drohen. Aber nicht nur in Bengalen ist Durga als Verkörperung von Kraft, Wissen und Weisheit eine gefeierte Göttin. Oft unter anderem Namen findet man diesen Göttinnen-Kult in ganz Indien, in Tamil Nadu ebenso wie in Kerala, viele wichtige Pilgerorte in ganz Indien werden ihretwegen aufgesucht und sogar in einem entlegenen pakistanischen Schrein in den Bergen Beludschistans wird Durga verehrt. Die „Kumari“, die hochverehrte, lebendige Mädchen-Gottheit, wird im Tal von Kathmandu als eine Inkarnation der Durga angesehen. Alle anderen Emanationen sind die unendlich vielen zwei- und dreidimensionalen Bildnisse der Durga, mit friedlichen und zornvollen Erscheinungsformen, mit 4, 8 oder 10 Händen, in denen sie symbolische Waffen hält, die sie zur Dämonenbezwingerin macht. Der Reigen dieser im Buch abgebildeten und beschriebenen Bildwerke reicht von frühen Bronzen aus Kaschmir bis zu den fantasievollen Lehmfiguren, die jährlich zu Tausenden zur Durga-Puja in Bengalen entstehen und die bunt bemalt und prachtvoll gekleidet einer naiven Volkskunst zuzurechnen sind. Die im Durga-Kult kulminierende Göttinnen-Verehrung im Hinduismus ist Ausdruck einer uralten Muttergottheit-Verehrung, die in nahezu allen alten Kulturen zu finden ist. Während aber Athena, Aphrodite, Persephone, Demeter, Ishtar und Isis alle im Dunkel der Geschichte verschwunden sind, kann die indische Durga auf eine kontinuierliche Tradition zurückblicken, ist Ausdruck eines nie versiegten göttlichen Feminismus in der indischen Spiritualität. Ein Buch, das trotz der Enge des Themas einen guten Einblick in die bunte religiöse Vielfalt Indiens gibt.

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