The Word is Sacred – Sacred is the Word – Meisterwerke indischer Manuskriptkunst

Autor/en: B. N. Goswamy
Verlag: National Mission for Manuscripts – Museum für Angewandte Kunst
Erschienen: New Delhi – Frankfurt 2006
Seiten: 248
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 42.–
ISBN: 81-89738-15-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 2006

Besprechung:
Für viele Menschen im Westen ist Indien etwas Geheimnisvolles, ein mythischer, wundersamer Ort, ein Land einzigartiger Schönheit, reich an Duft, an traumverlorener Musik, betörenden Bildern und Legenden. Ein Land, in dem die Moghul-Kaiser und Maharadschas eine Pracht und einen Luxus entfalteten, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat, in dem aber auch Armut und Elend noch heute in kaum vorstellbaren Ausmaß zu Hause sind. Zugleich ist Indien einer der mächtigsten Wachstumsmärkte Asiens und Nährboden für die besten Computer- und Softwarespezialisten der modernen Welt. Das alles sind nur Mosaiksteinchen eines in jeder Hinsicht so facettenreichen Landes, dass man es nur sehr schwer wirklich kennen und erfassen kann. Ein gängiger Schlüssel zum Verständnis eines fremden Landes ist stets seine Buchkultur. Als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse 2006 präsentierte sich Indien in dieser Hinsicht auf der Höhe der Zeit. Literatur, Wissenschaft und Kunst sind im indischen Verlagswesen und waren auf der Buchmesse reichlich und auf höchstem Niveau vertreten. Diese eindrucksvolle Präsentation ließ erahnen, dass das geschriebene und illustrierte Wort auf dem indischen Subkontinent eine alte und bedeutende Tradition hat. Zu besichtigen ist diese Tradition im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst (bis 07.01.2007) und in einem dazu erschienenen Buch, einer gemeinsamen Publikation (englisch und deutsch) der indischen National Mission for Manuscripts und des Frankfurter Museums. Und in der Tat: Der Reichtum und die Vielfalt der indischen Manuskripttradition, die Bandbreite der in den gezeigten Werken präsentierten Wissenssysteme, Schriften und Sprachen und die Materialien und Ausdrucksmittel, die bei der Erstellung dieser Manuskripte und der exquisiten Kalligraphien und Illustrationen Verwendung fanden, vermitteln einen tiefen Eindruck von 2000 Jahren indischer Kulturgeschichte und von einer Gesellschaft mit höchster Wertschätzung von Wissen, Kunst und Kultur. Spätestens mit dem Aufkommen des Buddhismus und des Jainismus wandelte sich die bis dahin meist mündliche Überlieferung in das Bedürfnis, Wissen, Fakten und Lehren schriftlich festzuhalten. Handschriften auf Birkenrinde, ein sensationeller Fund des Jahres 1931 aus Gilgit in Kaschmir, stellen wohl die ältesten Manuskripte Indiens dar, sieht man von Kupferplatten ab, in die Besitzansprüche auf Grund und Boden eingraviert wurden. Das bevorzugte Medium für den unendlich reichen Korpus Heiliger Texte waren aber dann für Jahrhunderte sorgsam präparierte Palmblätter, in die mit metallenen Griffeln Sutren und Bilder von Gottheiten eingeritzt wurden. Sie wurden gehalten und geschützt von meist hölzernen Buchdeckeln, die, beschnitzt, bemalt und lackiert, schon für sich selbst ein reizvolles Studienobjekt darstellen. Es ist typisch für die indischen Manuskripttraditionen, dass auch mit dem Aufkommen von Papier und dem Gebrauch ledergebundener Bücher Form und Format solcher Heiligen Texte bis in die Neuzeit beibehalten wurden. Sogar die sonst als Schriftträger fast unbekannte Birkenrinde, von genervten Restauratoren und Konservatoren als „schlecht aufgerollte Zigarren“ apostrophiert, war in Kaschmir bis ins 19. Jahrhundert in Gebrauch. Aber nicht nur Palmblatthandschriften, prächtig illustrierte Codices von islamischen Höfen oder Manuskripte in Form von Schriftrollen oder Leporellos sind zu sehen, sondern auch das ganze Handwerkszeug des Schreibers, Tintenfässer, Schreibzeuge, Schreibkästen, Papiermesser, Buchständer und dergleichen mehr. Auch die Inhalte der gezeigten Manuskripte zeugen vom Reichtum und der Vielfalt des indischen Buchschaffens. Neben heiligen Texten wie Gitagovinda oder Koranversen (hier auf Messingtafeln) gibt es ein Elefantenhandbuch aus dem 18. Jahrhundert, ein kaiserliches Edikt von Akbar dem Großen, das Manual einer Wahrsagerin des 16. Jahrhunderts aus Manipur, Lyrik des Hafis und Texte zu Medizin, Astrologie und Tierheilkunde. Die gezeigten Manuskripte stammen aus öffentlichen und privaten indischen Sammlungen und sind ein winziger Bruchteil des auf 5 Millionen erhaltene Manuskripte geschätzten Bestandes auf dem Subkontinent. Sie sind ein faszinierender Aspekt indischer Kunst und Kultur, zu dem der Autor am Ende seines einleitendes Essay feststellt: „Die Welt der indischen Manuskripte ist wie eine eng gewundene Rolle, die jedes Mal, wenn man sie ein wenig ausrollt, etwas anderes enthüllt, etwas Reiches, Farbenfrohes und mit tiefem Gefühl Geschaffenes“. Genau wie das vorliegende Buch.

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