Earrings – Ornamental Identity and Beauty in India

Autor/en: Waltraud Ganguly
Verlag: B.R.Publishing Corporation
Erschienen: Delhi 2007
Seiten: 284
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: ca. € 80.–
ISBN: 81-7646-587-9
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2007

Besprechung:
Der Rezensent erinnert sich an eine Abend-Ausstellung von Schmuck einer Goldschmiede-Meisterklasse von Prof. Jünger an der Münchner Kunstakademie. Der Schmuck lag nicht in Vitrinen, sondern wurde von den Künstlern und ihren Angehörigen getragen. Besucher und Schmuckträger begegneten sich und versuchten einander an ihrem Schmuck zu erkennen. Die Distanz, die einander Fremde sonst wahren, durfte und musste verringert werden, Nähe und Kommunikation wurden geschaffen und dem sonst stummen Schmuck Ausdruck und Sprache verliehen. Genau das gelingt Waltraud Ganguly in ihrem wundervollen Buch über indische Ohrringe, denn etwa ein Drittel der über 400 Bilder zeigen den Ohrschmuck dort, wo er hingehört, an Frauen, Kindern und manchmal auch an Männern. Von Tamil Nadu im tiefen Süden des Subkontinents bis Himachal Pradesh im Schatten des Himalaya begegnen wir daher nicht nur Gold, Silber und Juwelen, sondern Menschen jeglichen Alters, aus allen Schichten und Kasten, einer Banjarenfrau aus Rajasthan ebenso wie einem Pandit aus Orissa, einer Fischersfrau aus Goa, einem Nomadenmädchen aus Kaschmir und vielen vielen anderen Inderinnen und Indern. Die Begegnung mit diesen Ohrringen, von denen die Autorin 170 unterschiedliche Typen zählt, ist daher auch eine Begegnung mit Indien und mit seiner unglaublichen ethnischen und religiösen Vielfalt. Zu danken ist das einer mehr als zehnjährigen, überlegten und systematischen Feldforschung. Auf 15 Reisen haben Waltraud Ganguly und ihr indischer Mann Subrata Ganguly 40.000 Kilometer zurückgelegt. Was das heißt weiß nur, wer schon einmal abseits der Hauptverbindungsstrassen im Nirgendwo des indischen Hinterlandes ein verstecktes Heiligtum, einen Höhlentempel oder eben ein Dorf gesucht hat, wo eine alte Frau noch einen bestimmten Typ eines Ohrrings tragen soll. Das Ergebnis ist eine einzigartige Dokumentation der handwerklichen und ästhetischen Qualität, der Vielfalt, der Schönheit und der Tradition indischen Ohrschmucks. Das Buch ist das Standardwerk zum Thema und wird es bleiben. Denn auch in Indien gehen mit wirtschaftlichem Aufschwung und Globalisierung, vor allem in den Städten, Fertigkeiten und Traditionen einer alten materieller Kultur rasch verloren. Zwar ist Indien noch immer das Schmuckland par excellence, doch die über Schmuck, Dekor und Investment hinausgehende Bedeutung von Ohrringen, ihre Wirkung als schützendes Amulett, als Garant für Gesundheit und Wohlergehen und vor allem als Mittel zur sozialen und gesellschaftlichen Identifikation ist dabei, mehr und mehr in Vergessenheit geraten. So hat sich die Autorin auf ländliche, bäuerliche und nomadische Gesellschaften konzentriert und dort in bewundernswerter Mühe und Akribie Namen, Bedeutung, Geschichte und technische Details von Ohrschmuck zusammengetragen. Der Katalogteil, geordnet nach den indischen Provinzen, ist eine fast unerschöpfliche Fundgrube immer wieder neuer Formen, Design-Ideen und Inhalte. Da sind etwa die spektakulären Pambadam der Tamil Nadu, eine avantgardistisch anmutende Zusammenstellung geometrischer Formen, die an die Architektur eines Frank Gehry erinnern und die doch nicht anderes darstellen als eine ihr Gelege behütende Kobra, da sehen wir Ohrschmuck aus Türkisen, Korallen und Perlen aus dem tibetisch beeinflussten Kaschmir oder in der typischen Kundantechnik gearbeitete Juwelen aus Rajasthan oder aus Himachal Pradesh. All das ist sorgfältig beschrieben mit einer fast erschlagenden Fülle von Informationen über Bezeichnung, Ursprung und Geschichte jedes einzelnen Typs, von den Techniken, vom Material und den verschiedenen Möglichkeiten der Befestigung am Ohr gar nicht zu reden. Der Frage, warum es gerade das Ohr ist, dem diese Vielfalt von Schmuckformen gewidmet ist, geht Waltraud Ganguly in ihrer unbedingt lesenswerten Einleitung nach. Als Körperöffnung ist das Ohr nicht nur ein Ort, der vor dem Eindringen böser Geister zu schützen ist, sondern es ist auch ein Organ, das an der Überlieferung von Geschichten, Mythen und Legenden ganz wesentlich beteiligt ist. Die fast ausschließliche mündliche Überlieferung magischer, religiöser und kultureller Inhalte und Überzeugungen macht das Ohr im indischen Kulturkreis zu einem der wichtigsten Körperteile. Der Schmuck des Ohrs ist für die indische Frau daher nicht nur ein ästhetisches Anliegen, sondern hat tiefe symbolische und religiöse Bedeutung. Damit wird klar, dass die kunsthandwerkliche Fertigkeit, die ästhetische Qualität und der künstlerische Inhalt indischen Ohrschmucks von keiner anderen Schmuckform übertroffen werden. Ein wichtiges und schönes Buch für Sammler, Schmuckdesigner, Ethnologen, Gold- und Silberschmiede und für jeden Liebhaber Indiens. (Bezugsquellen in Deutschland: Uta Hülsey Verlagsbuchhandlung, Hansaring 52, 46470 Wesel, uh@utahulsey.de oder Buch- und Kunsthandel Müth, Husenstr.30, 47665 Sonsbeck, buchundkunst-mueth@t-online.de.

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