Shiva Nataraja – Der Kosmische Tänzer

Autor/en: Johannes Beltz (Hrsg)
Verlag: Museum Rietberg
Erschienen: Zürich 2008
Seiten: 200
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 42.– (zur Ausstellung, danach € 56.–)
ISBN: 978-3-907077-38-2
Kommentar: Michael Buddeberg, Februar 2009

Besprechung:
Der Herbst 2008 steht für den Beginn einer globalen Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Der Zeitpunkt für eine Ausstellung des Shiva Nataraja, des tanzenden Shiva, hätte nicht besser gewählt werden können. Die Ikone des Hinduismus, der kosmische Tänzer Shiva symbolisiert wie keine andere Gottheit der großen Religionen den kosmischen Zyklus aus Werden, Bestehen und Vergehen und eignet sich so als eine Allegorie auf die heutige Welt mit ihren Höhenflügen und Sensationen, ihren Problemen und Konflikten, aber auch mit der Hoffnung auf einen Neuanfang. Die Parallele zur Weltwirtschaftskrise der dreissiger Jahre des 20. Jahrhunderts ist unübersehbar. Auch damals, zwischen den beiden Weltkriegen, wurde der tanzende Shiva zum Sinnbild des Weltgeschehens, zu einer Symbolfigur für eine dem Abgrund entgegentreibende Welt. Kaum einer hat das besser zum Ausdruck gebracht als Hermann Hesse in seinem „Glasperlenspiel“, wo er Shiva als Gleichnis für die „Gier und Teufelei des Menschen und zugleich für seine tiefe Sehnsucht nach Reinheit und Harmonie“ sieht, als den „gewaltigen Shiva, der die verkommene Welt in Trümmer tanzt“. Diese westliche Präsenz von Shiva als König des Tanzes hat ihren Ursprung in der romantischen Orientbegeisterung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die nicht nur orientalisches Kunstgewerbe in die Salons der Bürger spülte, sondern auch den Beginn der ernsthaften Auseinandersetzung mit östlichen Religionen markiert. Vor allem das geheimnisvolle und exotische Indien, hier nicht zuletzt der mystische Tempeltanz zog Philosophen, Künstler und Literaten in seinen Bann. Die berühmte und für manchen Skandal verantwortliche Mata Hari etwa berief sich für ihre von Religion und Erotik geprägten Auftritte zwischen sakralem Kult und Striptease auf den kosmischen Tänzer Shiva. So durfte denn auch in der Kollektion des Mäzens und Kunstsammlers Eduard Baron von der Heydt der tanzende Shiva nicht fehlen. V.d.Heydt erwarb die Figur zu Beginn der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts im Pariser Kunsthandel. Sie gelangte mit der Schenkung der Sammlung 1949 an das Museum Rietberg und wurde zum Sinnbild dieses Hauses. Johannes Beltz, Kuratur für Indien am Museum Rietberg und Herausgeber des Katalogbuches zur Ausstellung über Shiva Nataraja, den kosmischen Tänzer, in der das Museum Rietberg bis zum 1. März 2009 exquisite und bedeutende Bildnisse von Shiva und seinen Begleitern präsentiert, beschreibt in der Einleitung die spannende Geschichte des Rezeption des tanzenden Shiva in der westlichen Kunst- und Geisteswelt und wie es kam, dass diese Figur zum Sinnbild des Hinduismus wurde, zu einer wahren Ikone, vergleichbar etwa der Vitruv-Zeichnung von Leonardo da Vinci, des in einen Kreis und ein Viereck eingepassten Menschen. Es versteht sich, dass auch der Ursprung, die religiöse Bedeutung sowie die ikonographische und künstlerische Vielfalt dieses Gottesbildes in Südindien zur Zeit der Chola-Dynastie (9. bis 13. Jahrhundert) eingehend untersucht werden. In einem weiteren Essay wird von der Indologin Saskia Kersenboom lebendig beschrieben, wie der Shiva-Kult in den Tempeln Südindiens bis heute fortlebt, wie der tanzende Shiva mit seiner Fähigkeit, alles Unreine, alles Leiden und alle Sehnsucht tanzend in Gold zu verwandeln in der Halle des Tempels von Chidambaram präsent ist bis zum heutigen Tage. Die über 80 Exponate aus Museen in Indien, USA, England, Frankreich, Holland, Deutschland und der Schweiz zeigen Shiva in seinen verschiedenen Erscheinungsformen, seine Gattin Parvati, den weissen Stier Nandi, Shivas Reittier und seine Gefährten und Schüler. Es sind Miniaturen, Goldschmiedearbeiten, Holzreliefs von den gewaltigen, wie Bauwerke wirkenden Festwagen aus Tamil Nadu, vor allem aber vollplastische Skulpturen aus Stein und Bronze. Nicht weniger als sechs vollständige Exemplare des von einem Flammenkranz umgebenen Shiva Nataraja kamen für Ausstellung und Katalog zusammen, neben dem Exemplar aus dem Museum Rietberg die bedeutenden Stücke aus dem British Museum, dem Victoria and Albert, aus der Rockefeller Collection und aus dem Nationalmuseum in Neu Delhi. Vor allem zu erwähnen aber ist der tanzende Shiva aus dem Rijksmuseum in Amsterdam, der in seiner Größe, Anmut und Grazie von keiner anderen Figur übertroffen wird und den mit der Züricher Figur eine gemeinsame Geschichte verbindet: Soeben aus Indien eingetroffen konnte Eduard Visser, einer der Gründer des Amsterdamer Museums für Asiatische Kunst, diese großartige Skulptur reservieren. Baron v.d. Heydt kam genau einen Tag zu spät und gratulierte Visser: „es ist zweifellos der schönste tanzende Shiva in Europa und ich muss mit meinem jetzt bescheiden zurücktreten“.

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