Indien

Autor/en: Olivier Föllmi
Verlag: Knesebeck Verlag
Erschienen: München 2005
Seiten: 318
Ausgabe: Gebunden mit Schutzumschlag
Preis: € 52.–
ISBN: 3-89660-319-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2005

Besprechung:
Ein indisches Sprichwort sagt, „wer Indien kennen lernen will, der braucht drei Leben,“ und Radhika Jah, eine junge indische Schriftstellerin und Journalistin, die das unbedingt lesenswerte Vorwort zu diesem grandiosen Fotoband geschrieben hat, meint, es sei einfacher, sich um Indien keine Gedanken zu machen als Indien zu verstehen. Ein paar Tatsachen mögen belegen, warum der Zugang zu diesem Land so schwer ist: Mit einer fünftausendjährigen Zivilisationsgeschichte gehört Indien zu den ältesten Kulturen der Welt und gilt heute aber auch als High-Tec-Wunder und aufstrebende Wirtschaftsmacht. Mehr als eine Milliarde Menschen leben in dieser größten Demokratie der Welt. Es ist das Land mit der höchsten Wachstumsrate bei Mobiltelefonen aber auch das Land, das 40% der Fauna unseres Planeten beherbergt und auch den einzigen natürlichen Lebensraum des Tigers. 18 offizielle Sprachen und tausende von Dialekten werden in Indien gesprochen, alle Religionen praktiziert und nicht weniger als 6000 verschiedene Zeitungen erscheinen täglich auf dem Subkontinent. Millionen von Pilgern bevölkern die Heiligen Stätten, Bauern bewirtschaften ihre Reisfelder wie seit tausenden von Jahren und in den industriellen Zentren entsteht eine Auto- und Computerfabrik nach der anderen. Unglaublich, unbegreifbar und kaum vermittelbar. Olivier Föllmi, bekannt vor allem durch seine zauberhaften Bilder aus dem Himalaya („Buddhismus im Himalaya“, Knesebeck 2002) und seine Reportage einer Winterbegehung des gefrorenen Zanskar Tsampo, versucht auch gar nicht erst, die unendlich vielen Gesichter Indiens zu vermitteln, sondern nähert sich dem Land auf seine ganz eigene Art. Herausgekommen sind wunderbar einfühlsame Menschenbilder, Portraits von Männern und Frauen aller Kasten, von Bauern, Handwerkern, Tänzern und Musikern und immer wieder von Kindern. Es sind Bilder, die nur entstehen können, wenn zwischen dem Fotografen und seinem Gegenüber eine wirkliche Beziehung entstanden ist, wenn jede Scheu verschwunden ist, wenn mit der entstandenen Offenheit die Würde und Schönheit des Menschen zum Ausdruck kommt und fotografierbar wird. Das gilt gleichermaßen auch für die vielen Szenen religiösen Brauchtums in Tempeln und vor allem an den Heiligen Ufern des Ganges und des Gandaki. Und es gilt sogar für die atemberaubenden Fotos von indischen Landschaften , vom nebelverhangenen Gipfel des Kanchenjunga, den Wüsten Rajasthans den fruchtbaren Reisfeldern Südindiens und vielen anderen mehr. Auch aus diesen Bildern wird die enge Beziehung Olivier Föllmis zu diesem Land spürbar, eine Beziehung, die nur in einer Spanne von vielen Jahren wachsen kann und die über diese Jahre hinaus vielleicht noch ganz andere Ursachen haben könnte. Es muss eine Art Seelenverwandtschaft gewesen sein, die den jungen Olivier Föllmi schon vor Jahrzehnten nach Indien gezogen und ihn nach der Seele dieses Landes hat suchen lassen. Für den Inder, sei er nun Hindu oder Buddhist, wird das ein klarer Fall sein: Olivier Föllmi muss wohn schon mehrere Leben in Indien gelebt haben. Und man ist geneigt, das ebenfalls zu glauben, denn die Bilder strahlen eine Ruhe und Gelassenheit aus, die einem Indien längst vergangener Zeiten entnommen zu sein scheinen. Und doch ist es das Indien von heute, ein Indien, das in seiner Buntheit und Vielfalt, in seiner Menschlichkeit und Schönheit fasziniert, anrührt und zur eigenen Entdeckung dieses Landes verführt. Und selbst wenn dafür nach dem eingangs zitierten Sprichwort drei Leben erforderlich sind, die Olivier Föllmi vielleicht gelebt hat, und wenn auch drei Dutzend Bücher es nicht schaffen können, das Geheimnis und die Faszination des Subkontinents wirklich zu entschlüsseln, so vermögen es die außergewöhnlichen Fotos von Olivier Föllmi doch, dem Betrachter einen tiefen und unvergesslichen Eindruck von Indien zu vermitteln. Die Texte von Radhika Jah und von Olivier Föllmi sowie die Bildlegenden des Indienkenners Alain Rodari aus Genf tragen – ebenso wie das Posterformat des Buches – dazu bei, den Band weit über das Niveau üblicher Landschafts- oder Länderbücher zu heben. Dank internationaler Verlagskooperation und dadurch möglicher hoher Auflagen ist das auch noch ein preiswertes Vergnügen.

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