Wandmalerei in Nordkerala Indien – 1000 Jahre Tempelkunst

Autor/en: Albrecht Frenz, Krishna Kumar Marar
Verlag: Arnoldsche Art Publishers
Erschienen: Stuttgart 2004
Seiten: 208
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 49.80
ISBN: 3-89790-208-7
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2005

Besprechung:
Nicht der Drang nach Wissen oder die Freude an exotischer Kunst hat die großen Entdecker und Abenteurer getrieben, sondern der Hang zur Befriedigung von Luxusbedürfnissen, letztlich die Gier nach Geld und Gewinn. Gewürze – Pfeffer, Zimt und Ingwer -, die schon die alten Römer mit Gold und Silber aufgewogen haben, spielten dabei eine wichtige Rolle. Jahrhundertelang waren es die Araber und Jemeniten, die im Gewürzhandel den Rahm abschöpften. Es war der Wunsch, diesen Zwischenhandel auszuschließen, der die Portugiesen und Spanier dazu trieb, den direkten Seeweg nach Indien zu suchen. Vasco da Gama gelang die Umsegelung Afrikas und er landete im Mai 1498 bei Kappad, nördlich von Kozhikode, dem heutigen Calicut. Die Malabarküste, die südostindische Provinz Kerala, der Weg zu den Gewürzen war entdeckt. Ein paar Jahre später, 1503, brachte Vasco da Gama mit 13 Schiffen 5 Millionen Kilogramm Gewürze nach Portugal. Es folgten Baumwolle, Textilien und Farben als Handelsartikel. Erst Jahrhunderte später, nicht vor dem 19. Jahrhundert begann man, die Kunst Indiens wahrzunehmen, und bei den Wandmalereien der Tempel des nördlichen Kerala war das gar erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Fall – zu spät für viele Zeugnisse dieser ursprünglichen, kraftvollen Kunstform, die bereits weitgehend mangelnder Beachtung, Zerfall, Abbruch und unsachgemäßer Sanierung zum Opfer gefallen war. Das 2004 erschienene Buch über die Wandmalerei des nördlichen Kerala ist nicht nur eine Bestandsaufnahme der noch vorhandenen Reste, sondern dokumentiert mit den Aufnahmen des Fotografen Krishna Kumar Marar, der sich seit 30 Jahren dieser lokalen Kunstradition widmet, auch Tempel und Bilder, die heute nicht mehr existieren. Neben dem vorzüglich restaurierten Siva-Tempel von Todikalam aus dem 16. Jahrhundert, werden etwa 30 weitere Tempel und ihre Wandmalereien vom 12. Jahrhundert bis heute vorgestellt. Bedenkt man, dass traditionsgemäß die Außenwände der Tempel bemalt sind – die typische Tempelform ist der Srikovil, ein quadratisches, zweigeschossiges Gebäude mit starker architektonischer Gliederung aus Säulen und Nischen, in denen sich die Wandmalerei befindet – dann muss man über den Umfang des noch Erhaltenen froh sein, denn es vermittelt einen glänzenden Einblick in die Inhalte und die sinnenfrohe Qualität dieser Malerei. Die Themenschwerpunkte unterscheiden sich von Tempel zu Tempel, je nachdem, welcher Gottheit der Tempel geweiht ist, in welcher Zeit die Bilder entstanden sind und welcher Malschule der Künstler angehörte. Siva, Vishnu, Krishna und die Göttin Bhagavati in ihren vielfältigen Inkarnationen und mit ihren jeweiligen Attributen und Begleitern kehren neben anderen Gestalten des hinduistischen Pantheon immer wieder, aber auch Menschen, Tiere und Szenen aus dem Alltagsleben Indiens. Die Malereien vermitteln so ein Bild von der Vielfalt der hinduistischen Götterwelt, wie sie die indischen Mythen und Legenden erzählen. Vor allem aber sind sie ein Ausdruck von Fröhlichkeit und sinnlicher Lebensfreude und ein Beleg dafür, wie menschlich es in der Götterwelt zugeht oder wie alles irdische Dasein vom göttlichen Wesen erfüllt ist. Die Wandmalereien von Kerala zeigen einmal mehr, dass man die indische Kunst weder als religiös noch als weltlich bezeichnen kann. Indische Kunst und indisches Leben sind nie wie im Westen von dem Zwiespalt zwischen Glaube und Welt geprägt und zerrissen. Alle Bereiche, die des Körpers, der Seele und des Geistes, sind in eine allgemeingültige Rangordnung der Werte einbezogen. Der lesenswerte Kommentar des Indologen und Theologen Albrecht Frenz befasst sich mit dem archäologischen und religionsgeschichtlichen Hintergrund, mit der Geschichte der Region und der kunsthistorischen Bewertung der Bilder. Frenz sieht im keralesischen Malstil mit der Betonung dramatischer Szenen, sorgfältig dargestellten Schmucks, reicher Kostüme und ausdrucksstarker Gebärden enge Parallelen zu den lebendigen Tanzformen Keralas. Beide, der klassische Tanz und die unverwechselbare Maltradition Keralas finden ihre Grundlage in den großen Sanskritdramen. Deren konfliktgeladene Vitalität, die Wildheit der Götter und die Huld der Göttinnen finden hier wie dort meisterhaften Ausdruck. Und bei aller Dramatik sind es Liebe und Freude, die das dargestellte kosmische Universum prägen. Das ist die Botschaft der köstlichen Wandmalereien von Kerala. (Alle Texte in Englisch und Deutsch)

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