The Hidden World of the Nagas – Living Traditions in Northeast India and Burma

Autor/en: Aglaja Stirn, Peter van Ham
Verlag: Prestel Verlag
Erschienen: München London New York 2003
Seiten: 192
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: EURO 75.–
ISBN: 3-7913-2878-6
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2004

Besprechung:
„Die Nackten Nagas“, dieser 1939 bei Brockhaus in Leipzig erschienene Bericht des Ethnologen Christoph von Fürer-Haimendorf über seine 13 Monate währende Expedition zu den „Kopfjägern Indiens“ entwickelte sich zu einem Bestseller und erlebte mehrere Auflagen. Was immer damals die Gründe für diesen Erfolg waren, der zu seiner Zeit provokante Titel, das schon immer faszinierende Thema der Kopfjagd oder schlicht das Interesse an einem der am wenigsten bekannten und erforschten Völker dieser Erde, sie bestehen bis heute fort, und so hat auch das Buch der Autoren Aglaja Stirn und Peter van Ham das Zeug zu einem Bucherfolg. Nur eines hat sich geändert, die Nagas sind nicht mehr nackt. Obwohl die Region im Osten Indiens und im Nordwesten Burmas, die so genannten „Naga-Hills“, bis vor wenigen Jahren Sperrgebiet und daher für westliche Forscher oder gar Touristen vollkommen unzugänglich war, haben dennoch die zunehmenden Kontakte der Nagastämme mit den Ebenen, nicht zuletzt auch der lange Arm der indischen Zentralregierung Einfluss auf die Bekleidungsgewohnheiten der Nagas gehabt. Man sollte meinen, dass auch die Kopfjagd der Vergangenheit angehört, seit sie im frühen 20. Jahrhundert von den Briten unter Androhung von schweren Strafen verboten wurde. Doch ob sich die Nagas wirklich daran halten, da sind sich auch Stirn und vam Ham keineswegs sicher. Zu sehr ist dieser grausige Brauch mit den animistischen und schamanistischen Vorstellungen und Ritualen der Nagastämme verwoben, die sich mehr oder weniger alle um die Fruchtbarkeit drehen. Mit dem Abschlagen des Kopfes glaubten die Nagas nämlich, das Fruchtbarkeitspotential des Feindes, welches weit wichtiger und mehr ist als nur dessen Mut und Stärke und das sich in dessen Kopf befindet, erwerben und für sich, die eigene Frau und die ganze Dorfgemeinschaft gewinnen zu können. Sicher ist, dass noch heute religiöse Rituale, dass bestimmte Feste im jahreszeitlichen Zyklus, dass Schmuck und Kunsthandwerk und schließlich der nach wie vor bestehende Brauch der Tätowierung in einem engen Zusammenhang mit der Kopfjagd stehen. In dem mit phantastischen und spektakulären Fotos ausgestatteten Band werden aber nicht nur diese mit der Kopfjagd zusammenhängenden Gebräuche, Rituale, Kriegskostüme, Waffen und Gegenstände vorgestellt, sondern dieses Buch ist überhaupt die erste vollständige und großartig illustrierte Untersuchung jener Stammesgruppen, die über Jahrhunderte in relativer Isolation in den Hügeln und Bergen Nordostindiens und Nordwestburmas gelebt haben. Beschrieben und gezeigt werden die „Naga Hills“, meist regenverhangene, hügelige Urwaldregionen, die ethnischen Besonderheiten und Unterschiede der etwa 30 verschiedenen Stämme und ihre meist aus palmblattgedeckten Langhäusern bestehenden Dörfer. Diese sind in der Regel aus strategischen Gründen auf den Kuppen der Hügel errichtet wurden, dort also, wo der beste Schutz vor den kopfjagenden Feinden gewährleistet war. Wir erleben die enge Verbindung dieser Menschen mit der sie umgebenden Tierwelt, vor allem mit denjenigen Tieren, die als stark und fruchtbar angesehen werden, Leoparden, Tiger und Büffel. Der Glaube, dass bei der Tötung eines Tieres dessen Qualitäten und dessen Kraft auf den Jäger übergehen zeigt sich in der herausragenden Bedeutung von Tiertrophäen in der Kleidung und in der Architektur. Die Darstellung der religiösen Gebräuche der Nagas, geprägt von der animistischen Vorstellung, dass die ganze Welt belebt ist von Geistern und Dämonen, leitet dann über zu dem zentralen Thema über die Bedeutung der Kopfjagd und über die Rituale, Feste und Gebräuche, die vor, während und nach dieser Jagd stattfanden und die noch heute diese Kultur prägen. Die Nagas konnten sich bis jetzt eine kraftvolle und faszinierende Kultur bewahren und sie haben bis heute einen herausragenden Sinn für Formen, Farben und Design bewahrt. So gehören die Festkostüme der Nagas in ihrer Farbenkraft und Vielfalt und in ihrer Kreativität in der Verwendung natürlicher Produkte wie Muscheln, Federn, Käferflügel und Tiertrophäen aber auch prächtiger, aufwendig gewebter Textilien ohne jeden Zweifel zu den optischen Höhepunkten dieses Buches. Eine weitere Entdeckung sind Bildwerke aus Holz, Menschenfiguren und Masken vor allem aber auch Details der Architektur, die in ihrer Abstraktion und Ausdruckkraft den besten Plastiken aus Schwarzafrika in nichts nachstehen. Dem Buch ist daher zu wünschen, dass es, ähnlich wie „Die nackten Nages“ vor 65 Jahren, ebenfalls ein Bestseller wird. Verdient hätte es es.

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