Imperial Delhi (I); Splendours of Imperial India (II); (2 Bände)

Autor/en: Andreas Vohwasen
Verlag: Prestel
Erschienen: München Berlin London New York 2002 (I); 2004 (II)
Seiten: je 304
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 75.– (I); 98.– (II)
ISBN: 3-7913-2788-7 (I); 3-7913-3054-4 (II)
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2005

Besprechung:
Als der portugiesische Kapitän Bartolomeu Diaz im Herbst 1487 vom Sturm verschlagen und ohne es zu ahnen als erster das Kap der Guten Hoffnung umsegelte, schlug die Geburtsstunde des europäischen Kolonialismus. Das nachfolgende Jahrhundert aber gehörte noch ganz den wagemutigen Seefahrern und Kaufleuten. Portugiesen, Spanier, Franzosen und Engländer kämpften um die Vorherrschaft auf den Seerouten nach Arabien, Indien und China und um die wertvollsten Frachten mit den in Europa mit Gold aufgewogenen Gewürzen und anderen exotischen Waren. Es lag nahe, dass die Königshäuser, unter deren Flagge die Schiffe fuhren, an dem Reichtum und Ruhm teilhaben wollten. Das Rezept war zunächst die Beteiligung der Politik an den Handelsgesellschaften. Im Jahre 1600 gewährte Elisabeth I der Ehrenwerten Ostindischen Handelskompagnie das Monopol für den Handel mit Indien. Auf dieser Grundlage entwickelte sich in den nächsten 250 Jahren eine koloniale Weltmacht mit eigener Armee und zunehmender Machtfülle, eine Herrschafts- und Verwaltungsstruktur ganz eigener Art. Zur Sicherung ihrer kaufmännischen Interessen führte die Gesellschaft Kriege mit indischen Königreichen und rivalisierenden europäischen Handelsgesellschaften, mischte sich in die Händel indischer Potentaten ein und gewann so bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Kontrolle über fast den ganzen indischen Subkontinent, eine durchaus ungewöhnliche Entwicklung für das, was als reine Handelsgesellschaft gegründet worden war. Eine Meuterei indischer Truppen im Jahre 1856 brachte das Ende. Queen Victoria löste kurzerhand die Ehrenwerte Gesellschaft auf und integrierte sie in die britische Verwaltung. Die Entwicklung der Ostindischen Kompagnie zu einer Territorialmacht und das Wachsen königlich britischer Macht in Indien waren begleitet durch die Entwicklung einer vornehmlich städtischen Architektur, die die Ziele und Hoffnungen einer Kolonialmacht mit erstaunlicher Klarheit spiegelt. Dieser britischen Architektur in Indien sind zwei stattliche Bände des deutschen Architekten Andreas Volwahsen gewidmet, die von den ersten Fortifikationen der von den Seefahrern bevorzugt angelaufenen Häfen, über die städtischen Zentren Kalkutta, Bombay und Madras, über die Paläste der Maharadschas und schließlich über die monumentalen Regierungsbauten Neu Delhis berichten. Es ist eine rein britische Geschichte, die hier erzählt wird, zu der Indien keinen Beitrag hat leisten dürfen. Es ist die Geschichte einer 350 Jahre währenden, autokratischen Herrschaft und deren bleibender und dreidimensionaler Ausdruck in deren Bauten. Das gilt für Kalkutta, wo sich der Anspruch, die Hauptstadt von Britisch-Indien zu sein, in einem strikt an der klassischen Antike orientierten Klassizismus ausdrückt und das gilt für Bombay, einer dem Handel und Kapital zugewandten Stadt, die ihre Modernität und ihre Nähe zu Europa durch Übernahme des in Europa so aktuellen neugotischen Stils dokumentiert. Auch in Madras waren es ausschließlich britische Architekten, die hier einen Stil ganz eigener Art entwickelten. Der Architekt Robert Chisholm übernahm Elemente aus der indischen Architektur und schuf einen Kompromiss zwischen christlich-byzantinischen und indo-islamischen Formen, der dem europäischen Historismus näher steht als irgendeinem originären indischen Stil. Ähnliches gilt für die Märchenpaläste, die britische Architekten für die unermesslich reichen Maharadschas entwarfen. Man muß es den Architekten nachsehen, dass sie begeistert waren, mit dem Geld indischer Potentaten und mit Zutaten europäischer Bautechnologie nie zuvor gesehene Träume orientalischer Architektur realisieren zu dürfen. Die so entstandenen Paläste in Baroda, Jaipur, Lucknow, Mysore und Hyderabad sind reine, orientalisierende Märchenschlösser, die Linderhof und Neuschwanstein näher stehen als dem Taj Mahal oder dem Red Fort. Noch europäischer wurde es dann im 20. Jahrhundert. 1911 entschied König George V als Kaiser von Indien, die Hauptstadt Britisch-Indiens von Kalkutta nach Delhi zu verlegen. Von 1912 bis 1929 wurde dann am Rande des alten Delhi unter der Leitung der britischen Architekten Sir Edwin Lutyns und Sir Herbert Baker ein weiterer europäischer Traum verwirklicht, ein Symbol britischer Weltmacht in der flimmernden Trockenheit einer nordindischen Ebene. Ein flächenverzehrender städtebaulicher Gesamtplan und monumentaler Neo-Klassizismus für die Einzelbauten waren das Rezept, das sie zu einem symbolträchtigen Gesamtplan fügten. Der nach den Vorbildern des Kapitol in Washington und des Pantheon in Rom erbaute, vollkommen überdimensionierte Palast des Vizekönigs mit seiner gewaltigen Kuppel, die tempelartigen Sekretariatsgebäude, der mächtige Triumphbogen „All India War Memorial Arch“, das riesige Rund des Parlamentsgebäudes, Brunnen, Parks, Kirchen und Residenzen konnten dann nach ihrer Fertigstellung ihren imperialen Funktionen gerade mal 16 Jahre dienen, bis auf Druck des indischen Volkes und der Indischen Kongresspartei unter Mahatma Gandhi der britische Vizekönig Indien die Unabhängigkeit zurückgab. Bei aller Kritik am britischen Imperialismus ist die koloniale Architektur in Indien ein faszinierendes Erbe der zwei bis drei Jahrhunderte, die der Unabhängigkeit Indiens vorausgingen. Dieses Erbe, eindrucksvolle Gebäude und Paläste, Regierungsbüros und Landhäuser, Denkmäler und Kirchen, sind vom Autor in dem zweibändigen Werk mit hunderten von Illustrationen, zeitgenössischen Aufnahmen, Skizzen und Plänen, vollständig und ausgezeichnet dokumentiert und kommentiert. Die Architektur des kolonialen Indien gewährt damit einen vorzüglichen Überblick über die von der britischen Herrschaft geprägte Geschichte Indiens vom Niedergang des Mogul-Reiches bis zum Aufbruch in die Selbständigkeit in der Mitte des 20. Jahrhunderts.

Print Friendly, PDF & Email