Die Südliche Seidenstraße – Inseln im Sandmeer, Versunkene Kulturen der Wüste Taklamakan

Autor/en: Christoph Baumer
Verlag: Philipp von Zabern
Erschienen: Mainz 2002
Seiten: 108
Ausgabe: illustrierter Einband mit Schutzumschlag
Preis: 35.– EUR
ISBN: 3-8053-2845-1
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2002

Besprechung:
Wie haben sich doch die Zeiten geändert! Während Albert von LeCoq den Erfolg seiner archäologischen Expeditionen in Zentralasien danach bemaß, wieviele Kisten mit Artefakten er für sein Museum nach Europa bringen konnte, hat Christoph Baumer im Jahre 1998 seine Entdeckungen in der Wüste Taklamakan sorgfältig wieder im Sand vergraben. Ob das richtig war, ist nun in der Tat ein hochaktuelles Thema. Was hätte er sonst tun können? Das Ablösen uralter buddhistischer Wandmalereien, wie es LeCoq aber auch seine Kollegen Aurel Stein und Paul Pelliot praktiziert hatten – vieles ging dabei verloren – ist heute nicht mehr lege artis. Immerhin hätte Baumer die zahllosen buddhistischen Stuckfiguren aus den von ihm in Dandan Oilik ausgegrabenen Tempeln einem lokalen Museum übergeben können, anstatt sie wieder im schützenden Sand zu vergraben. Doch wenn man weiß, daß die kostbaren und kulturhistorisch so eminent wichtigen Mumien tocharischer Fürsten, die die Wüste in den letzten Jahren freigegeben hat, im Museum von Urumqi der Freßlust von Motten, Milben und Mäusen überlassen sind – um wievieles besser hat es da doch der Ötzi in seiner Bozener Klimakammer – war die Idee mit dem schützenden Sand vielleicht doch besser. Das Problem ist nur, daß der Sand heute weniger Schutz bietet denn je. So wie die Taklamakan-Expeditionen von Christoph Baumer (1994 und 1998) dank moderner Technik und Ausrüstung gezielt und ohne größere Gefahren und Abenteuer die versunkenen Städte, die einst Sven Hedin unter Lebensgefahr entdeckt hat, wiederfinden konnten, so hat sich auch die Technik und Logistik der Grabräuber verbessert. Und daß dies ein ganz aktuelles Thema ist, hat Baumer feststellen müssen, als er etwa in Endere, einer chinesischen Festung aus der Tang-Zeit, 1998 feststellen mußte, daß 1994 noch vorhandene Wandmalereien verschwunden waren, ja daß Grabräuber jüngst sogar den kompletten Inhalt ganzer Schreine ausgeplündert hatten. Ob es also hilft, daß Baumer ganz bewußt auf die Publizierung irgendwelcher geographischer Koordinaten von Dandan Oilik verzichtet hat, muß daher leider bezweifelt werden. So werden wohl, abgesehen von den großen Museen in Paris, London und Berlin – um nur die wichtigsten Plätze zu nennen, wo sich die Schätze früherer „Grabräuber“ heute befinden – von den Zeugnissen früherer Kulturen in der Wüste Taklamakan auf lange Sicht nur die Berichte und die Fotografien bleiben. Es sei denn, die Taklamakan hilft sich selbst und deckt Dandan Oilik, Karadang oder Miran wieder mit Sanddünen zu, die in der Taklamakan Höhen von bis zu 200 Metern erreichen können. Dann haben auch Grabräuber keine Chance mehr. Inseln im Sandmeer ist nicht nur der Bericht über zwei archäologische Expeditionen in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts und eine Bestandsaufnahme über den heutigen Zustand archäologischer Stätten in der Wüste Taklamakan, sondern ein ungemein lebendig geschriebener Bericht über die Geschichte, Bedeutung und Wiederentdeckung der Südlichen Seidenstraße. Während heute die Taklamakan ein ungeheures Sandreich aus Schweigen und Tod ist – auch die sonst in allen Wüsten vorhandenen Kleinlebewesen, Reptilien und Schlangen können in der Taklamakan wegen der extremen Winterkälte nicht existieren – gab es dort vor 2000 Jahren blühende Oasen, wohlhabende Städte, blaue Seen, einen florierenden Handel und eine Begegnung von Kulturen und Religionen wie wohl nirgendwo sonst auf dieser Welt. Ausreichend Wasser und ausgeklügelte Bewässerungssysteme sorgten für eine seßhafte Agrarwirtschaft als Grundlage für diesen einzigartigen Kulturraum. Ein etwa in der Mitte des ersten Jahrtausends einsetzender, allmählicher Klimawandel brachte tiefgreifende Änderungen. Früher fruchtbare Gebiete verödeten, Sandstürme bedrohten die Oasenstädte bis sie schließlich aufgegeben werden mußten, der Ackerbau verschwand zugunsten einer halbnomadischen Viehwirtschaft und der Weg für die Handelskarawanen wurde immer schwieriger und gefährlicher. Spätestens seit dem 9. Jahrhundert wandelten sich die einst fruchtbaren und lebendigen Oasen des Tarimbeckens zum ultimativen Atlantis Asiens, das unter der unaufhörlichen Brandung der anstürmenden Sandwellen versank. Seither ist diese Region die zweitgrößte reine Sandwüste der Welt – größer ist nur noch die Rub-al-Khali-Wüste in Arabien – und der Name Taklamakan bedeutet, sinngemäß übersetzt: „Gehst Du hinein, so kommst Du nicht mehr heraus.“ Ein Jahrtausend war das so und der erste westliche Forscher, Sven Hedin, der 1895 hineinging, kam nur mit knapper Not wieder heraus. Diese Geschichte ist bekannt und gehört zu den Klassikern der Abenteuerliteratur. Der Entdecker Sven Hedin machte nur den Anfang. Es folgten die Archäologen, und die Zeit der großen Entdeckungen begann und ist bis heute nicht abgeschlossen. Durch die extreme Trockenheit haben sich in den versunkenen Oasenstädten der Taklamakan ungeahnte Schätze erhalten, frühe Holzarbeiten etwa, Textilien, die schon erwähnten Mumien natürlich und Grabbeigaben aller Art, von den erhaltenen Wandmalereien und ihrer erstaunlichen Farbfrische gar nicht zu reden. Über all dies berichtet Christoph Baumer spannend und kenntnisreich, und das Buch ist reich illustriert mit Abbildungen von Funden und Fundstätten, mit Bildern aus der Wüste und Bildern aus den wenigen heute noch lebendigen Oasen, mit alten Karten und historischen Fotos. Die Geschichte von der Lösung des Rätsels um den wandernden See wird ebenso erzählt wie die der vollkommenen Zerstörung der großen Stupa von Rawak durch Grabräuber, das Schicksal der tibetischen Festung Mazar Tagh, den Untergang des Königreichs Khotan und vieles andere mehr. Das Buch ist ein spannender und lesenswerter Bericht über die versunkenen Kulturen der Wüste Taklamakan. Die bereits im Jahre 2000 bei Orchid Press in Bankok erschienene englische Ausgabe dieses Buches (Southern Silk Road – In the Footsteps of Sir Aurel Stein and Sven Hedin, 152 Seiten, paperback, US-$ 25.–, ISBN 974-83043-96) ist etwas ausführlicher und enthält vor allem auch Kurzbiographien der bedeutenden Taklamakan-Forscher von Hedin bis Trinkler.

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