The Seven Sisters of India – Tribal Worlds between Tibet and Burma

Autor/en: Aglaja Stirn, Peter van Ham
Verlag: Prestel Verlag
Erschienen: München 2000
Seiten: 168
Ausgabe: fester Einband mit Schutzumschlag
Preis: DM 98.–
ISBN: 3-7913-2399-7
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 2000

Besprechung:
Weiße Flecken auf der Landkarte – gibt es das noch? Ein Blick in den Atlas gibt die klare Antwort: Nein. Die ganze Erde ist vermessen, kartografiert und scheint keine Geheimnisse mehr zu haben. Und doch hört man immer wieder von unbekannten Völkern, die im unzugänglichen Dschungel des Amazones nach steinzeitlichen Traditionen leben. Fast noch weniger ist bekannt, daß es auch in Asien eine Dschungelregion gibt, die getrost als terra incognita bezeichnet werden kann. Schon die geographische Lage macht die Entlegenheit und Unzugänglichkeit deutlich: Tibet in Norden, China im Osten, Burma im Süden und Bangladesch im Westen umschließen eine Region, über die so gut wie nichts bekannt ist. Es sind die sieben Schwestern Indiens, die heutigen ostindischen Bundesstaaten Assam, Arunachal Pradesh, Nagaland, Manipur, Mizoram, Meghalaya und Tripura. Assam mag hier noch am ehesten bekannt sein als Herkunftsort guter Teesorten, und mancher hat schon etwas vom Nageland gehört, der Heimat der wilden und nackten Nagas, über die Ethnologen schon vor mehr als fünfzig Jahren berichteten. Doch über die politische Zugehörigkeit hinaus haben die sieben Schwestern nichts mit Indien gemein. Es ist vielmehr eine Region kaum glaublicher ethnischer Vielfalt und die Wurzeln der mehr als 500 festgestellten ethnischen Gruppen liegen in Tibet, Burma und China, in Laos, Kambodscha oder Thailand, in der Mongolei, in Südostasien oder gar in Ozeanien. Nicht minder vielfältig ist der geographische Rahmen der sieben Schwestern. Vom Himalayagipfel mit mehr als 7000m bis zu den feuchten Tiefebenen von Assam und Tripura finden sich nahezu alle Klimazonen dieser Erde. Es fehlen nur die Wüsten denn die Sieben Schwestern sind eines der feuchtesten Gebiete der Welt. So hält der Ort Cherrapungjee in Meghalaya mit über 23.000 mm den absoluten Regen-Weltrekord. Die katastrophalen Flutkatastrophen, von denen Bangladesch immer wieder heimgesucht wird, nehmen hier ihren Ausgang. Aglaja Stirn und Peter von Ham gehören zu den ersten, die nach vorsichtiger Öffnung dieser bis 1995 für Fremde verschlossenen Region die sieben Schwestern besucht haben und nun eine hervorragende Dokumentation vorlegen. Die ca. 400 Fotos zeigen phantastische Landschaften, Regenwälder, schwankende Hängebrücken über ungebändigte Flüsse, Reisfelder, Elefanten bei der Arbeit, zauberhafte Blumen – über 500 Orchideensorten soll es dort geben -, unbekannte Gewebe, Schmuck und rituelle Objekte. Vor allem aber zeigen sie die ethnische und kulturelle Vielfalt der Sieben Schwestern, die vom tibetischen Buddhismus an der Grenze zu Bhutan bis zu schamanistisch-animistischen Vorstellungswelten der neolithischen Dschungelvölker reicht. In 13 sorgfältigen Textbeiträgen werden ausgewählte Themen schwerpunktmäßig und kenntnisreich vorgestellt. Wir lesen über eine bislang unbekannte Megalithkultur, über rituelle Tänze verschiedener Stämme, über heute noch praktizierte Tieropfer und über die letzten Kopfjäger dieser Welt. Der reichen Webkunst ist ein eigenes Kapitel gewidmet ebenso wie den Feuerriten der Tutsas, Wanchos oder der Apa Tani, die in Großfamilien in Langhäusern mit bis zu 40 Metern Länge leben. Manche Stämme der Nagas huldigen einem uralten Kult, der Sonne und Mond verehrt und die Khasi, Jaintias und Garo leben in einer streng matrimonial geprägten Gesellschaft, in der die Frauen alle, die Männer so gut wie keine Rechte haben. Es ist ein Blick in eine faszinierend exotische Welt, in der sich sonst längst verschwundene Gebräuche, Rituale und Weisheiten erhalten haben, eine Welt, die durch die Anziehungskraft der modernen Konsumgesellschaft so gefährdet ist wie nie zuvor. Ein Buch, das sich durch Thematik und Darstellung deutlich von der Menge von Neuerscheinungen absetzt und das noch ein ganz anderes Symptom aufzeigt: Das Buch ist von deutschen Autoren in einem deutschen Verlag erschienen jedoch in englischer Sprache. Der Zwang zu hohen Auflagen und internationaler Vermarktung führt zu immer stärkerer Dominanz englischer Fachpublikationen. Wir werden uns daran gewöhnen müssen. (- mb -)

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