Indian Embroidery

Autor/en: Rosemary Crill
Verlag: V&A (Victoria & Albert) Publications
Erschienen: London 1999
Seiten: 144
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 25.– engl.Pfund
ISBN: 1-85177-310-X.
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Es ist eigenartig, daß die ältesten indischen Stickereien, die sich erhalten haben, beim ersten Hinschauen überhaupt nicht indisch aussehen. Die Erklärung ist einfach: Es ist reine Exportware, die schon im frühen 17. Jahrhundert Europa erreichte, die in englischen Schlössern, portugiesischen Herrenhäusern und holländischen Kaufmannsvillen über Jahrhunderte sorgsam verwahrt wurde und die schließlich von dort in europäische Sammlungen und Museen gelangte. Der Einfluß aus Europa ist unverkennbar. Aufbau, Stil und Musterlemente zeigen deutlich, daß streng nach europäischen Vorbildern gestickt wurde. Europäische Adelswappen, portugiesische Edelleute, Soldaten und Jäger oder Handelsschiffe finden sich als Motive neben Tieren und, in nahezu unendlicher Vielfalt, Blumen, Blüten und Planzen. Erst die genaue Untersuchung, der verwendete Stickgrund – regelmäßig indische Baumwolle -, kleine Dekordetails, vor allem aber die Sticktechniken weisen auf die indische Herkunft, zumeist Bengalen, Gujarat oder Sindh. Es sind sticktechnische Meisterleistungen, die ein einzigartiges handwerkliches Niveau belegen und eine textile Tradition, die weit zurückreichen muß. Wie weit, werden wir wohl nie erfahren denn keine frühe Stickerei hat sich erhalten, nicht in Europa und schon gar nicht in Indien. Doch wurde die früheste bekannte Nadel, unentbehrliches Instrument für die Stickerei, im heutigen Pakistan gefunden, zeigen frühe Skulpturen reiche, verzierte Gewänder, und auch die Wandmalereien in den Höhlentempeln von Ajanta lassen manchen Schluß auf eine hochentwickelte Stickereikunst zu. Frühe Reisende sprechen wiederholt von prachtvollen Textilien, ohne allerdings bestimmte Techniken zu erwähnen. Erst bei Marco Polo, der Indien im späten 13. Jahrhundert besuchte, finden wir die hohe Qualität der Stikerei aus Gujarat und anderen indischen Regionen ausdrücklich erwähnt. Doch wie sie aussahen, beschreibt Marco Polo leider nicht. Erst aus der Zeit der Moghul-Kaiser sind in nennenswertem Umfang Stickereien bekannt und erhalten und in ihnen finden wir den typischen Stil und die typischen Motive jener Zeit, einzeln stehende Blütenstauden, oft in mihrabartiger Nische, manchmal beeinflußt von persischen und chinesischen Elementen. Es ist hochinteressant, zu vergleichen, wie sich diese Stücke von den Exportarbeiten unterscheiden, obwohl sie zur gleichen Zeit und in der gleichen Region, vielleicht sogar in denselben Manufakturen entstanden sind. Vorwiegend Zelt- und Wandbehänge sind aus dieser frühen Zeit erhalten und -von einzigartiger Seltenheit – ein Kleidungsstück, eine bestickte Weste, Stickkunst in höchster Vollendung, die die verschwenderische Pracht am Hofe der Moghul-Kaiser ahnen läßt. Waren all dies Werkstattarbeiten aus den höfischen und städtischen Manufakturen so gab es daneben schon immer eine reiche Tradition häuslicher, vorwiegend ländlicher Stickerei, die aber wegen der Vergänglichkeit gerade dieser Textilien erst seit dem 19. Jahrhundert einigermaßen dokumentierbar ist. Gerade in diesem Bereich ist das Victoria & Albert Museum unübertroffen denn schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gelangten die ersten Stücke in seine Sammlungen. So konnte die Autorin dieses Bandes über indische Stickerei, Rosemarie Crill, Kuratorin der indischen und südostasiatischen Abteilung des V&A auf einen weltweit einzigartigen Bestand zurückkgreifen und man kann nur bedauern, daß es bei der Abbildung von nur 141 Stickereien geblieben ist. So sind leider von den verschiedenen Typen immer nur wenige Exemplare zu sehen aber diese sind durchweg von bester Qualität und Erhaltung. Ais Beispiel mögen Stickereien aus Kaschmir, gestickte Kopien der bekannten gewebten Schals genannt werden. Im frühen 19. Jahrhundert, zunächst aus Kostengründen eingeführt, entwickelte sich diese Technik rasch zu einer eigenständigen Kunstform und wir finden auf den Schals Abbildungen von Menschen, Tieren und Geschichten. Das bekannteste dieser Kunstwerke ist ein ganzer Stadtplan, das alte Srinagar mit allen Brücken, Moscheen und Gärten. Gedacht als ein Geschenk für das britische Königshaus hat es dieses doch nie erreicht und gelangte auf ganz anderen Wegen dann doch nach London, ins V&A. Nicht vergessen werden dürfen noch die „rumals“, zauberhafte Stickereien aus den kleinen Königreichen am Himalaya, heute der indische Bundesstaat Himajal Pradesch. Ihre Feinheit und zarte Ästhetik, ihre verhaltene Farbigkeit und die Ausgewogenheit im Entwurf erinnert an Miniaturen und macht diese Arbeiten zu den Höhepunkten jeder Sammlung indischer Textilien. Der Bereich der vorgestellten Arbeiten reicht über Pulkharis aus dem Punjap bis zu ausgesprochen ländlichen Stücken aus Rajasthan und Deccan, verziert auch mit kleinen Spiegeln und Kaurimuscheln. Manche dieser Traditionen haben sich bis heute erhalten und zwar nicht nur für Touristen, sondern immer noch für den eigenen Bedarf. Die hohe Qualität kunsthandwerklicher Arbeit indessen, die die in diesem Buch vorgestellten Stickereien auszeichnet, ist im 20. Jahrhundert durchweg verloren gegangen. Die Gegenüberstellung von knapp einem Dutzend Sticktechniken in Detailaufnahmen, jeweils Vorder- und Rückseite runden das Buch ab zu einem ausgezeichneten Führer durch eine faszinierend reiche und vielgestaltige textile Welt. (- mb -)

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