Haji – Jouney to the Heart of Islam

Autor/en: Venetia Porter (Hrsg)
Verlag: The British Museum Press
Erschienen: London 2012
Seiten: 288
Ausgabe: Klappenbroschur (auch als Hardcover erhältlich)
Preis: 25.– engl. Pfund
ISBN: 978-0-7141-1175-9
Kommentar: Michael Buddeberg, Mai 2012

Besprechung:
Die Haddsch, die große, entbehrungsreiche und seit Anbeginn nach genauen Vorschriften zu vollziehende Wallfahrt nach Mekka ist eine der fünf Säulen des Islam und gehört damit zu den fundamentalen Grundpflichten jedes Muslim. Während die anderen vier Säulen, also das Glaubensbekenntnis, die Verpflichtung zum regelmäßigen Gebet, das rigorose Fasten während des Ramadan-Monats und das Almosen für die Armen kein großes Geheimnis bergen, ist die Haddsch dem Nicht-Muslim verschlossen; er kann sie weder beobachten noch an ihr teilnehmen. Das ist so bis in unsere Tage. Und auch wenn mit dem Internet kaum eine Frage zur Haddsch unbeantwortet bleibt und von den Möglichkeiten der Reise nach Mekka bis zum Ablauf der Wallfahrt und den einzelnen Ritualen jede Einzelheit in Wort und Bild genauestens recherchiert werden kann, so ist das Mysterium dieses großen und einschneidenden Erlebnisses im Leben eines Muslim durch lexikalische Aufarbeitung nicht wirklich zu verstehen. Ob dies eine Ausstellung über die Haddsch vermag, war im Britischen Museum von Januar bis April dieses Jahres zu erfahren. Weit über ein Jahrtausend der Wallfahrt nach Mekka – die Kaaba war schon in vormohammedanischer Zeit ein Ziel für arabische Pilger – haben eine überaus vielfältige, konkret auf diese Pilgerfahrt bezogene materielle Kultur entstehen lassen. Malerei und Graphik, archäologische Artefakte, Manuskripte, historische Fotos, Kacheln mit der Darstellung der Heiligtümer, Pässe, wissenschaftliche Instrumente zur Bestimmung der Lage Mekkas, Reiseführer, zeitgenössische bildende Kunst, die prunkvollen Textilien für die Kaaba und die kaum überschaubare Anzahl von Souvenirs geben sichtbares Zeugnis von der Bedeutung dieser Pilgerreise. Alleine diese themenbezogene Zusammenstellung außergewöhnlicher materieller Artefakte zum Phänomen der Haddsch aus Dutzenden öffentlicher und privater Sammlungen aus allen Kontinenten ist einzigartig und lohnt die Anschaffung des Kataloges, der aber darüber hinaus durch seine essayistischen Beiträge eben dieses Mysterium der muslimischen Wallfahrt nach Mekka verständlich zu machen versucht. Der wahre gläubige Pilger bricht schon mit dem Aufbruch zur Haddsch mit seiner profanen Existenz. Er ist verpflichtet, seine privaten und finanziellen Verhältnisse zu ordnen. Die Umstände der Reise, die besondere Kleidung und festgelegte, seit Anbeginn unveränderte Verhaltenscodices – keine Gewalt und kein Sex seien hier als Beispiel genannt – trennen ihn vom normalen Leben. Die durch bestimmte Rituale streng reglementierte Pilgerschaft ermöglicht es ihm, in einen anderen Bewusstseinszustand, in eine zeitlose Dimension einzutreten. Sie befreit ihn von der Oberfläche des Lebens und lässt ihn die Wallfahrt als geläutert, jedenfalls als ein anderer als der, der sie angetreten hat, beenden. Mit der eingehenden Darstellung der nie unterbrochenen Geschichte dieser Pilgerfahrt und der Beschreibung der Rituale und ihrer Wirkung auf die Gläubigen gelingt es, die Haddsch als einen meditativen Akt, als eine spirituelle Reise zu begreifen, wobei die Erzählungen von Pilgern aus ganz verschiedenen Zeiten ganz wesentlich zu diesem Verständnis beitragen. Nasir-i Khusraw aus dem östlichen Persien machte sich im 11. Jahrhundert nicht weniger als viermal auf die Reise nach Mekka und sein ausführlicher Bericht über seine letzte Haddsch beeindruckt durch die innere Stärke von Khusraw, den keine noch so großen Schwierigkeiten und Hindernisse von seinem Ziel trennen konnten. Auch die gut einhundert Jahre später zur See und per Karawane unternommene Reise des muslimischen Andalusiers Ibn Jubayr und die Pilgerfahrt der berühmten Reisenden Ibn Battuta im 14. Jahrhundert belegen die fast magische Anziehungkraft von Mekka als dem Herz des Islam. Dass auch Europäer dieser Anziehungskraft erlagen hat dann aber weniger mit der spirituellen Bedeutung der Haddsch zu tun als mit der Herausforderung, eine verbotene Stadt zu erreichen. Sie bereicherte die europäische Reiseliteratur um spannende Berichte von Entdeckern und Abenteurern, deren erster wohl Ludovico Varthema im frühen 16. Jahrhundert war. Die Zusammenstellung der wichtigsten Erzählungen über die Reise nach Mekka, sei sie von Gläubigen und Nicht-Gläubigen unternommen, ist denn auch eine wichtige und nützliche Bibliographie mit weiterführender Literatur zur Haddsch. Nicht weniger wichtig für das Buch und für das Verständnis der Haddsch sind die vielen Karten mit der Darstellung der Pilgerrouten von Kairo, Damaskus, Bagdad und vielen anderen Orten, die Beschreibung der in alter Zeit und bis heute unternommenen Vorkehrungen, die Pilger mit Wasser zu versorgen bis hin zu den logistischen Problemen, die die Versorgung und Unterbringung von mehreren Millionen Pilgern den heute hierfür verantwortlichen saudi-arabischen Verantwortlichen bereitet. Mit diesen touristischen und ökonomischen Seiten werden über die historischen und die religiös-spirituellen Inhalte sämtliche Aspekte der muslimischen Pilgerfahrt nach Mekka als eine der fundamentalen Glaubensäußerungen des Islam angesprochen und verständlich. Die Reise in das Herz des Islam ist ein Schlüssel zum Verständnis muslimischer Glaubenswirklichkeit.

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